Durch den Weggang der Wittdüner Zahnärztin Bienert im Oktober letzten Jahres und dem demnächst geplanten Ruhestand von Zahnarzt Jost Jahn droht zukünftig bei der zahnärztlichen Versorgung auf der Insel Amrum ein Notstand. Alle Bemühungen, einen neuen Zahnarzt nach Amrum zu lotsen, waren bisher vergebens.
Neben der zahnärztlichen Versorgung wird aber auch die generelle medizinische Betreuung für die Einheimischen und Gäste zunehmend schwieriger. Auf Amrum gibt es drei Kassenarztsitze, einen in der Praxis Beymann in Norddorf und zwei in der Praxis an der Mühle in Nebel (zweite Stelle wegen hoher Patientenanzahl). Zusätzlich gibt es in der Praxis an der Mühle noch eine weitere Stelle für Ärzte/innen in der Facharztweiterbildung zum Allgemeinmediziner. Seitdem Dr. Totzauer, der sich mit einem weiteren Arzt die 2. Stelle geteilt hat, im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen ist, versucht Dr. Claudia Derichs einen neuen Kollegen nach Amrum zu bekommen. „Seit über einem Jahr habe ich alle möglichen Anstrengungen unternommen, einen Arzt/in für die Insel zu verpflichten, leider ohne Erfolg. Ähnlich wie auf dem Festland wird es immer schwieriger, vakante Hausarztstellen wieder neu zu besetzten,“ so Claudia Derichs.
Zusätzlich zu der vakanten Stelle in der Praxis an der Mühle in Nebel wird altersbedingt in absehbarer Zeit auch ein Nachfolger für Bernhard Breymann in Norddorf gesucht werden müssen, was nach den Erfahrungen der Praxis an der Mühle sicherlich nicht einfach werden wird.
Die medizinische Versorgung auf Amrum unterscheidet sich deutlich von der Situation auf dem Festland. Es gibt kein Krankenhaus, keine Facharztpraxen, keine Röntgenmöglichkeit und kein Labor. Die beiden Arztpraxen versorgen neben den 2400 Einwohnern in den Sommermonaten auch noch 10.000 Gäste, sowohl hausärztlich als auch akut- und notfallmedizinisch rund um die Uhr. Der ärztliche Bereitschaftsdienst (ab 18:00 Uhr, Sa/So 24h) wird durch die Ärzte/innen der beiden Praxen abgedeckt, die 24 h Notfallbereitschaft durch die Notfallmediziner/innen der Praxis an der Mühle. Dieses bedeutet, dass wenn eine Stelle vakant ist (wie zur Zeit), sowie bei Urlaub oder Krankheit der Insel-Ärzte eine erhebliche Mehrbelastung auf den einzelnen zukommt, was auf Dauer nicht zu leisten ist.
Wie kann die medizinische Versorgung für Amrum zukünftig sichergestellt werden?
Zu diesem Thema hatte das Amt Föhr Amrum alle an der medizinischen Versorgung auf Amrum beteiligten Parteien zu einer Versammlung in den Veranstaltungssaal der Gemeinde Wittdün eingeladen. Amtsdirektor Christian Stemmer konnte die drei Inselbürgermeister, zahlreiche Gemeinderatsmitglieder, die Inselärzte, Vertreter der auf Amrum tätigen Kliniken, die Inhaberinnen der beiden Inselapotheken, Vertreter des Rettungsdienstes und auch die auf der Insel tätigen Physiotherapeuten begrüßen. Für die fachliche Unterstützung war Harald Stender als Fachmann für ärztliche Versorgungszentren und Claudia Lüth von der Geschäftsstelle des Ärzteverbundes Nord auf die Insel gekommen.
Auf Anregung von Dr. Claudia Derichs hat es schon im August 2021 erste Gespräch über das Thema gegeben, leider ist man seitdem nicht wirklich weitergekommen. Zu Beginn der Sitzung wurde darauf hingewiesen, dass es an diesem Tag nicht darum ging, eine finale Lösung zu finden, sondern gemeinsam mit allen Beteiligten mögliche Lösungsalternativen zu erarbeiten und einen zeitlichen Zeitraum zur Umsetzung festzulegen.
Zu Beginn der Sitzung bekamen Dr.Claudia Derichs und Bernhard Breymann die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Claudia Derichs machte deutlich, dass ihrer Meinung nach eine gesamtinsulare große Gemeinschaftspraxis in zentraler Lage das Ziel zukünftiger Planungen sein sollte. Mit so einer Praxis gibt es zahlreiche Synergien hinsichtlich medizinischer Ausrüstung, Administration, Verwaltung und auch der Möglichkeit, die notwendigen Bereitschafts- und Notdienste effizient durchzuführen. Eine attraktive Gemeinschaftspraxis wäre sicherlich auch für Ärzte vom Festland ein interessanter Anreiz, auf die Insel zu kommen. Vorzugsweise sollte diese auf privater Basis durchgeführt werden, aber auch eine Trägerschaft seitens der Kommune mit angestellten Ärzten im Rahmen eines Medizinischen Versorgungszentrums sei denkbar.
Norddorfs Arzt Bernhard Breymann unterstützt grundsätzliche eine gesamtinsulare Lösung, macht aber deutlich, dass er sich bevorzugt dafür einsetzt, dass die Gemeinde Norddorf eine Praxis behält. Er möchte zu gegebener Zeit einen Nachfolger für seine Praxis suchen, könnte sich auch vorstellen, die Nordorfer Praxis mit einem angestellten Arzt weiter zu betreiben.
Die AOK-Klinik in Norddorf könnte sich vorstellen, im Rahmen eines medizinischen Versorgungszentrum bei der Organisation Unterstützung anzubieten, jedoch nicht bei der medizinischen Versorgung. In der Kurklinik Satteldüne gibt es nur Fachärzte, im Hausarztbereich kann die Klinik keinen signifikanten Beitrag leisten.
Frau Lüth versuchte nun gemeinsam mit allen Anwesenden eine Matrix zu erstellen , die auf der einen Seite die verschiedenen Alternativen auflistet und andererseits ihre Realisierbarkeit darstellt.
Die Vorteile eines zentralen medizinischen Versorgungszentrum auf Amrum kristallisierten sich eindeutig heraus, eine Umsetzung ist aber nicht so einfach zu realisieren. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 300 qm Fläche für eine Gemeinschaftspraxis vorhanden sein müssten, zusätzlich wäre es sinnvoll, bei einem Neubau auch Wohnungen für das medizinische Personal vorzusehen. Attraktiver, bezahlbarer Wohnraum ist eine Grundvoraussetzung qualifiziertes Personal nach Amrum zu bekommen.
Idealerweise würde dieses „Ärztehaus“ / Medizinische Versorgungszentrum in Eigenregie der Niedergelassenen Ärzte betrieben. Die Gebäude müssten von der Kommune zur Verfügung gestellt und entsprechend angemietet werden.
Dr. Claudia Derichs machte deutlich, dass sie sich vorstellen könnte, so ein Zentrum zu betreiben, wobei ihre bevorzugte Lage die Gemeinde Nebel ist, idealerweise das Gebiet westlich der jetzigen Praxis. Damit liegen dann Ärztliche Versorgung, Hubschrauber Landeplatz, Seniorenheim und nicht zuletzt ihre Wohnung zentral und dicht beisammen, was auch eine deutliche Zeitersparnis für die anfallenden Bereitschaftsdienste bedeutet.
Nebels Bürgermeister Bendixen erklärte, dass es laut Auskunft des Bauamtes etwa 4 Jahre dauern würde, für dieses Gebiet einen Bebauungsplan zu erstellen und die Grundstücke auch noch angekauft werden müssten. Der Gemeinde Norddorf wurden in jüngster Zeit zwei bebaute Grundstücke angeboten, wobei die dort vorhandenen Häuser aufwendig umgebaut oder auch abgerissen und eventuell neu gebaut werden müssten, um den Ansprüchen einer barrierefreien Nutzung zu entsprechen. Die einfachste und vor allen schnellste Lösung scheint das Gebäude des Amrumer Badeland/Amrum Spa zu sein, weil dort schon zahlreiche ebenerdige Räume zur Nutzung vorhanden sind. Eventuell zusätzlich notwendige Räumlichkeiten könnten relativ schnell errichtet werden (ein B-Plan besteht), eine komplette Infrastruktur ist vorhanden und Synergien im Bereich der Anmeldung mit dem Amrum Spa sind denkbar.
Sollten sich keine niedergelassenen Ärzte finden, um eine Gemeinschaftspraxis / Medizinisches Versorgungszentrum in Eigenregie zu betreiben, gibt es auch noch die Möglichkeit eines kommunal betriebenen Versorgungszentrums. In diesem Fall sind die Ärzte angestellt. Die Verwaltung, Personalplanung, Räumlichkeiten und administrative Abwicklung müssten von der Kommune übernommen werden. Diese Variante macht es für viele Ärzte oft attraktiver, in eine Praxis einzutreten, da sie nicht das finanzielle Risiko tragen und ihre Freizeit besser planen können. Für die Kommunen ist dieses sehr viel aufwendiger. Erfahrungen von in Schleswig-Holstein betriebenen Kommunalen Medizinischen Versorgungszentren zeigen, dass dieses für die Kommune einen jährlichen finanziellen Mehraufwand von 300.000 € – 500.000 € bedeutet.
Amtsdirektor Christian Stemmer machte zum Ende der Sitzung deutlich, dass eine gemeinsame Lösung nur gefunden werden kann, wenn alle drei Gemeinden an einem Strang ziehen. Er regte an, noch vor der anstehenden Kommunalwahl in einer gemeinsamen Sitzung aller drei Gemeindevertretungen, die weitere Vorgehensweise über Betreiberform und Standort abzustimmen.
Es gilt die Weichen für eine zukunftsfähige medizinische Versorgung für die gesamte Insel Amrum zu stellen, dafür ist es sicherlich auch notwendig, einmal von festgefahrenen Standpunkten abzuweichen. Alle Beteiligten waren sich einig, dass man verhindern muss, in eine ähnliche Situation wie bei der jetzigen zahnärztlichen Versorgung zu kommen. Eile ist geboten.