Heidekraut und Strandholz – Feuerquellen im alten Amrum


 

Warmwasser in Küche und Badezimmer, warme Heizungen zu bezahlbaren Preisen in allen Wohnstuben gehören zu den Grundproblemen der Gegenwart und erinnern daran, wie es früher war, als die Winter nach Ausweis der Inselchronik wesentlich strenger waren als heute und es in etlichen Jahren auch so kalte Winter gab, dass die Insel sozusagen eingefroren und von der Verbindung mit dem Festland über Wochen und Monate abgeschnitten war. Aus den Dörfern machten sich dann Kolonnen von Männern mit Rucksäcken auf, um von Föhr, das über Wyk mit dem “Eisboot” Verbindung zum Festland hielt, die Post und Backmittel (Hefe u. a.) zu holen, damit wenigstens die Brotversorgung gesichert war.

Bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es auf Amrum kaum ein Haus mit Zentralheizung und der Möglichkeit, sämtliche Stuben zu beheizen. Die Regel war, dass in der Wohnstube ein mit Holz und Kohle beheizbarer Ofen stand, manchmal auch in Form eines Kachelofens, und die Küche leidlich durch den Herd zum Kochen der Mahlzeiten gewärmt wurde. Kohle wurde schon im 19. Jahrhundert von Wyker Schiffen direkt von England importiert und der Bedarf für Amrum in der Hafenbucht von Steenodde bei Ebbe auf Pferdefuhrwerke geladen. Als Holz wurde oft Strandholz, vom Inselstrand geholt oder auf Strandauktionen erworben, verwendet.

“Für die Bedürftigen zum Heideschlag”

1799, bei Aufhebung der “Feldgemeinschaft” wurde ein großer Teil der Heide für die Bedürftigen zum Heideschlag ausgewiesen.

Als in den Jahren 1799/1800 durch einen Erlass der dänischen Regierung die uralte “Feldgemeinschaft”, die weitgehend gemeinsame landwirtschaftliche Nutzung von Marschen und der Feldmark, aufgehoben und das Land entsprechend den nachgewiesenen Rechten zum festgeschriebenen Besitz verteilt wurde, blieben die Dünen, weil landwirtschaftlich ohne Wert, jedoch unvermessen, und diesem Umstand verdanken die Inselgemeinden, dass sie Eigentümer etwa der Hälfte der Inselfläche sind!

Es wurde aber eine noch größere Fläche von der Landverteilung ausgenommen – die Heide in der Inselmitte. Auch Heide hatte für die eigentliche Landwirtschaft keinen Nutzen, war aber für die Gewinnung von Besenheide (Calluna vulgaris) und Krähenbeere (Empetrum nigrum) von Bedeutung. Diese “Holzpflanzen” spielten nämlich eine große Rolle für die Herstellung von robusten Stallbesen, einem nicht unwichtigen Exportprodukt im alten Amrum. Um die langen Triebe von Heide und Krähenbeere für die Stallbesen zu bewahren, wurden sie nicht gehackt, sondern mit den Händen aus dem Boden gerissen – “ausgerauft”, wie der alte Besenbinder Jens Dethlefsen (1766-1839) erzählte.

Die Heide diente außerdem als Brennmaterial. In jedem Inselhaus gab es deshalb das “Hiashok”, den Nebenraum für die Einlagerung von Heide, die immer zur Verfügung zum Kochen und Heizen war. Deshalb waren die Insulaner unterwegs, um mit speziellen Hacken Heide zu schlagen, für die Einlagerung eines genügend großen Vorrates im “Hiashok”. Zwecks Verbrennung wurde die Heide gebündelt und brannte dann im Ofen wie Zunder, auf Öömrang “lochten” genannt. Der Holzstrauch war aber so schnell verbrannt, dass man am Ofen stehen musste, um Bündel um Bündel vorzubereiten und nachzulegen.

Um die Versorgung auch ärmlicher Insulaner zu sichern, wurden umfangreiche Flächen in der Inselmitte bei der Landreform “für die Bedürftigen zum Heideschlag” ausgewiesen. Der Kirchengemeinde St. Clemens wurden allerdings rund 70 Hektar Land zugewiesen, damit sie sich aus eigener Kraft versorgen konnte. Und dazu gehörte auch eine beachtliche Heidefläche nördlich von Nebel-Westerheide, die noch heute im Besitz der St. Clemens-Gemeinde ist.

Sören Hansen, Nebel, beladen mit ausgerupfter Heide
Sören Hansen, Nebel, beladen mit ausgerupfter Heide

Auf dieser Heidefläche erntete Pastor Lorenz Friedrich Mechlenburg (1799-1875) im Jahre 1828 zehn und ein halbes Fuder Heide im Wert von 6 Mark Courant pro Fuder. Im Jahr darauf betrug die Ernte 12 Fuder im Wert von 72 Mark Courant, ausreichend für das Beheizen des Pastorats. Zusätzlich konnten auch noch zwei Fuder Besenginster (Cytisus scoparius, auf Öömrang “skroben”) als Brennmaterial zum Heizen und Kochen eingebracht werden sowie 1800 Torfsoden, die aber vermutlich von Auswärts importiert wurden. Denn Moore mit Torfboden waren auf Amrum nicht bekannt.

Ebenso gehörte auch Holz als Brennmaterial dazu. Und hier wird es sich vor allem um Wrackholz von gestrandeten Schiffen gehandelt haben, gekauft auf einer Strandauktion. Eine andere Holzquelle gab es im alten Amrum nicht.

In der Zeit, als die Seefahrt die Haupterwerbsquelle auf Amrum war und die Landwirtschaft nur “nebenbei” von den Inselfrauen betrieben wurde, war die ganze Inselmitte mit Heide bewachsen, vom Dünenrand im Westen hin bis etwa zum heutigen Wirtschaftsweg im Osten – ein fast unerschöpfliches Heideland. Weitere teils umfangreiche Flächen mit Krähenbeeren (Öömrang “beiruter”) und Heide (Öömrang “hias”) standen in den Dünentälern zur Verfügung.

Und einmal schrieb sich die Heide auch als “Lebensretter” in die Inselgeschichte ein, nämlich im Winter 1947. Tausende von Ostflüchtlingen waren auf Amrum in den Räumlichkeiten des nun völlig ruhenden Fremdenverkehrs einquartiert. So auch etwa 50 Personen, vom Kleinkind bis zum Greis im leerstehenden Hotel “Victoria” auf dem hohen Stranddünenwall von Wittdün.

Amrumer Heide als Lebensretter

Amrum war wegen der vielen Quartiere für den Fremdenverkehr bei Kriegsende mit Flüchtlingen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten überladen. Es gab auf der Insel auf dem Höhepunkt 1640 dieser Unglücklichen gegenüber 1240 Einheimischen. Aber die Fremdenzimmer waren für die Belegung im Sommer konstruiert und standen im Winter leer, ohne entsprechende Infrastruktur. Es gab keine Heizöfen und keine Kochherde, und die Schmiede und Klempner auf Amrum hatten alle Hände voll zu tun, diese zu schaffen. Dazu wurden unter anderem auch alte Seetonnen verwendet, und bald ragten aus den Fenstern etlicher Inselhäuser notdürftig improvisierte Ofenrohre.

Mit dem Kriegsende 1945 war die Versorgung im Deutschen Reich weitgehend zusammengebrochen. Es gab aus dem Ruhrgebiet keine Zulieferung von Kohlen mehr, und es fehlte auf der mit Flüchtlingen überbevölkerten Insel an fast allem. Dazu kam im Jahre 1947 noch ein ungewöhnlich strenger Winter, wie er in dieser Art in zurückliegenden Jahrhunderten nur einige wenige Male zu verzeichnen gewesen war (alle überstrengen Winter der letzten Jahrhunderte sind in der Amrum-Chronik des Jahres 1985 genannt). Von Anfang Januar bis zum 8. März war die Insel eingefroren, und es konnten keine der damals noch kleinen W.D.R.-Dampfer fahren. Die Nordsee vor dem Amrumer Strand war bis zum Horizont eine Packeiswüstenei, und das bedeutete, dass es keinen Strand mit Flutsaum und Treibholz mehr gab. Damit war eine wesentliche Quelle der traditionellen Amrumer “Brennstoffversorgung” verschlossen.

Aber es gab ja noch die ausgedehnten Heideflächen über die ganze Inselmitte vom Leuchtturm bis hinauf nach Norddorf. Einer der Flüchtlinge aus dem genannten “Victoria” in Wittdün schrieb an die Gemeinde: “(…) wir standen [mit 50 Personen] seit Weihnachten mit nur einem Ofen dieser strengen Kälte bis Ende März gegenüber, und wir wären wohl verhungert und erfroren, wenn es nicht ein Inselprodukt gegeben hätte, das uns davor bewahrte, nämlich das hier in Massen vorkommende Heidekraut (…)”.

Es gehörte auch zu den Kuriositäten des Winters 1947, dass im Wattenmeer draußen vor Goting auf Föhr, unter Sand und Schlick vergraben, die Ablagerungen eines Bruchwaldes mit Moorschichten und Birkenresten entdeckt und als Brennmaterial verwertet wurden. Erstaunlich, wie gut die Baum- und Birkenstubben des vor über 1000 Jahren im nacheiszeitlichen Anstieg des Meeresspiegels versunkenen Waldes noch konserviert waren. Der Norddorfer Schiffer Victor Quedens füllte bei Ebbe sein Boot mit diesem Material und breitete es zum Trocknen auf der großen Wanderdüne am Ostufer der Odde aus. Und natürlich waren auch alle, Einheimische und Flüchtlinge, mit Säcken in den noch niedrigen Kiefernwäldchen unterwegs, um Tannenzapfen und Reisig zu sammeln. Das Abholzen von Bäumen war ungeachtet der Not in den unbeheizten Stuben streng verboten, und dies wurde m. W. auch von allen beachtet.

Von den Halligen ist der Gebrauch der “Dritten” bekannt, Kuhmist, der im Sommer auf dem Warftrasen ausgebreitet und getrocknet wurde. Ähnliches wurde aber offenbar auf Amrum nicht praktiziert.

Kleinholz für Strandgänger frei!

Wenn Amrumrer Kleinholz sammelten, drückten die Strandvögte schonmal ein Auge zu

Wie schon erwähnt, war die Heide der eine Lieferant von Brennmaterial, der Strand ein anderer. Sozusagen bei jedem Wetter lieferte der Flutsaum des Inselstrandes Holz von gestrandeten oder versunkenen Schiffen, neben wertvollen Bohlen und Planken auch Mengen von Kleinholz. Erstere unterlagen dem “Strandrecht” und wurden von der Obrigkeit sozusagen als “Regal” beansprucht. Und damit diese Güter auch in die Verfügung der Obrigkeit gelangten, wurden schon seit etwa dem 12./14. Jahrhundert in jeder Gemeinde mit Nordseestrand Strandvögte eingesetzt, die mit einem “heiligen Eid” verpflichtet wurden, alle wertvollen Güter am Strand zu bergen und bei “ihrem Tun Gott allein vor Augen zu haben (…)”. Die Vereidigung war notwendig, weil die Strandvögte selbst Insulaner waren und sicherlich manche Anfechtung, zumal auch bei verwandtschaftlicher Beziehung, drohte.

Aber ungeachtet hoheitlicher Ansprüche und Aussagen spielte die “Strandräuberei”, geboren aus der wirtschaftlichen Not der Inselbevölkerung, immer eine große Rolle. Aus dem vorigen Jahrhundert ist von Amrum bekannt, dass “Kleinholz” unter einem Meter Länge gesammelt werden durfte. Jedenfalls galt diese Regel am Norddorfer Strand, aber es ist nicht bekannt, ob es eine staatliche Anordnung oder ein “persönliches Gesetz” des sonst sehr strengen Norddorfer Strandvogtes Boy Heinrich Peters war.

Nach Kriegsende und mit dem Neubeginn des Fremdenverkehrs gab es hinsichtlich des Heizens eine “Zeitenwende”, Haus um Haus erhielt eine Ölheizung, und Holz verlor seinen Wert. Es blieb in Mengen am Strande liegen, und die Kurgäste errichteten ab den 1960/70er Jahren damit hunderte Strandholzbuden auf dem Kniep.

Aber dann gab es im ausgehenden letzten Jahrhundert wieder eine Wende: der Frachttransport über die Weltmeere wurde auf Container umgestellt, und heute ist fast kein Holz mehr am Strand zu finden.

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