“Rabenvögel sind eine weltweit verbreitete Familie großer Singvögel” verrät uns Knaurs Grosses Lexikon. Und in “Danmarks Dyrewerden” (Dänemarks Tierwelt) lesen wir im Band 8, dass es auf der Welt insgesamt 102 Arten dieser Vogelfamilie gibt und diese über eine hochspezialisierte Anpassung an ihre Lebensräume und aktuelle Nutzung verfügen.
Tatsächlich gehören Rabenvögel zu den intelligentesten und lernfähigsten Lebewesen auf der Welt, die in dieser Hinsicht schon manche Forscher der Ornithologie verblüfft haben. Beispielsweise haben Krähen gelernt, Nüsse auf Straßen zu platzieren, damit deren harte Schalen von darüberfahrenden Autos geknackt werden. Aber Rabenvögel können auch zählen. Naturfotografen wissen, dass man beim Beziehen des Fotoversteckes mindestens 6 Personen als sog. “Wegläufer” mitnehmen muss, um das Verstecken des Fotografen zu sichern. Bei allen anderen Arten reicht lediglich ein Wegläufer, um den Vogel zu täuschen, dass “die Luft rein ist” und er gefahrlos zum Nest zurückkehren kann.
Bekanntlich können fast alle Rabenvögel als Allesfresser unter anderen Vogelarten erhebliche, ja dramatische Schäden an Gelegen und Jungvögeln anrichten und werden deshalb seit jeher durch die Jagd vom Menschen verfolgt, haben aber in der Brutzeit in allen europäischen Ländern eine Schonzeit. Aber trotz zeitweilig intensiver Bejagung haben sich alle heimischen Rabenvögel in ihrem Bestand flächendeckend behauptet. Gleichzeitig hat sich aber auch seit Mitte des vorigen Jahrhunderts besonders in der Bundesrepublik Deutschland eine Front von “Bio-Ideologen” aufgebaut, die fast fanatisch und ohne Rücksicht auf die Realitäten des Krähenlebens die Rabenvögel sozusagen wie bei den alten Germanen “heiliggesprochen” haben und deren völlige Jagdverschonung fordern. Über das Wirken der Krähen auf Amrum wird bei den einzelnen Arten genauer berichtet.
Von den europäischen Rabenvögeln sind nur drei Arten als Brutvögel auf Amrum vertreten, zwei davon, nämlich Elster und Dohle, erst seit jüngster Zeit. Deshalb haben diese beiden auch keinen öömrangfriesischen Namen. Ganz anders aber die Rabenkrähe (Corvus corone), auf Öömrang “kriak” genannt und in früheren Jahrhunderten in Chroniken erwähnt “… wenn die Winter so streng waren, dass die Krähen tot vom Himmel fielen”. Auch eine alte Amrumer Legende bezieht sich auf Krähen. Im Jahre 1681 vertrieben die Amrumer den neuen jungen Pastor Jacob Boetius, weil dieser den Insulanern ihre Vorliebe für die Strandräuberei vorhielt. Bei seiner Abreise beschwor Boetius ein göttliches Zeichen, derart, dass keine Krähen mehr auf Amrum übernachten sollten. Und seitdem flogen alle Krähen zur Nachruhe hinüber nach Föhr. Tatsächlich aber musste Boetius die Insel verlassen, weil er der schönen Frau des im Sommer abwesenden Grönlandkommandeurs Boh Carstens (1634-1681) zu nahe getreten sein soll. Die Amrumer Krähen waren übrigens schon vorher zum Übernachten nach Föhr geflogen, weil es dort in den Dörfern um die größeren Bauernhöfe hohe Bäume gab! Denn Rabenvögel schlafen aus Angst vor Füchsen und anderem Raubwild nicht am Boden.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Amrum eine baumlose Insel. Trotzdem war die Insel Brutplatz etlicher Krähenpaare! Sie hatten nämlich entdeckt, dass es auf Amrum kein Raubwild, also Bodenfeinde, gab und bauten ihre kunstvollen Nester in Dünenhalm und in der Heide. Solche Bodennester fand der Verfasser auch noch vereinzelt nach der Jahrtausendwende 2000! Andere langjährig oder immer wieder genutzte Nistplätze waren die Plattformen der Wassermühlen an der Vogelkoje Meerum und am Warmbadehaus beim Seehospiz I, beide seit Ende der 1930er Jahre nicht mehr in Betrieb. Immer wieder wurde auch das schmaler Gittersims an der Kuppel des kleinen Quermarkenfeuers für die Anlage eines Nestes genutzt – ungeachtet der hier täglich in Mengen vorbeikommenden Kurgäste. Im übrigen nutzen Krähen kleine, nur wenige Meter hohe Gebüschgruppen von Birken oder Kiefern in Dünentälern oder Kleingehölzen und – seltener – die Randzonen des Inselwaldes. Aber der eigentliche, dicht- und hochgewachsene Inselwald wird als Brutplatz fast gänzlich gemieden.
Rabenkrähen können für ihre Umwelt hinsichtlich der Nahrungssuche zu einer unerträglichen “Heimsuchung” werden, und insbesondere die Amrumer Population zeichnet sich hierin aus. Beispielsweise litten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vor allem die Amrumer Wappenvögel, die Eiderenten, die über Jahre den größten Teil ihrer Gelege an Krähen verloren. Eine Sturmmöwenkolonie auf der Heide zwischen Nebel und Norddorf mit bis zu 30 Möwen hat über Jahrzehnte keinen einzigen flügge gewordenen Jungvogel verzeichnet. Es wurde beobachtet, dass ein im benachbarten Wald brütendes Krähenpaar täglich in die Kolonie flog und – ohne sich um das Geschrei der Sturmmöwen zu kümmern – jedesmal mit einem Möwenei im Schnabel wieder herausflog. Ebenso schlimm erging und ergeht es den Austernfischern im Gesamtgebiet der Amrumer Dünen, im fast 10 Quadratkilometer großen NSG (Naturschutzgebiet). Hier wurden im Brutjahr 2023 knapp 40 Paare von Austernfischern gezählt. Aber seit mindestens einem halben Jahrhundert sind in diesem großen NSG kaum zehn Jungvögel flügge geworden. Wenige Krähenpaare sind ausreichend für die fast vollständige Vernichtung aller dortigen Austernfischerbruten. Die klugen Krähen haben gelernt, wie man ein Austernfischer gelege erobern kann. Das Gelege ist nicht versteckt, und der brütende Vogel ist von allen Seiten gut zu sehen. Krähen erscheinen paarweise, und während der eine Partner sich im Hintergrund hält, spaziert der andere dem brütenden Austernfischer immer näher kommend vor den Schnabel – bis dieser die Geduld verliert und mit einer Flugattacke die Krähe vertreibt. Für kurze Zeit ist dadurch das Gelege “unbesetzt”, und dies nutzt die andere Krähe aus, um ein Ei zu rauben und die übrigen im Nest liegenden aufzuhacken. Eine Silbermöwe würde lediglich ein Ei rauben und damit wegfliegen, und die Austernfischer könnten die verbleibenden zwei Eier aus dem Dreiergelege noch ausbrüten. Aber die Krähen haben das gesamte Gelege vernichtet – ein Vorgang, den der Verfasser schon einige Male beobachten konnte.
Aber noch raffinierter agiert ein Krähenpaar, wenn es ein Brandganspaar entdeckt, das seine ca. 8-10 Jungen zum Watt führt. Das Krähenpaar überfällt die Brandgansfamilie und fängt eine Jungente nach der anderen. Die Jungenten werden getötet und in nahem Gebüsch versteckt. Und dann wird das nächste Junge geholt, bis die Schar völlig aufgerieben ist. Erst dann wird gefressen, während das Brandganspaar noch völlig konfus herumfliegt, um ihre Jungen zu finden. Auch dieses Töten dauert, solange noch etwas am Leben ist, wie der Verfasser beobachten konnte und wie es auch von Kurgästen gesehen und bestätigt wurde.
Junge Brandgänse, die aus der Brut(Kaninchen-)höhle gekommen und auf dem Weg zum Wattenmeer sind, werden immer wieder auch von Silbermöwen erbeutet. Aber die Möwe fliegt dann mit ihrer Beute weg, um diese aufzufressen. Krähen aber rotten den gesamten Nachwuchs eines Brandganspaares aus! Und wenn dieser robuste Beutegriff einmal gelungen ist, wird er natürlich regelmäßig und lebenslang praktiziert und auch an die Nachkommen und andere Krähenpaare vermittelt. Gegenwärtig “wimmelt” es am Wattufer von Amrum in der Brutzeit von einigen hundert Brandganspaaren, und auf der Insel warten – insbesondere nach anhaltender Chinaseuche unter den Wildkaninchen – zahlreiche leerstehende Höhlen darauf, von den Brandgänsen als Bruthöhle besetzt zu werden. Aber es fliegen nicht mehr wie früher Scharen von Brandganspaaren hinauf in das NSG Amrumer Dünen zum Brüten, und es erscheinen am gesamten Amrumer Wattufer keine fünf Brutpaare mehr mit dezimierten Jungenscharen. Als Ursache kommen nur Krähen in Frage! Schlimm sieht es auch bei den Bodenbrütern Kiebitz und Feldlerche aus.
Kiebitz und Feldlerche, fast ausgerottet!
Der Kiebitz brütete früher mit bis zu 80 Paaren auf Amrum. Dann folgte in den letzten Jahrzehnten europaweit – angeblich durch die modernen Methoden der Landwirtschaft – ein unfassbarer Zusammenbruch des Bestandes. Auch auf Amrum wurden nur noch höchstens zehn Brutpaare notiert, fast alle in der Norddorfer Marsch. Aber dann siedelte sich in einem Weidendickicht am Nordrand der Marsch ein Rabenkrähenpaar an und brütete Jahr um Jahr erfolgreich Junge aus. Und sorgte dafür, dass die Kiebitze keinen Nachwuchs mehr großzogen! Auch in diesem Jahr hat das Krähenpaar die wenigen Kiebitzbruten in der nördlichen Norddorfer Marsch auf Null reduziert. Nur einmal, im Jahre 2022, als vier Kiebitzpaare fast kolonieartig nahe beieinander brüteten und sich noch ein Austernfischer dazugesellte, konnte das Krähenpaar kein Gelege rauben, und es wurden erfolgreiche Bruten verzeichnet. Aber nur in diesem einen Jahr.
Von dem ehemaligen Amrumer Massenvogel Feldlerche findet man seit Jahren keine flüggen Jungvögel mehr, nur noch die leeren, aus dem Boden herausgezupften Nester, von Krähen ausgeraubt.
Krähen waren und sind in der Amrumer Vogelwelt – offenbar auf den Raub von Gelegen und Jungvögeln hier besonders spezialisiert – unverändert die Problemvögel, unterstützt durch die erwähnte jahrelange “Heiligsprechung” durch “Naturkenner” und einer entsprechenden Übervermehrung Ende des vorigen Jahrhunderts. Immerhin sprachen sich die Probleme mit den Rabenkrähen auch bei den zuständigen Behörden in der Landesregierung herum, und im Frühjahr 1998 verfügte das Landesamt für Umwelt und Natur eine Untersuchung und setzte dafür die Summe von 45.000 DM ein. Diese Untersuchung über die negativen Auswirkungen auf Kiebitz und Austernfischer wurde von zwei Biologen durchgeführt und stand ganz unter dem Zeichen der damaligen “Heiligsprechung” der Rabenvögel, d. h., a l l e praktischen Beobachtungen von Naturkennern der Insel, selbst wo diese durch Fotos belegt waren, wurden ignoriert. Trotzdem musste das Krähengutachten dann doch durch den Bewerter Dr. Knief die Feststellung treffen, “dass die Brutverluste hoch sind und der Bruterfolg für eine Bestandserhaltung nicht ausreichend ist”.
Ähnliche Erfahrungen – publiziert vor allem in der Jägerpresse (von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein in deren laufenden Mitteilungen aber hartnäckig verschwiegen) – wurden aber längst in der gesamten Bundesrepublik gemacht, und letztendlich erhielten die Rabenkrähen wieder eine Jagdzeit vom 1. August bis zum 21. Februar. Amrumer Jäger bemühen sich seitdem, die Menge der Krähen in Grenzen zu halten und erlegen allein im Revier Nebel jährlich etwa 500 Krähen – eine Anzahl, die mit jener im Krähengutachten von 1998 übereinstimmt und deutlich macht, welche Probleme auf der kleinen Insel Amrum entstehen, wobei zu den einheimischen Krähen natürlich noch etliche “Wintergäste” hinzukommen.
In früheren Jahrhunderten wurden die Krähen auf traditionelle Weise reguliert: weil sie keinen Brutschutz genossen, wurden Kräheneier von der Dorfjugend gesammelt. Beispielsweise lesen wir in der “Vogelwelt der Insel Amrum”, dass der Vogelwärter des Vereines Jordsand, Dr. Kumerloeve, im Jahre 1953 durch Jugendliche aus Wittdün 47 Kräheneier in den Wäldchen auf der Amrumer Südinsel sammeln ließ, was etwa 10 Gelegen entspricht. Der Verfasser weiß aus seiner Jugendzeit, dass in den Wäldchen bei Nebel und Norddorf Jugendliche unterwegs waren und im Nebeler “Wald”, in den kleinen Gehölzen auf der Inselheide und in der Vogelkoje Meerum kein Krähennest verschont blieb. Diese Vogelkoje übte auf uns Norddorfer Buben eine besonderen Anziehungskraft aus. Einige Jahre zuvor als Entenfanganlage stillgelegt, hatte sie noch immer den geheimnisvollen Reiz eines verbotenen Terrains aus der Zeit, als noch Enten gefangen wurden und das Betreten des Kojenumfeldes in der Fangzeit streng verboten war. Zuletzt noch hatte der vierschrötige Ernst Peters die Wildenten in die Pfeifen der Koje gelockt und gegringelt, und mit Ernst “Igel” (so sein Spitzname) war nicht zu spaßen. Aber wir m u s s t e n über den Graben in die Koje. Denn in den nun schon etwas herangewachsenen Birken gab es Krähennester, und in den mit Schafwolle gut gepolsterten kunstvollen Nestern die blaugrünen Kräheneier mit den braunen Flecken! Auch die oft astlosen glatten Stämme verhinderten nicht, dass wir hinaufkamen und im zusammengeknoteten Taschentuch die Eier nach Hause trugen und auspusteten. Auf ein Band gereiht, hingen sie über dem Bett, und jedes ausgepustete Krähenei war eine Heimsuchung weniger für die Amrumer Vogelwelt.
Als es im vorigen Jahrhundert auf Amrum noch von Wald- und Ostschermäusen wimmelte und Turmfalken und Waldohreulen einen festen Platz in der Amrumer Vogelwelt hatten, spielten die Nester der Krähen, so stabil gebaut, dass sie trotz Sturm und Regen sich jahrelang in den Bäumen behaupteten, eine wichtige Rolle. Sie waren nämlich die Brutstätten für die beiden genannten Arten, die selbst keine Nester bauen können. Wenigstens in dieser Hinsicht hatten die Rabenkrähen im Gesamtkreis des Naturlebens eine unverzichtbare Bedeutung. Und ungeachtet der scharfen Bejagung und Reduzierung des Bruterfolges konnten Krähen auf Amrum ihren Bestand sichern und waren flächendeckend immer vorhanden.
Die Menge der Rabenkrähen wurde noch ergänzt durch einen Vogel der gleichen Art, aber separaten geografischen Rasse – der Nebelkrähe (Corvus cornix). Die Grenze zwischen beiden liegt im Breitengrad von Amrum, im Süden die Rabenkrähe, im Norden und Osten die Nebelkrähe, wobei es ohne weiteres zu Kreuzungen kommt, bei denen die Jungen durch helle Federpartien im ansonsten schwarzen Federkleid gekennzeichnet sind. Solche “Mischlinge” sind auf Amrum häufig.
2024 Georg Quedens Urheberrecht beim Verfasser
Hallo,
Vielen Dank für diesen Artikel. Ich hätte dazu eine Detailfrage, die Herr Quedens als profunder Inselkenner sicher am Besten beantworten kann: In Bezug auf die Vogelkoje ist von einer Wassermühle die Rede. Mir war überhaupt nicht bekannt, dass es auf Amrum jemals eine Wassermühle gegeben hätte und ich kann mir, ehrlich gesagt, nur schwerlich vorstellen, dass in der Dünensenke Meeram genug Wasser vorhanden gewesen wäre, um wirklich eine Mühle zu betreiben. Ist das ein Tippfehler und es ist einfach nur ein Wehr zur Regulierung des Pegels im Kojenteich gemeint, das sicher ähnlich wie bei einer Wassermühle funktioniert hat? Oder hat es an der Koje wirklich mal eine Wassermühle gegeben? Für Aufklärung in dieser Hinsicht wäre ich sehr dankbar.
Viele Grüße aus Düsseldorf,
Daniel H. Friese