Mystische Orte auf Amrum 13 – Friedhof der Namenlosen       54°38´55´´ N  /  8°21´13´´ E …                                             


Friedhöfe stecken voller Mythen, Legenden und Geheimnisse. Oftmals legen sie auch Zeugnisse von Grab-, Landschafts- und Zeitgeschichte zugleich ab.

Amrum hat drei Friedhöfe. Den „Alten“, unmittelbar rund um die St. Clemens Kirche, hier sind insbesondere die „Sprechenden Grabsteine“ aus früheren Jahrhunderten zu bestaunen. Weiterhin gibt es auf der Feldmark am nördlichen Ortsausgang von Nebel den „Neuen Friedhof“, der 1938 eingerichtet wurde, und der v. a. seine Bedeutung gegen Ende des 2. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit erlangte, als viele Flüchtlinge und Heimatvertriebene nach Amrum kamen und hier insbesondere die Kindersterblichkeit enorm hoch war. Ihnen wird mit 49 Grabplatten gedacht.

Der Friedhof der Namenlosen gegenüber der Mühle …

Besonders mystisch erscheint dem Besucher der dritte Amrumer Friedhof, der „Friedhof der Namenlosen“, der einem Wäldchen vergleichbar und umrankt von Fliederbüschen am südlichen Ortsausgang von Nebel, auf der höchsten Erhebung des Ortes (ca. 18 Meter über NN), genau gegenüber der Amrumer Windmühle, liegt. „Es ist noch eine Ruhe vorhanden“ steht groß über dem Eingang geschrieben. Hier sind all die unbekannten, vorwiegend am Kniepsand angespülten Leichen beerdigt, die seit Errichtung der Gedenkstätte im Jahr 1906 auf Amrum angelandet sind. In diesem Friedhof befinden sich schlichte Holzkreuze die jeweils nur mit einem Datum versehen sind.

Es ist noch eine Ruhe vorhanden

Bevor feste Grabstellen eingerichtet wurden hat man die unbekannten Toten, zumeist wohl Seeleute, die über Bord gegangen waren und ertrunken sind, am Strand einfach sich selbst überlassen oder nur notdürftig und ohne jegliche Gedenkzeichen in den Dünen verscharrt. Ein rasches „unter die Erde bringen“ von Strandleichen war angezeigt, hatte man doch große Angst vor dem Einschleppen unbekannter und gefährlicher exotischer Krankheiten. In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte man sogar Wachhäuser eingerichtet aus denen Wächter am Strand nach angespülten Leichen Ausschau hielten.

Mit dem zunehmenden Seebäderwesen ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dann entsprechende Gedenkstätten eingerichtet „um gegenüber den bürgerlich-gebildeten Kurgästen nicht als unzivilisiert, ja barbarisch zu gelten“. Zunächst hat man auf Amrum die unbekannten Toten ohne entsprechende Markierungen in der Nordwestecke des Friedhofs begraben. Im Laufe der Zeit wurde jedoch der Platz knapp, nicht zuletzt auch nach einer Schiffshavarie im November 1903, als die schwedische Brigg „Ilma“ vor Amrums Südwestküste verunglückte, und in den darauffolgenden Tagen 9 Tote an den Küsten angeschwemmt wurden, 6 davon auf Amrum.

Es soll der damalige Nebeler Strandvogt Kapitän Carl Jessen gewesen sein, der das kleine Grundstück auf dem der Friedhof liegt, der St.-Clemens-Kirchengemeinde stiftete, um eben dort eine würdige letzte Ruhestätte für die Namenlosen zu errichten. Tatsächlich hatte jedoch die Gemeindevertretung nach der besagten Schiffshavarie noch im November 1903 die Anlage eines Friedhofs für Strandleichen beschlossen und Grund zur Verfügung gestellt und im Jahr 1905 eingerichtet.

Die erste Grabstelle 23.08.06

Schon immer mahlen die Amtsmühlen langsam, und nicht jedes Jahr wurden Tote angespült. So dauerte es bis zum August 1906, bis die erste Bestattung auf dem Friedhof stattfinden konnte. Die erste hier beigesetzte Strandleiche wurde am 23.8.1906 gefunden und seitdem bezeichnet das Datum auf jedem Holzkreuz stets den Tag der Leichenauffindung. Ähnliche Friedhöfe gibt es auf vielen nord- wie ostfriesischen Inseln, die ältesten befinden sich z. B. in Westerland auf Sylt (seit 1854), in List auf Sylt (seit 1865) und auf Spiekeroog (seit 1854).

Im Amrumer Sprachgebrauch heißt der Friedhof auch „Heimatlosenfriedhof“, wobei zu bedenken ist, dass die hier bestatteten menschlichen Überreste ja nicht heimatlos sind oder waren. Sie sind nur nicht in ihrer Heimat verstorben oder dort begraben. Somit ist die Bezeichnung „Friedhof der Namenlosen“ sicher zutreffender, kennt man doch die Namen der hier Bestatteten nicht.

Es sind 31 Kreuze in zwei Reihen, die die Gräber der unbekannten Namenlosen kennzeichnen, und eigentlich wäre auf diesem Friedhof noch viel mehr Platz für entsprechende Beisetzungen. Jedoch gelang im Laufe der Zeit dank neuer und moderner Untersuchungstechniken, wie z. B. DNA-Analysen oder Zahnstatusdokumentation, eine Identifikation und Überführung der Verstorbenen in ihre Heimat immer häufiger. Die letzten beiden unbekannten Strandleichen wurden am 28.9.1954 aufgefunden und hier bestattet.

Sieht man sich den Friedhof der Namenlosen genauer an, findet man zu den bereits erwähnten 31 Grabstellen noch ein weiteres hölzernes Kreuz. Es liegt abseits der beiden gegenüberliegenden Grabreihen, etwas versteckt, sozusagen in hinterster Reihe, und trägt das Datum 4.6.69. Tatsächlich gibt es also 32 Gräber und man stellt sich die Frage warum dieses Kreuz nicht in der Reihe der früheren Strandleichen liegt. Zudem erscheint das Holzkreuz im Gegensatz zu den 31 anderen Gräbern etwas geschmückt zu sein.

Des Rätsels Lösung liegt darin, dass es bekannt ist, wer in dieser Grabstelle beigesetzt wurde. Das Datum 4.6.1969 zeigt, wie bei den anderen Gräbern auch, das Auffindedatum an. Es war ein weiblicher Leichnam, der da ohne persönliche Papiere am Kniep angetrieben wurde. Nach eingehender Dokumentation und fotografischer Ablichtung der menschlichen Überreste wurde durch die damalige Amrumer Zahnärztin auch ein Zahnstatus erhoben. Dennoch wurde die Tote erstmal als unbekannt eingestuft und entsprechend auf dem Friedhof der Namenlosen begraben. Nun geschah dies eben alles zu einer Zeit wo Nachforschungen und Vermisstenanzeigen oftmals zu einem Erfolg führten, und so geschah es auch hier. Die Personalien konnten, nicht zuletzt eben durch die Erhebung des Zahnstatus, ermittelt und Angehörige ausfindig gemacht werden. Die Hinterbliebenen haben sich dann gegen eine Exhumierung und Überführung an den Heimatort entschieden, und so blieb es bis heute bei dieser Grabstelle auf Amrum. Es liegt also zu den 31 Unbekannten doch eine namentlich bekannte Tote auf den „Heimatlosenfriedhof“.

Die beiden letzten Grabstellen 28.09.54

Der Friedhof der Namenlosen hat auch Eingang in die Trivialliteratur gefunden. In dem Insel-Krimi „Die Namenlosen von Amrum“ (ISBN 978-3-95400-455-3) verfasst der Autor Jürgen Rath eine fiktive Kriminalgeschichte rund um den Friedhof der Namenlosen. Der Hamburger Jürgen Rath ist promovierter Historiker und hat sich vor dem Schreiben von Kriminalromanen auch einen Namen als Schifffahrtshistoriker und Sachbuchautor gemacht. Seit Jahrzehnten besucht er die Insel Amrum und hat hier 2015 auch seinen Kriminalroman vorgestellt. Dafür recherchierte er bei vielen Behörden, der Kirche und in Archiven um näheres über den Namenlosenfriedhof zu erfahren. Seine Ergebnisse sind dem Anhang des Buches beigefügt, ebenso ein Lageplan der Gräber, wie er zum Zeitpunkt der Erstellung im Roman vermessen wurde. Der Roman spielt im Jahr 1964, deshalb wird die oben beschriebene Grabstelle mit dem Datum 4.6.1969 auf 4.6.1959 rückdatiert, da es ziemlich unlogisch anmuten würde, wenn der dort begrabene Leichnam erst 1969 gefunden worden wäre.

Das 32. Grab

Der Lageplan in dem Roman ist heute so nicht mehr richtig, denn im Jahr 2011 wurde der Friedhof umgestaltet. Der bis dahin direkt an der Hauptstraße gelegene Eingang wurde aus Sicherheitsgründen an die Südseite der Anlage verlegt. Die Grabstellen sind jedoch an ihren ursprünglichen Stellen verblieben.

Noch heute ist dieser Friedhof unter der Obhut der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Clemens auf Amrum, die diesen Ort über die Ruhefrist von hier 30 Jahren hinaus bewahrt. Traditionell kümmern sich insbesondere auch die Konfirmandinnen und Konfirmanden des jeweiligen Jahrgangs um dessen Pflege. Ein hochwertig gedruckter Flyer zum Friedhof der Namenlosen liegt am Eingang zu diesem, sowie in anderen Gebäuden der Kirchengemeinde aus.

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Über Peter Totzauer

Dr. med. Peter Totzauer, Facharzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Anästhesie, Notfallmedizin, Spezielle Schmerztherapie, geb. 1954 in Fürth/Bay.,hat, bedingt durch den Beruf des Vaters, als Kind u.a. 4 ½ Jahre in Frankreich gelebt. Abitur 1974 in Köln, Studium der Humanmedizin an der Universität Bonn. Seit 1982 ärztlich tätig, davon viele Jahre als Oberarzt in der Anästhesie und als Leitender Notarzt in Euskirchen. War 2007 für ein halbes Jahr im Rahmen einer „Auszeit“ vom Klinikalltag bei seiner Lebensgefährtin Claudia auf Amrum. Dies hat ihm so gut gefallen, dass er seit Ende 2008 seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt ganz auf die Insel verlegt hat und hier seit 2010 mit in der „Praxis an der Mühle“ arbeitet. Er hat zwei erwachsene Kinder, sein Sohn ist niedergelassener Physiotherapeut in Neuss, seine Tochter ist Lehrerin an der Öömrang Skuul.

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