A m r u m – eine Insel arm an Säugetierarten (Teil 1)


Amrum ist nach Helgoland jene nordfriesische Insel, die am weitesten vom Festland entfernt in der Nordsee liegt, nämlich rund 20 Kilometer von Dagebüll und bis 25 Kilometer von der übrigen Küste des nordfriesischen Festlandes. Der geografische Begriff “Insel” leitet sich ab vom lateinischen “isola”, also isolierter Lage. Und eine derartige Lage bedingt oft ein besonderes Leben der Insulaner, aber auch eine besondere Tierwelt, die mit der Fauna des benachbarten Festlandes keine oder kaum Berührung hat. Infolgedessen entwickeln sich auf Inseln über Jahrhunderte oder Jahrtausende oft eigenständige Tierarten, die für die betreffende Insel “endemisch” sind, weil sie nur dort vorkommen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer solchen Entwicklung ist die Inselgruppe Galapagos im pazifischen Ozean.

Die Säugetierwelt einer Insel kann – wenn die Insel groß genug ist – historisch begründet sein (seit jeher vorhanden) oder durch den Menschen, sei es durch Ausrottung in Folge übermäßiger Bejagung oder durch das Einbürgern von vorher dort nicht lebenden Wildtieren. Aber auch die Globalisierung seit dem letzten Jahrhundert, das Hin und Her von Warenströmen hat zu einer Verbreitung vorher exotischer Tierarten geführt, wie auch die zufällige oder beabsichtigte Einbürgerung nicht selten eine Katastrophe für die ursprüngliche Fauna zur Folge hat.

Funde von versteinerten Geweihen deuten auf eine Tierwelt vor Jahrtausenden hin

Für die Nordfriesische Inselwelt stellt sich öfter die Frage nach einer prähistorischen Tierwelt, da der Meeresspiegel am Ende der letzten Eiszeit noch fast 100 Meter tiefer lag als heute und unsere Heimal noch mit dem Festlande verbunden war. Als in den 1880er Jahren bei Steenodde eine steinzeitliche Grabkammer untersucht wurde, war dort auch der Kiefer eines Dachses vorhanden, der vor etwa 5000 Jahren auf der saaleeiszeitlichen Inselgeest gelebt hatte. Und immer wieder werden auch am Strande oder in Fischernetzen versteinerte Geweihe gefunden, die uns verraten, dass hier vor Urzeien Hirsche und andere Cerviden ihre Fährte zogen.

Während Vögel sich grenzenlos verbreiten können, gilt dies bei den einheimischen Säugetierarten nur für Fledermäuse und einige wenige Arten, die ausdauernd schwimmen und größere Wasserflächen überwinden können, wie die Bisamratte, die es geschafft hat, vom Festland aus fast alle Inseln und Halligen in der Nordsee, darunter auch Amrum, zu besiedeln.

Nachfolgend ergibt sich für die Amrumer Säugetierfauna das nachfolgende Bild, Stand 2022:

Ein Wildkaninchen macht “Männchen”

Wildkaninchen (lat. Oryctolagus cuniculus), das in optischer Hinsicht und der Wahrnehmung der Inselbevölkerung fast “alleinige” Säugetier auf Amrum, verbreitet über die ganze Insel und hier auch in größeren Dorfgärten vorhanden, teilweise und besonders im Sommer gegenüber dem “Urfeind” Mensch sehr zutraulich. Das Wildkaninchen, das seit Jahrhunderten die Amrumer Säugetierfauna prägt, steht auch am Anfang der Inselgeschichte. Um das Jahr 1230 nämlich ließ der dänische König Waldemar II. ein mächtiges “Jordebog” (Erdbuch) über das damals noch größere Königreich anfertigen, in dem erstmalig auch der Name der Insel Amrum, als “Ambrum” beschrieben, genannt wird. Die Wildkaninchen wurden auf Amrum ausgesetzt, um dem Königshof durch die Jagd wohlschmeckende Braten zu liefern, und man wählte eine Insel aus, deren Meeresufer eine weitere unkontrollierbare Verbreitung in natürlichen Grenzen hielt. Denn Wildkaninchen vermehren sich sprichwörtlich “wie die Kanickel” und können in Land- und Forstwirtschaft unvorstellbare Schäden anrichten.

Die Erwähnung von “hus” im Erdbuch deuten etliche Forscher als Hinweis, dass die Insel besiedelt war, andere hingegen interpretieren hus als Jagdhaus für den König. Es ist aber nicht bekannt, ob Waldemar auf Amrum je zur Jagd gewesen ist, immerhin aber Christian VIII., der in den 1840er Jahren im August/September seine Sommerresidenz in Wyk auf Föhr hatte. Jedenfalls unterlagen die Wildkaninchen keinem landesherrlichen Jagdregal, sondern durften auf Amrum von Jedermann gejagt werden. Nur in der Zeit von 1797 bis etwa 1857 musste die Insel an die Obrigkeit eine Gebühr von 10 Reichstalern jährlich zahlen, nachdem ein Föhrer einen Antrag auf alleinige Jagdpachtung eingereicht hatte, der aber von den Amrumer Repräsentanten zurückgewiesen werden konnte – allerdings durch die erwähnte “Kontribution”.

Wildkaninchen haben Jahrhundert um Jahrhundert in manchen Amrumer Küchen für einen Wildbret-Braten gesorgt. Aber ganz überwiegend wurden sie als Schädlinge betrachtet, die in der ohnehin dürftigen Landwirtschaft beachtliche Schäden verursachten. Ebenso waren und sind sie für den Küstenschutz ein Problem, weil sie die am Tage gepflanzten Strandhaferbüschel an den Stranddünen nachts herausrupfen, um an die Halmwurzeln zu gelangen. Erst nach dem Ausbruch der Seuche Myxomatose 1963 und der späteren “Chinaseuche” verloren die Wildkaninchen ihre Bedeutung als Jagdwild für die Insulaner. Im Auf und Ab der beiden Seuchen sind sie wechselweise häufiger oder seltener (2022/2023) auf Amrum anzutreffen.

Hasen haben längere Ohren als Wildkaninchen

Im Erdbuch von König Waldemar ist Amrum die einzige Landschaft in Nordfriesland, die mit zwei Säugetierarten genannt wird; neben dem Wildkaninchen (Cu = lat. Cuniculus) auch “ha” (für dänisch hare, lat. Lepus europaeus). Hasen werden auch für Sylt und Föhr genannt, und auf Sylt haben sie für die herzogliche Obrigkeit offenbar eine große Rolle gespielt. Denn um deren Jagderfolg nicht zu schmälern und die Wilderei durch die Haustiere Hund und Katze zu unterbinden, wurde befohlen, “den Katzen die Ohren zu beschneiden und den Hunden eine Vorderpfote abzuhauen” (eine ähnliche Anordnung wurde auch für die ostfriesischen Inseln von den dortigen Fürsten und Grafen erlassen). Die Jagd auf Hasen scheint auf Amrum im Vergleich zur Erbeutung von Wildkaninchen aber unbedeutend gewesen zu sein, da der Hase hier nie zahlreich war. Er war sogar zeitweilig ausgestorben, und das hatte zwei Gründe: Erstens, Hasen und Kaninchen meiden den gleichzeitigen Lebensraum und zweitens, wildernde Hunde. Es war auf Amrum schon immer Unsitte, Hunde frei herumlaufen zu lassen, und das hat dem Hasenbestand nicht gut getan. Kaninchen dagegen konnten sich in ihre Höhlen retten. Aber Hasen kennen nur offene Graslager und wurden regelrecht zu Tode gehetzt. Bis in die Gegenwart war die Unsitte der Hunde-Wilderei auf Amrum verbreitet, ehe die zahlreichen von Kurgästen mitgebrachten Hunde strengere Maßnahmen erzwangen, die nun auch für Einheimische gelten.

Amrumer Jäger und Heger haben im Laufe des vorigen Jahrhunderts mehrfach Hasen (aus Böhmen und Dänemark) auf Amrum ausgesetzt, und diese bilden heute die unverändert nicht üppige Population der Hasen auf Amrum. Allerdings bedingt auch die Lebensweise, dass sie viel weniger in Erscheinung treten als Cuniculus. Hasen sind Dämmerungs- und Nachttiere, während Wildkaninchen auch am Tage herumhoppeln.

2023 Georg Quedens     Urheberrecht beim Verfasser

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