Es gibt da in Norddorf eine merkwürdige Bodenvertiefung, hier als „Das große Loch“ bezeichnet. Diese Senke befindet sich ortsauswärts zwischen den letzten beiden Häusern der Straße Bräätlun und erstreckt sich immerhin über ca. 4500 m². Ziemlich unscheinbar, jedoch merkwürdig anzusehen, fügt sich diese Bodentiefe in die Gegend ein. Es handelt sich nicht etwa um eine natürlich entstandene Landschaftserscheinung, sondern um eine besondere Art einer Baugrube: Hier wurden nach der Flutkatastrophe vom Februar 1962 Erdmassen für den Teerdeich, der die Norddorfer Marsch an der Ostseite schützt, entnommen. Heute ist diese Grube natürlich grün bewachsen und dient als Pferdekoppel oder Gartenanlage. Der Anblick dieser unnatürlich wirkenden Vertiefung, die dort zwischen zwei erhöht an den Rändern stehenden Häusern liegt, hat schon etwas Mystisches an sich, insbesondere wenn man nicht weiß, wieso hier dieses „Loch“ ist.
Es gibt in Norddorf noch eine weitere und noch viel größere Grube (ca. 9500 m²), die jedoch nicht so auffallend wirkt, da sie zugebaut ist. Es ist die große Senke unterhalb des Reiterhofs Andresen, in denen heute das Abenteuerland und die Strandkorbhallen stehen, auch hier war eine Materialentnahmestelle.
Der Teerdeich hat bislang die Norddorfer Marsch von einer weiteren Überflutung seit seiner Fertigstellung geschützt, obwohl es seitdem mehrere Sturmfluten gegeben hat, die mit ähnlich hohen Wasserständen als 1962 einhergingen (so z. B. Januar 1976, November 1981, Februar 1990). Der Deich wurde um einen Meter höher erbaut als der zuvor im Jahr 1935 errichtete.
Bei der Orkanflut 1962 brach dieser Deich in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar auf einer Länge von 150 Metern. Die Marsch wurde komplett überflutet und in den tiefer gelegenen Dorflagen drang das Wasser in Keller und Stuben ein. Der „Flutsaum“ lag in der Strandstraße kurz vor dem Hotel Seeblick. Schräg gegenüber erinnert hier eine Sturmfluttafel am Haus Quedens an diese Fluthöhe. Im Gegensatz zu Hamburg, wo es bei dieser Sturmflut 315 Tote gab und über 30.000 Menschen obdachlos wurden, waren auf Amrum keine Personenschäden zu verzeichnen. Jedoch richtete die Flut nicht nur in Norddorf enorme materielle Schäden an: Der Deich zwischen Steenodde und dem Seezeichenhafen zeigte einen Durchbruch von etwa 50 Metern, auch hier erinnerte einmal eine Sturmfluttafel am Büro des Seezeichenhafens an den hohen Wasserstand. Das Seezeichenhafengelände war komplett überflutet, Bojen und Tonnen waren verschwunden und einige Schiffe waren aus ihrer Verankerung gerissen worden und strandeten am Nordufer von Wittdün. Hier wurde auch die Brücke vollständig vernichtet und auch die Wittdüner Strandpromenade wurde unterhalb der Wandelbahn zerstört. Noch im Verlauf des Jahres 1962 wurde mit dem Neubau des Asphaltdeichs in Norddorf begonnen, die Wittdüner Brücke wurde durch eine neue Balkenbrücke ersetzt und erst 1976 wurde der heutige Fähranleger erbaut. Die Strandpromenade wurde notdürftig repariert und durch eine Sandvorspülung geschützt und erst sehr viel später wurden die „Obere“ und „Untere Wandelbahn“ in ihren heutigen Formen geplant und gebaut. Die endgültige Fertigstellung erfolgte in den Jahren 2007 und 2008.
Auf Föhr haben die Deiche bei der Flut von 1962 übrigens gehalten und wurden auch nicht überspült. Als Grund hierzu wird angenommen, dass durch die Amrumer Deichbrüche bei Norddorf und Steenodde der große Druck im Wattenmeer gerade noch rechtzeitig abgenommen hat. Dennoch wurden in der Folge auch auf Föhr die Deichkronen erhöht, hier hat man das Material aus dem Watt entnommen, wodurch vor Utersum ein großer Priel entstand, der heute den Wattwanderern einen direkten Weg verhindert. Diese müssen seitdem einen großen Bogen um diesen Priel machen und können nicht mehr, wie in früheren Zeiten, von und nach Utersum gehen, sondern müssen einen Umweg über Dunsum nehmen.
Die Flutkatastrophe von 1962 ging als „Jahrhundertflut“ in die Geschichte ein und hat dafür gesorgt, dass der Küstenschutz und Deichbau auch in Deutschland weiter vorangetrieben wurde. Bislang haben auf Amrum die millionenschweren Küstenschutzmaßnahmen ausgereicht um derart exzessive Schäden wie 1962 zu verhindern, auch wenn nach Sturmfluten regelmäßig gewisse „Landverluste“ im Bereich der Dünen, vornehmlich im Bereich zwischen Strandübergang Norddorf und der Nordspitze, sowie an der Wattseite im Bereich Ual Aanj zwischen Nebel und Steenodde, zu verzeichnen sind. Die letzten großen Flutschäden anderorts, wie die Ostseefluten im Oktober 2023 und Januar 2024, sind vielen noch in Erinnerung. Auch die durch Starkregenfälle hervorgerufenen Flutschäden an der Elbe im August 2002 und im Juni 2013, die Ahrtalflut im Juli 2021, sowie die diesjährigen Flutkatastrophen u. a. in den Nachbarländern Deutschlands zeigen, dass Schutzmaßnahmen gegen Überflutungen niemals fertig sind, sondern, gerade auch im Zeichen des Klimawandels, stetig vorangetrieben und verbessert werden müssen. Täglich sind die Mitarbeiter des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN.SH) auch auf Amrum im Einsatz um die Insel gegen Flutschäden zu sichern. Für ihre wichtige und aufopferungsvolle Arbeit sei an dieser Stelle ein großer Dank ausgesprochen.