Schollen und Butt für die Hausversorgung
Der bisher beschriebene Fischfang wurde nur von wenigen Insulanern mehr oder weniger lange neben der Eigenversorgung auch berufsmäßig betrieben, von anderen nur saisonbedingt oder wenige Jahre lang – aber der Fang von Plattfischen wurde durch Jahrhunderte bis zur Gegenwart von vielen Insulanern zur Selbstversorgung ausgeübt.
Plattfische kommen in etlichen Arten fast ganzjährig im Wattenmeer und in der Flachwasserküste unserer Nordseeinsel vor. Am bekanntesten ist wohl die Scholle (Pleuronectes platessa), auch Goldbutt genannt. Ihr Erkennungsmerkmal sind die rötlich-orangen Flecken auf der Oberseite und den Flossen. Schollen können bis zu 50 Jahre alt werden und eine Länge von bis zu knapp einem Meter erreichen, allerdings nicht an unseren Küsten, wo sie früher oder später gefangen werden. Etwa ebenso häufig und vor allem im Wattenmeer vertreten ist die Flunder (Platichthys flesus). Sie wird auf friesisch auch “moderbot” (gespr. Modderbott) genannt, weil sich bei den Fischen im Wattenmeer auf der weißen Unterseite nicht selten kleine und große braune Flecken entsprechend ihrer Lebensweise auf dem Schlickboden bilden. Solche Flundern sind als Nahrungsmittel weniger gefragt, weil der Modergeschmack im Fleisch spürbar ist. Daneben spielte auch die sehr ähnliche Kliesche (Limanda limanda) eine Rolle. Und für einige Wochen im Spätherbst taucht dann auch die Scharbe, hier Sandscholle (Hipplossoides platessoides) genannt, auf.
Plattfische wurden auf verschiedene Weisen gefangen. Einige Insulaner errichteten im Watt oder an der Seeseite der Inseln “Fischgärten”, friesisch “faskguarder”, wofür allerdings Hunderte meterhohe, dünne Pfähle gebraucht wurden. Sie wurden in V-Form in den Boden gesteckt, mit der Öffnung gegen den Ebbestrom. Wenn bei Ebbe die sich im Watt tummelnden Fische zurück in die Nordsee wollten, wurden sie von den Pfahlreihen in die Reusenanlage an der Spitze des Fischgartens geleitet und konnten bei Niedrigwasser ohne weiteren Aufwand eingesammelt werden. Am aufwendigsten bei dieser Art des Plattfischfangs war das Beschaffen und das Einrammen der Pfähle. Später wurden auch der Einfachheit halber Netze für die Leitwände verwendet. Die Fischgärten hatten den Vorteil, dass nicht nur Plattfische, sondern auch Hornfische, manchmal auch Aale (Auguilla anguilla) und andere in Küstennähe heraufgeschwommene Fische gefangen wurden.
Aber auch mitten im Sommer, bei warmem Wetter, waren Schollenfischer unterwegs – mit einem Siebenzack, dem “Pregger”. Mit diesem Gerät wurden die bei Ebbe auf dem Prielgrund eingebuddelten, ruhenden Plattfische erbeutet, wobei die Fischer bis zum Hintern bzw. Bauch auch im Priel wateten und ständig mit der Pricke vor sich her stocherten, um einen Fisch aufzuspießen. Nur selten flüchteten die Schollen, eine Spur von aufgewirbelten Sandwolken hinterlassend, vor dem “Schollenstecher” davon.
Am häufigsten wurde den Plattfischen jedoch mittels Grundleinen nachgestellt. An diesen Leinen, an einem Ende befestigt an einem kleinen Pfahl, am Ende beschwert mit einem Stein oder Eisen, waren 20-30 Seitenschnüre (Vorfächer) mit Angelhaken angebracht, die mit Wattwürmern beködert wurden. Am Anfang stand also zunächst das Ausgraben dieser Würmer mit einer speziell beim Dorfschmied angefertigten Wurmforke. Die Würmer wurden dann auf die Angelhaken gezogen, öömrang “iarse” genannt. Die Hukerleine wurde bei Ebbe auf dem Watt- oder Meeresboden, meistens an den Rand eines Prieles oder in einer Bodensenke, ausgelegt und das Weitere dem Gezeitenwechsel überlassen. Mit der Flut kamen die Fische, bissen an und wurden bei der nächsten Ebbe nach dem Trockenfallen der Fangleine von den Haken genommen, die dann neu beködert wieder ausgelegt wurden. So ging es mit den Gezeiten hin und her, und nicht selten mussten die “Huker” sehr früh am Morgen oder spät am Abend gewartet werden. Wehte ein steifer Westwind, lauerte man oft im Windschutz einer Stranddüne, bis die Hukerleine auftauchte. Und weil im Herbst und im Frühjahr nicht selten blauschwarze Wolkenwände mit kräftigen Regenschauern aufzogen, baute man im Windlee der Stranddünen die sog. “Hukerhösken”, mit Strandholz und Strandhafer abgedeckte Höhlen, damit man die Unwetter überstehen konnte. Gefangen wurde von März bis Mai, und dann war es erst einmal mit der Hukerei zu Ende – nicht weil es an Plattfischen fehlte, sondern weil mit dem Sommer die Strandkrabben zur Küste kamen und die Köder von den Angelhaken fraßen, so dass es keinen Anbiss von Fischen mehr gab. Im Herbst gab es die gleiche Situation: Solange sich Mengen von Strandkrabben bei Flut in den Küstengewässern tummelten, konnten keine Huker ausgelegt werden. Man musste warten, bis kühleres Wasser die Strandkrabben wieder in die tiefere Nordsee vertrieben hatte.
Die Hukerei bei Amrum hatte ihre besonderen Akzente. An den Hukern auf dem Watt zwischen Amrum und Föhr wurden in der Regel “Moderboten”, also Flundern mit braunen Bauchflecken gefangen. Auf der Seeseite am Nordseestrand waren es überwiegend Goldbutte. Im Spätherbst, wenn ihre Zeit plötzlich vorbei war, wurden über Wochen Sandschollen gefangen, die damals als “minderwertig” galten, aber natürlich auch mitgenommen und in der Küche verwertet wurden (heute gelten Sandschollen, vom Amrumer Fischer Thaden zu bestimmten Zeiten an Land gebracht, als Delikatesse!). Waren dann gegen Jahresende auch die Sandschollen verschwunden, wurden noch über Woche kleine Dorsche (Gadus morhua) gefangen. Immer wieder gab es auch Zeiten, in denen Aalmuttern (Zoarces viviparus), öömrang “elkooner” genannt, an den Hukerhaken hingen. (Alle Daten stammen aus dem eigenen Erleben in der Jugendzeit nach Kriegsende 1945-47).
Es gehört zu den Absurditäten der Geschichte, dass in der Nazizeit die Verfolgung und Ermordung von Menschen zur Staatsregel wurde, aber der Naturschutz und die Wildpflege ganz hoch geschrieben wurden. 1934/35 wurden die Reichsjagd- und Naturschutzgesetze erlassen und beide Arten des Plattfischfangs wegen “Tierquälerei” verboten – das Schollenstechen wegen des Aufspießens, und das Hukern, weil die gefangenen Fische oft lange liegen mussten, ehe gezeitenbedingt die Huker versorgt werden konnten. Nach “alter Tradition” wurden diese Verbote auf Amrum aber zunächst kaum beachtet. Und sie verloren ihre Gültigkeit vollends, als in den nachfolgenden Kriegs- und Nachkriegsjahren die Nahrungsnot andere Maßstäbe setzte. Ab Februar 1945 wurde Amrum mit Flüchtlingen aus dem deutschen Osten überfüllt, und Natur- und Tierschutz spielten keine Rolle mehr. Etliche Insulaner legten nun wieder im Seebereich von Amrum ihre Huker aus, ebenso die Ostflüchtlinge, und keine Polizei kümmerte sich darum. Erst nach 1950, als die Flüchtlingen umgesiedelt waren und die Amrumer mit dem Wiederaufleben des Fremdenverkehrs Wichtigeres zu tun hatten, als Wattwürmer auszugraben und sich bei Wind und Wetter um Angelleinen zu kümmern, fand das Hukern ein Ende.
Aale aus dem Winterschlaf gestochert
Über den Fang von Aalen liegen aus dem alten Amrum fast keine Berichte vor. Bekannt ist nur der Brief des Norddorfer Lehrers Johann Martensen (1813-1894) mit einem Hinweis auf das Erbeuten der Aale, wenn “sie im Schlick ihren Winterschlaf halten”. Dies geschah im “Selke”, einer heute noch vorhandenen Wasserquelle unterhalb des östlichen Norddorfer Ortsrands, als die Wiesen “Oner Auer” noch uneingedeicht zum Wattenmeer lagen und von dort aus die Aale im Spätherbst einwanderten, um sich für die monatelange Winterruhe zu vergraben. Sicherlich wurde im Winter auch an anderen Stellen im Küstenbereich von Amrum den Aalen nachgestellt, und zwar mit dem “elger”, einem Gerät zum Aufspießen, deutsch “Aalspeer” genannt. Wie die Schollenpricke, so wurde auch die “Aalpricke” 1934 verboten, blieb aber noch lange in etlichen Inselhäusern vorhanden und ist heute museal zu besichtigen. Zuletzt wurde damit noch in den “Aalkuhlen” bzw. “Flachten”, metertiefen Wasserkuhlen auf dem Kniepsand, gestochert. Zu diesen Kuhlen gelangen im Herbst die Aale in Mengen über den Kniepsand, natürlich auch mit Sturmfluten, wenn die Nordsee bis an den Dünenrand kam. Aber sie konnten auch über den trockenen Sand wandern! Ganz selten wurde auch mal ein Aal an den Hukern gefangen.
Als konzentrierter Aalfischer ist aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nur noch Julius Schau (1879–1972) bekannt. Julius hatte ein kleines Segelboot, das er quer über einen Priel im Watt zwischen Amrum-Odde und Föhr verankerte. Außenbords mit einer Kiste behängt, deren Boden mit einem Maschendraht versehen war. Im Boot saß Julius mit einer bemerkenswerten Fangvorrichtung, einem Bündel von Wattwürmern, die auf Wollgarn aufgezogen waren. Mit diesem Bündel am kurzen Stock “spielte” er im Wasser auf und ab, und wenn ein Aal anbiss, wurde er über die offene Kiste gehoben. Es dauerte eine kurze Zeit, ehe sich die Zähne des Aales aus den Wollfäden gelöst hatten und der Fisch in die Nordsee zurückflüchten konnte. “Aalpöddern” wird diese Art des Angelns auf Hochdeutsch genannt. Mitte des vorigen Jahrhunderts war Julius Schau faktisch der Alleinherrscher im nördlichen Watt zwischen Amrum und Föhr, und er wurde sehr ungehalten, wenn andere sich in diesem Revier zu schaffen machten, beispielsweise als wenige Jahre nach Kriegsende Amrum-Amerikaner zu Besuch in der Heimat waren und den Priel “Präästers-Lua” mit seinen kleinen Nebenflüssen mittels Schleppnetz durchfischten und einige Eimer voller Aale erbeuteten. Er war aber eben nicht Besitzer des Wattenmeeres und hatte auch keine amtlichen Rechte.
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