Auf Amrum kennt jeder jeden? Stimmt nur fast, und nachfragen lohnt sich trotzdem: Hoker beest dü? An: Hü gong’t? Wer bist du? Und: Wie geht’s?
Isi (Isabel) Schmale: „Es ist ein cooles Gefühl, wenn man weiß, man kann es auch allein schaffen“
Ich finde es total schön, jetzt in den Sommerferien wieder auf Amrum zu sein. Man kommt zurück ins alte Leben, macht seine Hobbys von früher und sieht alle Leute wieder. Es ist schon krass, wenn man manche so lange nicht sieht.
Wir waren letztes Jahr zwanzig in der Amrumer Abschlussklasse. Zwölf von uns machen Abitur, die anderen eine Ausbildung oder ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr). Die meisten sind aufs Festland gegangen, einige auf Amrum geblieben. Ich habe mich zusammen mit zwei anderen für Föhr entschieden und besuche die Oberstufe des Gymnasiums in Wyk.
Verändert haben wir uns alle im letzten Jahr. Wir sind viel erwachsener geworden, auch durchs Alleinewohnen. Aber wenn wir uns dann sehen, ist es trotzdem so, als wären wir gar nicht auseinandergewesen. Viele treffe ich freitags nach der Schule, wenn wir auf der Fähre zurück nach Amrum sitzen. Es fahren ja nicht so viele Fähren. Dann quatschen wir, und es ist sehr nett. Alle kommen gut klar, glaube ich. Ich habe noch von keinem gehört, dass er seine Entscheidung bereut.
Der Anfang auf Föhr war ein bisschen holprig. Ich hatte erstmal ziemlich Heimweh und auch ein bisschen Angst vor der Schule. Findet man Anschluss? Wie ist es? Sind die Leute nett? Dann kam ich am ersten Tag morgens an und wurde gleich von zwei Mitschülern aufgenommen: „So, du kommst jetzt mit und setzt dich hier zu uns hin.“ Das hat mir sehr geholfen. Sonst hätte ich gar nicht gewusst, was ich machen soll.
Dann musste ich auch erst mal mit den Lehrern klarkommen. Ich musste herausfinden, wie die so ticken. Hier auf Amrum hatte ich ja zehn Jahre dieselben Lehrer. Ungefähr nach einem Monat war ich eingegroovt, und es hat gepasst. Insgesamt komme ich problemlos mit und finde, die Amrumer Schule hat uns gut vorbereitet.
Es war auch wichtig, dass meine besten Freundinnen von Amrum mit nach Föhr gekommen sind. Wir machen eigentlich immer was zusammen. Gefühlt wohnen wir zusammen, obwohl wir jede eine eigene Wohnung gemietet haben. In der Mittagspause treffen wir uns meistens bei mir; ich wohne ganz nah an der Schule. Auch unsere Föhrer Freundinnen kommen gerne mit. Sie wohnen in den umliegenden Dörfern und würden sonst mittags in der Schule bleiben.
Ab und zu kochen wir zusammen. Na ja. Man kann es jetzt auch nicht unbedingt kochen nennen. Wir schieben uns eher eine Pizza in den Ofen oder machen Hot Dogs oder so. Aber es ist ganz süß, wir sitzen alle zusammen am Esstisch und essen zusammen und reden. Und am Wochenende freut man sich natürlich auf das Essen zu Hause.
Für meine Eltern war der Abschied von mir schon relativ schwer. Ich bin das erste Kind, und es ist komisch, wenn man auf einmal nicht mehr da ist. Ich glaube, ich persönlich hätte etwas Sorge um meine Kinder. Das ganze Leben war man mit ihnen zusammen. Plötzlich können sie machen, was sie wollen, man hat nicht mehr so die Kontrolle. Es muss ziemlich hart sein, wenn man auf einmal getrennt ist.
Vor der ersten Abfahrt, vor der ersten Nacht, haben meine Eltern und ich total geheult. Es war ganz schlimm. Mittlerweile ist es normal geworden, sich voneinander zu verabschieden. Dadurch, dass ich jedes Wochenende zu Hause bin und wir zwischendurch telefonieren, weiß ich immer, was bei meinen Eltern und Geschwistern los ist.
Es macht Spaß, für sich allein zu sorgen. Es ist ein cooles Gefühl, wenn man weiß, man kann es auch alleine schaffen und ist nicht zu hundert Prozent auf andere angewiesen. Das ist ein verdammt gutes Gefühl. Und ich frage mich echt, wie das wäre, wenn man nicht wegmüsste. Ob man dann nicht doch noch bis Mitte zwanzig bei den Eltern wohnt, weil man nicht so dazu gezwungen wird, loszugehen.
Eine eigene Wohnung zu haben, gefällt mir besonders. So viele Freiheiten. Jederzeit können Freunde zu dir kommen, du kannst in Ruhe Musik hören, keiner stört dich. Trotzdem fehlt es mir ab und zu, dass jemand da ist. Manchmal ist es so ruhig, dass ich den Fernseher anmache, um irgendwas zu hören. Ein bisschen vermisse ich den Trubel meiner Familie. Aber so habe ich Zeit für mich und kann mehr oder weniger machen, was ich will. An sich: Man wird erwachsen, deswegen macht man automatisch weniger Unfug, denn man muss es ja alles selbst wieder geradebiegen.
Corona war eine große Herausforderung im letzten Jahr. Manchmal merkt man, dass etwas aus dem halben Jahr vor unserem Abschluss fehlt. Und in den ersten Wochen auf Föhr saßen wir alle mit Maske im Unterricht, und ich wusste gar nicht richtig, wie die anderen aussehen. Dann, im zweiten Lockdown und Homeschooling, hat man keinen mehr gesehen, außer in Videokonferenzen. Meine Freunde und ich haben uns online verabredet, unsere Aufgaben zusammengemacht und uns den Unterrichtsstoff gemeinsam eingeprägt.
Jetzt werden einige von uns 18 und das muss man ja wenigstens ein bisschen feiern, wenn auch im kleinen Kreis. An meinen Ferienwochenenden fahre ich deswegen regelmäßig nach Föhr. Dass man dann immer noch auf einer Insel ist und sich am Strand treffen kann, finde ich toll.
In diesen Sommerferien arbeite ich morgens vier Tage die Woche im Testzentrum der Louisen Apotheke. Das Geld kommt mir gelegen, weil mein Nordfriesland Stipendium in den Ferien ausgesetzt wird. Die anderen aus meinem Amrumer Abschlussjahrgang jobben auch fast alle und wenn wir frei haben, machen wir was zusammen, oft am Strand. Wir haben uns vorgenommen, uns gegenseitig mal an unseren neuen Wohnorten zu besuchen. Man kennt es halt noch nicht, und es ist voll interessant zu sehen, wie jetzt alle leben.