Am Abend des 21. Aprils 2010 ist die evangelische Kapelle in Wittdün sehr gut besucht.
Es herrscht eine erwartungsfrohe Spannung unter den Gästen, die bereits auf den Holzbänken Platz genommen haben. Als die Klarinette beginnt, verstummen alle Gespräche, und bald darauf setzt das Bandoneon mit seinem ersten Atemzug und einem langen Seufzer ein. Dieses außergewöhnliche Instrument ist gerade mal 2 Jahre jünger als die Wittdüner Kapelle. Es wurde 1905 gebaut und ist eine Art Harmonika, die vor fast 150 Jahren in Deutschland erfunden wurde. Die größte Berühmtheit hat dieses Instrument aber in Südamerika, wo es als das Tango-Instrument bekannt ist. Tango-Musiker Raul Jaurena, gebürtiger Uruguayer, ist weltweit einer der führenden Bandoneon-Spieler und gleichzeitig ein großer Liebhaber der Klarinette. Somit wundert es einen nicht, dass das Bandoneon an diesem Abend im Duett mit der Klarinette von dem Musikprofessor Bernd Ruf aus Lübeck erklingt. Bernd Ruf ist nicht nur ein begnadeter Klarinettist sondern auch Dirigent und bekannt für seine genreüberschreitenden Projekte. Die beiden Musiker arbeiten bereits seit vielen Jahren zusammen, doch das Duett „Jaurena Ruf Projekt“ ist eine Premiere. Auf ihrer Tournee spielen sie dabei vorwiegend in Kirchen und Kapellen sowie an diesem Abend. Die Lieder sprechen den gesamten Lebenszyklus an, erklärt Bernd Ruf, und welches Gebäude kommt mehr mit den verschiedenen Stationen im Leben eines Menschen wie Geburt, Liebe und Tod in Berührung als die Kirche? So „erzählen“ das Bandoneon und die Klarinette von Freundschaft und Abschied und natürlich vom Tango, dabei ergänzen sie sich wie zwei alte Freunde beim Schwelgen in Erinnerungen, mal kräftig und mal ganz sanft. Ihre Musik sei dafür da, den eigenen Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen, sagt Bernd Ruf, die Titel würden nur als Stichworte dienen. Und die begeisterten Zuhörer lauschen und denken an verlorene Lieben und an die Geburt ihrer Kinder oder auch an den Tod eines geliebten Menschen. Und bei den Tangoelementen, juckt es bestimmt auch den einen oder anderen in den Füßen, aufzustehen und zwischen den Bänken einen feurigen Tango hinzulegen. Die größtenteils von Raul Jaurena komponierten Stücke werden von den Musikern leidenschaftlich und virtuos gespielt, so dass selbst die Klarinette zu einem wirklich außergewöhnlichen Instrument wird. Da ist es nicht verwunderlich, dass bei der Ankündigung des letzten Stücks ein deutlich vernehmbares enttäuschtes Raunen durch die Reihen geht und eine Zugabe gefordert und gegeben wird. Die dazugehörige neu erschienene CD „Tango Tales, Para vos y para mi – für dich und für mich“ kann bei den Konzerten käuflich erworben werden. Raul Jaurena und Bernd Ruf werden noch bis Anfang Mai in verschieden Orten in Norddeutschland zu hören sein und man sollte sich diese „Tangoerzählungen“ auf keinen Fall entgehen lassen.
Verantwortlich für diesen Artikel: Katrinna Reichel