Auf Spurensuche: Die Tragödie der norwegischen Bark »Ilma«, 1903


Im Spätsommer diesen Jahres besuchte das Ehepaar Liv Haug und Terje Auerdal aus Oslo die Insel Amrum, um die Stätten zu besuchen, die sie an den Tod ihres Urgroßvaters Gjert Olsen Björndal erinnern. Dazu gehörten der südwestliche Seebereich vor Amrum, der Kniepsand bei Wriakhörn, die Evangelische Ka­pelle in Wittdün und der Friedhof der St. Clemens-Kirche in Nebel.

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Liv Haug und Terje Auerdal

Geschehen war im November des Jahres 1903 folgendes:
Am 24. November 1903 segelte die norwegische Drei­mastbark »Ilma«, aus dem Vortrapp-Tief kommend, in das Land-Tief bei Wittdün-Wriakhörn und ging hier zur Nacht vor Anker. Vermutlich brach bei aufkommendem Sturm der Anker, so dass die Bark auf Grund lief. Durch den Amrumer Leucht­turmwärter, der den Auftrag hatte, die Vorgänge auf See ständig zu beobachten, wurde die Station Süd mit dem Ruderrettungsboot »Elberfeld«, Vormann Carl Philip Meyer (1850-1935), alarmiert.
Das Rettungsboot konnte aber wegen der schweren See nicht auslaufen und erst am Folgetag – zusammen mit dem Amrumer Tonnenleger, Kpt. Gerret Ricklefs, die Strandungsstelle erreichen.
Hier wurde ein bereits Leck ge­schlagenes Schiff ohne Besatzung vorgefunden, so dass das Rettungs­boot zurückkehrte. Aber was war mit der Besatzung der Bark geschehen?

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Die norwegische Bark “Ilma”

Am Abend des 24. hatte der in Wittdün ansässige Hotelier Carl Quedens ein Licht beobach­tet, das draußen bei Wriakhörn hin- und herwanderte, plötzlich verschwand und nicht wieder auftauchte. Von Unruhe befallen, informierte er seinen Vater, den Strandvogt Volkert Quedens. Als dieser bei Tagesanbruch zum Strande lief, fand er fünf gefüllte Kleidersäcke und ein leckgeschlagenes Ruderboot, das von der Dreimastbark stammen musste. Im Sturm fielen mittlerweile die Masten der Bark, die schließlich auseinanderbrach. Die Ladung – Gruben­hölzer für Schottland bestimmt – bedeckte bald den Strand und die Amrumer Strandvögte hatten alle Hände und Fuhrwerke voll zu tun, um diese zu bergen.
Dann trieb am Wittdüner Strand eine Leiche an. Und als am folgenden Tag der Wind nach Osten drehte und dadurch eine tiefere Ebbe eintrat, konnte man die Sandbank am Rande der Land-Tiefe betreten. Hier fand man dann sechs weitere Leichen, jeweils in Abständen von etwa 20 Metern. Darunter auch, nach Ausweis der Papiere, Kapitän Erik Andreassen, 54 Jahre alt, aus Drammen.

Carl Quedens, der unmittelbare Beobachter dieser Tragödie, notierte in seinen Aufzeichnungen die folgende und wahrscheinliche Theo­rie:
Die norwegische Bark »Ilma« ging im Land-Tief vor Anker, wurde aber in der Nacht nach dem Bruch der Ankerkette durch den Sturm auf die Sandbank geworfen, so dass die Besatzung im Ruderboot die »Ilma« verließ und Richtung des Amrumer Leuchtturmes ruderte. Dann gerieten sie an die genannte Sandbank und glaubten, den Kniepsand und damit sicheres Land auf Amrum erreicht zu haben. Sie ver­ließen das Ruderboot und wanderten auf den Leuchtturm zu. Doch dann standen sie mit der Laterne, deren herumwanderndes Licht Carl Quedens sah, vor einem tiefen Priel, der hoch zwischen den Gestrandeten und dem Kniepsand lag. Sie wanderten herum, konnten aber keinen Übergang finden. In der Dunkelheit trieb zwischenzeitlich das Ruderboot in der schnell aufsteigenden Flut davon. Die ganze Besatzung ist dann unter furcht­baren Umständen in der Flut ums Leben gekommen.

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Der Steuermann Gjert Olsen Björndal

Carl und Volkert Quedens beförderten die Toten mittels Pferdefuhrwerk zur Evangelischen Kapelle in Wittdün (1903 gerade erbaut), wo sie zunächst aufgebahrt wurden.
Zwei Leichen trie­ben noch am Nebeler Strand an und wurden von dem dortigen Strandvogt Johannes Jensen geborgen. Nur eines der 10 Besatzungsmitglieder blieb verschwunden.

Neben dem Kapitän konnten noch zwei weitere der ertrunkenen Seeleu­te identifiziert werden: der Jungmann
Karl Thomassen und der aus Kopenhagen stammende Alfred Raabek. Als die 9 Toten drei Tage später in der Nordwestecke des St.Clemens-Friedhofes begraben wurden, war auch Raabeks Vater aus Kopenhagen angereist und ließ dem Sohn einen Grabstein setzen, der noch in den 1930er Jahren vorhanden war. Für die anderen Toten der »Ilma-Tragödie« gab es keine Markierungen – wie auch für die vielen anderen Toten der Strandungsfälle im See­bereich von Amrum, die in der Nordwestecke begraben wurden. Erst im Jahre 1906 wurde auf der Anhöhe der Nebeler Windmühle der heute noch bestehende »Heimatlosenfriedhof« eingerichtet. Im Laufe der letzten 300 Jahre sind über 400 Schiffe im Seebereich bei Amrum gescheitert, einige Hundert Seeleute ertrunken (im De­zember 1863 auch 9 Männer von Amrum). Aber die Strandung der »Ilma« im Jahre 1903 wurde hinsichtlich der 10 Toten bis dato nicht über­troffen .

Georg Quedens

 

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