Vom Fischen und Jagen in alten Tagen (Teil 1)


Frei ist der Fischfang,
frei ist die Jagd,
frei ist der Strandgang
und frei ist die Nacht!
und frei ist die See, die wilde See
und die Hörnumer Ree(de)

Dieses alte Strandräuberlied kennzeichnete das Leben im alten Amrum mit der fast zügellosen Ausübung von Fischfang, Jagd und Strandgang. Und damit einbezogen war die Reede von Hörnum, denn die Sylter Südspitze war faktisch ein zu Amrum gehörendes Revier. Die lange südliche Nehrung ist etwa 19 Kilometer lang und gehörte früher zur Gemeinde Rantum. Aber Rantum mit seinen wenigen, vom Wasser und von Wanderdünen bedrohten und teilweise schon in der Nordsee versunkenen Häusern (Brunnenringe tauchten noch um 1900 am Weststrand auf) lag etwa 15 Kilometer von Hörnum Odde entfernt, das hinter Dünenvorsprüngen sowohl an der West- als auch an der Ostseite von Rantum aus nicht zu überschauen war. Hin- und Rückweg bedeuteten deshalb einen Tagesmarsch.

Aber im Amrumer Naturhafen Kniep, am Norddorfer Strand, lagen die Segelboote der Austernfischer, der Seehundsjäger und Strandläufer. Und es dauerte keine Stunde, ehe die Amrumer nach Hörnum gesegelt waren. Deshalb waren die Möwenkolonien mit ihren Eiern und die Strände von Hörnum mit ihrem Wrackholz und sonstigem Strandgut jahrhundertelang das Revier der Amrumer – von den Rantumern nur mit Flüchen akzeptiert. Erst die Besiedlung von Hörnum durch eine Hamburger Seebäder-Reederei ab Anfang des 20. Jahrhunderts machten diesem Zustand ein Ende.

Auf Amrum hatte das altertümliche Erwerbsleben noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts althergebrachte, geradezu mittelalterliche Züge. Handwerk hatte keinen goldenen Boden. Die heutigen vielfältigen Berufe waren noch Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Insel unbekannt. Zwar nennt eine Volkszählung im Jahre 1850 für Amrum zwei Zimmerleute und zwei Schneider, aber das waren keine vollwertigen Erwerbsberufe. Die meisten Insulaner waren nämlich ihre eigenen Handwerker und beherrschten auch die “klassischen” Gewerke vom Hausbau bis zum Brotbacken. Es gab auch nur sehr wenige staatlich bezahlte Arbeitsplätze, und die wenigen, wie Zollkreuzmatrosen, Leuchtturmwärter und Tonnenleger, waren hochbegehrt. Aber selbst Pastoren und Lehrer mussten noch einen Teil ihres Einkommens durch Landwirtschaft auf dem “Dienstland” bestreiten.

Ein nicht unwesentlicher Teil des Erwerbslebens war noch bis Ende des 19. Jahrhunderts zur See gewandt, beginnend mit der kleinen Küstenfischerei und dem saisonbedingten Austernstrich mit eigenen Booten, beschränkter Frachtschifferei für die Inselversorgung und natürlich die weltweite Seefahrt, vom Walfang im Eismeer bis zur Handelsseefahrt über alle Meere der Welt – vom Schiffsjungen bis zum Kapitän, von denen es immer einige in den Inseldörfern gab.

Aber groß war auch die Armee der “Dagleiere”, der Tagelöhner, die ein nur gelegentliches Einkommen verzeichneten. Dazu gehörte auch die Vielzahl der Seemannswitwen. Als Erwerbsquelle gab es die saisonbedingte Arbeit in der Landwirtschaft (die auf Amrum aber nicht gerade in höchster Blüte stand) und für die Ärmsten der Armen das “Riapertren”, das Drehen von Seilen aus Dünenhalm. Erst der Staatswechsel von Dänemark zu Preußen/Deutschland 1864/67 und dann insbesondere die Gründung der Seebäder ab 1890 förderten eine Fülle neuartiger Berufe und Einkommensmöglichkeiten. Aber unverändert spielte die Inselnatur mit Fischen und Jagen für den persönlichen Bedarf und für den Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung eine große Rolle!

Und auf Amrum wurde die Nutzung der Natur – wie damals allgemein üblich – rigoros betrieben. Eiersammeln, Seehundsjagd, Entenfang in der Vogelkoje und die Jagd auf Wildgänse und andere Tiere wurden fast hemmungslos ausgeübt. Naturschutz war ein unbekannter Begriff, und die ersten, oft lokalen Verordnungen waren nicht bekannt oder wurden missachtet.

Heringsfischerei bei Helgoland im 15./16.Jahrhundert

Wenn Journalisten Reiseberichte über die Insel Amrum schreiben, verwenden sie dann und wann die Begriffe “Fischerinsel” und “Fischerdörfer”. Aber Amrum, obwohl weit draußen in der Nordsee liegend, ist nie eine Fischerinsel mit Fischerdörfern gewesen! Es gehört zu den Eigenarten der Geschichte, dass berufsmäßige Fischerei immer nur kurzzeitig und von Wenigen betrieben wurde. Als beispielsweise im 15./16. Jahrhundert bei Helgoland in der Laichzeit riesige Heringsschwärme erschienen, nahmen von Sylt an die 10 Kutter an der Fischerei teil. Auch von Föhr fuhren etliche Kutter nach Helgoland. Aber von der viel näher gelegenen Insel Amrum melden die Register der “Riemengelder” nur zwei Personen.

Eine Notiz im Tagebuch des Austernvorfischers Roluf W. Peters aus dem Jahre 1873 verrät, dass er nach dem saisonbedingten Ende der Austernfischerei für einige Wochen mit seinem neuen Kutter “Hotspur” noch Schollen im hiesigen Wattenmeer fischte, die er nach Römö und Wyk lieferte. In den 1930/40er Jahren wurden dann als sporadische Fischer mit dem Schiff “Graf Luckner” Vater und Sohn Meinhard und Detlev Boyens aus Norddorf bekannt. Aber in der Gesamtgeschichte der Insel Amrum hat die gewerbsmäßige Fischerei fast keine Rolle gespielt, und es ist nix mit Fischhäusern und Friesenfischern. Vermutlich dürfte das Fehlen größerer Absatzmärkte (Husum, Hamburg) in passabler Nähe eine Ursache dafür gewesen sein, dass eine Insel, von der Nordsee und vom Wattenmeer umflutet, keine Fischereitradition nachweisen kann.

Umso mehr waren aber im alten Amrum für den Hausgebrauch bzw. für die eigene Versorgung verschiedene Methoden der Fischerei in Gebrauch, und dazu gehörte der Fang von Rochen, vermutlich Nagelrochen (Raja clavata) und Glattrochen (Dipturus batis), die beide im Jugendstadium in flacheren Küstengewässern vorkamen bzw. vorkommen. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts spielten Rochen für die inselfriesische Küstenfischerei eine große, ja eine dominierende Rolle. Der Amrumer Knud Jungbohn Clement schrieb Mitte des 19. Jahrhunderts, dass “der Rochenfang von Anfang April bis in den Juni hinein sehr ergiebig war, manchmal 1000 Stück aufs Mal. Die Pfähle wurden jedes Jahr gesetzt und wieder aufgenommen, denn es war in der See (…)”. Das heißt, die Fanganlagen standen an der Seeseite von Amrum, wo sie durch Gezeitenströmung und Brandung gefährdet waren. Die Anlage bestand aus Reihen dicht eingerammter Pfähle, zwischen denen Netze gespannt waren. Nach anderen Berichten waren die Pfahlreihen auch so eng, dass die Rochen mit ihren breitflügeligen Körpern nicht hindurch kamen, wenn sie bei Ebbe in die Nordsee zurückschwammen, und die Pfahlreihen und die Netze waren so eingerichtet, dass sie schon bei halber Ebbe aus dem Wasser ragten und die Rochen, die darunter liegen blieben, mühelos eingesammelt werden konnten.

Der Nagelrochen war früher sehr häufig

Wie gewöhnlich die Rochenfänge noch im 18./19. Jahrhundert waren, beweist auch der Hinweis von Clement, dass auf dem Tisch den ganzen Tag eine Schüssel mit Rochen stand, wie heute eine Schüssel mit Obst. “Geschichte” machten die Rochen aber vor allem auf der Nachbarinsel Sylt. Hier sollen nach alten Erzählungen die getrockneten Rochenschwänze mit ihren kräftigen, nach unten gebogenen Stacheln dazu gedient haben, Steuereintreiber des Amtshauses zu vertreiben oder Priestern den “Zehnten” zu verwehren. Die Sylter mussten auch jährlich eine Rochensteuer zahlen, noch etliche Jahrzehnte, nachdem die Rochenfischerei schon gar nicht mehr betrieben wurde. Auf Amrum hingegen hat der Rochenfang keine “amtlichen” Papiere hinterlassen. Amrum gehörte zum Königreich Dänemark, und die Behörden forderten keine Steuern. Sylt dagegen war mit Ausnahme des Listlandes Teil des schleswig-holsteinischen Herzogtumes und hier, im deutschen Teil, galten andere, strengere Maßstäbe.

Mit dem Rochenfang ging es dann ganz plötzlich Ende des 19. Jahrhunderts zu Ende. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Rochenfang noch einmal erfolgreich wiederaufgenommen, jedoch war es damit auch wieder rasch vorbei, weil es plötzlich keine Rochen mehr an der Küste gab. Warum, dafür gibt es keine Erklärung.  Rochen sind bis dato unverändert verschwunden. Sie kommen faktisch auch nicht oder sehr selten in den Netzen der Krabbenfischer vor. Nur die schwarzbraunen, streichholzschachtelgroßen Eikapseln werden noch, wenn auch immer seltener, am Strand gefunden.

Der Hornfisch, auch Hornhecht

Aber auch andere Massenfische sind an der hiesigen Küste selten geworden. Hornfische (Belone belone) werden wohl noch in den Fischgärten gefangen, die im Frühjahr an Föhrer Wattenmeerküsten aufgestellt werden, aber nur noch in überschaubaren Mengen.

Den mit der Flut auf das Watt heraufschwimmenden Fischen bei Ebbe den Weg zurück zur Nordsee zu versperren, war eine Fangmethode, die über Jahrhunderte bis in die Gegenwart betrieben wurde, so auch beim Fang der Hornfische. Hornfische erscheinen im Mai-Juni, um im flachen Wasser in Küstennähe zu laichen. Ausgewachsene Weibchen legen bis zu 35.000 Eier ab, die an Pflanzen und festen Gegenständen festkleben und aus denen nach etwa fünf Wochen die Jungen schlüpfen, denen später der lange, spitze Schnabel wächst. In der Bratpfanne fallen sie auf durch lange, grüne Gräten.

Victor Quedens mit Sperrnetz

Als Hornfischer machte sich auf Amrum vor allem Victor Quedens (1876-1964) einen Namen. Er hatte sich einen aus Strandholz zusammengesetzten Unterstand im Dünenwall am Ostufer der Odde gezimmert (“Schloss am Meer”) und belauerte von hier aus das Geschehen im Wattenmeer. Wenn die Hornfische zogen, versperrte er einen ufernahen Priel mit einem Stellnetz und sammelte bei Ebbe die hier hängengebliebenen Fische ein – nicht selten mehrere Eimer voll. Damit zog er dann zwecks Verkaufs durch Norddorf, aber auch durch die Dörfer von Westerlandföhr und war hier bekannt wie ein “bunter Hund”.

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