In Nebel – ein historisches Gebäude vor dem Ende


 

“Die Gemeinde Nebel auf Amrum plant den Abriss und Neubau des bestehenden “Haus des Gastes””, heißt es in einer kürzlich erschienenen Anzeige der Gemeinde, “(…) und für den Neubau ist ein offener, zweiphasiger Planungswettbewerb vorgesehen, mit dem Ziel, den besten Lösungsvorschlag zu erhalten”. Für den Neubau werden vier Millionen Euro veranschlagt. In dieser Anzeige, wie auch in den vorherigen Verhandlungen und Beschlüssen im Gemeinderat, wird von Abriss und Neubau, nicht von einer Sanierung und Modernisierung des bestehenden Gebäudes ausgegangen.

Das “Haus des Gastes” ist aber ein historisches Gebäude, verbunden mit einer interessanten und wichtigen Geschichte des Dorfes Nebel, steht es doch am Anfang des heute wesentlichsten Wirtschaftzweiges, des Fremdenverkehrs. Erbaut wurde es im Jahre 1905 durch den Sanitätsrat Johannes Ide (1859 – 1947).

Sanitätsrat Johannes Ide, Erbauer des “NordseeSanatoriums”

Johannes Ide wurde in Parchim (Mecklenburg) geboren und kam mit Ehefrau Martha geb. Dreyer im Jahre 1897 als Badearzt der Bodelschwinghschen Seehospize in Norddorf nach Amrum. Hier wirkte er einige Jahre im Warmbadehaus neben dem Seehospiz I und als praktischer Arzt, ehe er nach Nebel zog und hier ein eigenes Sanatorium errichtete. Dabei musste er sich gegenüber der Westfälischen Diakonissenanstalt und ihren Seehospizen aber verpflichten, kein Konkurrenzunternehmen zu schaffen. Das Grundstück für sein Sanatorium erwarb Johannes Ide von der Kirchengemeinde, worüber sich einige Fragen ergeben. Denn die Amrumer Kirche verkaufte prinzipiell kein Land, außer im Austausch mit gleichartigen und möglichst größeren Flächen – ein Prinzip, das erst in den letzten Jahrzehnten seine Gültigkeit verlor. Es ist nicht mehr bekannt, wie es Johannes Ide gelang, direkt neben dem Friedhof von der Kirche ein großes Grundstück zu erwerben, dazu noch mitsamt des alten Pastorats von 1758. Pastor in der fraglichen Zeit war Carl Friedrich Meyer, von 1903 bis 1906. Und es liegt nahe, dass Ide die Regeln des Insel- und Kirchenlebens nicht vertraut und daher gleichgültig waren. Aber wie kam der Sanitätsrat zu dem Pastorat?? Es wird erzählt, dass er der Frau Pastorin dahingehend einredete, dass man in dem alten, muffigen Haus nicht leben könne, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Ein neues Pastorat wurde 1902 erbaut, und der Sanitätsrat nutzte das alte Pastorat als “Kinderheim” für sein “Nordsee-Sanatorium”, das wie erwähnt im Jahre 1905 erbaut worden war und mit seinem Turmanbau von Inselgästen des öfteren mit der Kirche verwechselt wurde, weshalb die Kirchenältesten dann auch auf einen Turmbau an der Kirche drängten, der 1908 vollendet wurde.

Das “Nordsee-Sanatorium” – rechts das alte Pastorat, als Kinderheimstätte eingerichtet

Zum Gesamtgewese gehörte auch noch die 1898 erworbene “Villa Krönert”, Anfang der 1890er Jahre vom Zimmermann Michael Robert Kröhnert errichtet, der im Zusammenhang mit dem Bau der Villa Howaldt (Düneck) an der Satteldüne nach Amrum gekommen war. Dieser war verheiratet mit Rosine Therese, geb. Lorenzen aus Nebel und hatte mit ihr fünf auf Amrum geborene Kinder, die fast alle später nach Amerika auswanderten. Auch das Ehepaar Kröhnert ist von Amrum ausgewandert, so dass Johannes Ide die an seinem Grundstück anliegende Villa erwerben konnte.

Aber am 16. April ließen drei britische Flieger auf dem Rückflug vom Bombenterror im Deutschen Reich ihre Sprengkörper über Nebel fallen. Und trafen zufällig auch die Villa Kröhnert, die fast vollständig vernichtet wurde. Schon lange vorher war aber auch das ehemalige Pastorat auf dem parkartigen Grundstück verschwunden. Es wurde, wie erwähnt, vom Sanitätsrat Ide als Kinderhaus neben dem Nordsee-Sanatorium genutzt, geriet aber am 19. Juli 1911 durch Kinderhand in Brand und war nicht zu retten.

Wie das Seehospiz in Norddorf, so versuchte auch Johannes Ide, in den umliegenden Friesenhäusern zusätzliche Betten mit Patienten zu belegen, was aber weniger von Erfolg gekrönt war. Beispielsweise war es gelungen, im naheliegenden Hause Simons einige Gäste unterzubringen. Der Hausherr, Kapitän Martin Conrad Simons, war oft jahrelang auf See, und seine Frau Anine, geb. Quedens hielt es für angebracht, sich etwas Geld hinzu zu verdienen. Aber als dann der Kapitän nach Hause kam, war er über die “Fremden” im Haus empört und klapperte mit Holzschuhen in Nacht- und Mittagsruhezeiten so lange durch das Haus, bis die Gäste entnervt auszogen. Seiner Frau gab er dann den Auftrag, noch eine Kuh mehr in den Stall zu stellen, aber bitte keine Gäste im Haus aufzunehmen. Erst später, unter der Tochter Amanda Urbans geb. Simons, wurde das stattliche Haus eine beliebte Ferienpension in Nebel.

“Als Seebad gänzlich ungeeignet”
Als Pastor Bodeschwingh im August des Jahres 1888 nach Amrum gerufen wurde, um “hier ein christliches Seehospiz zu errichten, um Vatersitte und Glauben zu bewahren”, wohnte er mit seiner Familie im heutigen Haus von Pauline Höfer (Lorenzen) und suchte auf der Insel einen geeigneten Ort für die Anlage eines Seehospizes. Kriterium war damals “ein kräftiger Wellenschlag” à la Sylt. Aber Nebel war als Seebad “gänzlich ungeeignet”. Das Dorf lag am Wattenmeer, “wo man nicht baden kann”, weit vom Weststrande entfernt. Und am Weststrand “liegt eine gewaltige Sandbank vor der Küste (Kniep) und hält den Wellenschlag gänzlich auf”. Es gab auch keinen richtigen Zuweg von Nebel zum Strand – nur eine Spur des Pferdefuhrwerks des Strandvogtes. Erst im Mai 1936 erfolgte unter Bürgermeister Bernhard Tadsen der “Durchstich” durch einen höheren Dünenzug und der Bau einer Straße mit Betonplatten. Zu dieser Zeit hatte der Fremdenverkehr allerdings schon einen größeren Fuß in das Badeleben von Nebel gesetzt – durch die NS-Ferienorganisation “Kraft durch Freude” (KdF). Johannes Ide und seine beiden Söhne Wilhelm und Günter profilierten sich als engagierte Vertreter der “Bewegung”. Günter war bespielsweise Mitglied des Gemeinderates in Nebel, nicht durch demokratische Wahl, sondern wie damals üblich nach dem “Führerprinzip” ernannt. Und Bruder Wilhelm (der sich später als langjähriger Land- und Badearzt einen honorigen Namen machte) war Ortsgruppenleiter.

Günter Ide – langjähriger Betreiber des “Sanatoriums” als Kinderheim

Das Nordsee-Sanatorium entwickelte sich ungeachtet der abseitigen Strandlage zu einem renommierten Haus mit einem ganzjährigen Angebot an Kuren, vor allem Lungengymnastik, für Erwachsene und Kinder. Und als Johannes Ide am 29. Oktober 1939 seinen 80. Geburtstag feierte, schrieb kein Geringerer als Dr. Carl Häberlin aus Wyk eine Laudatio. Wie Häberlin (bekannt vor allem durch seine klimamedizische Forschung und als Begründer des Friesenmuseums in Wyk 1908), so machte sich auch Johannes Ide durch seine Publikationen über “Das Nordseeklima als Heilmittel” einen Namen im Deutschen Reich.

Der 2. Weltkrieg bedingte eine Zäsur, und nach Kriegsende wurde das Nordsee-Sanatorium als Kindererholungsheim eingerichtet, geleitet von Günter Ide und betreut von Dr. Wilhelm Ide. Rund 60 Betten standen für die Kindererholung bereit. Von 1948 bis 1973 stand das Haus unter der Trägerschaft der Städte Soest und Gütersloh, die dem Ehepaar Ide im Oktober 1973 einen ehrenvollen Abschied bescherten.

Inzwischen hatte sich aber einiges in der Familie Ide verändert. Der Sanitätsrat und Gründer des Hauses war am 2. Januar 1947 gestorben, die Frau des Leiters seit 1930, Hertha geb. Kühl, starb am 3. Dezember 1966 nach langer, schwerer Krankheit. Günter heirate dann seine langjährige “rechte Hand”, die Schwester Inge Schnider. Beide Ehen blieben aber kinderlos, so dass sich in der Familie kein Nachfolger anbot, als das Ehepaar Ide 1973 in den Ruhestand ging. Günter Ide bot das Nordsee-Sanatorium der Gemeinde Nebel an, die mit Gemeinde- und Kurverwaltung in sehr beschränkten Verhältnissen in einem kleinen Gebäude (heute Fahrradverleih Hansen) hauste. Bürgermeister war seinerzeit Johannes Quedens, und die Gemeinde Nebel hatte große Pläne über eine Art Kurverwaltung mit Veranstaltungssaal auf der Anhöhe an der heutigen Amtsverwaltung und Sozialstation. Die Grundfläche dafür war gekauft und ein Architektenwettbewerb für die großzügige Gesamtanlage ausgeschrieben.

Die Gemeinde sagte also “Nein”, und deshalb verkaufte Günter Ide das Gebäude mit dem großen parkartigen Garten an den “Verein Lebenshilfe Lippstadt”, der es für die Betreung von geistig Behinderten einrichtete.

Aber alle Pläne über ein Kurzentrum der Gemeinde Nebel auf der Anhöhe westlich des Dorfes zerschlugen sich, vor allem, weil die Kosten von Monat zu Monat stiegen. Da bot sich im Jahre 1986 durch den Rückzug der Lebenshilfe erneut der Kauf des Geweses an. Es meldeten sich einige auswärtige Interessenten, darunter auch eine Hotelgesellschaft. Aber dann konnte die Gemeinde Nebel, vertreten durch Bürgermeister August Jakobs, das “Sanatorium”, wie es unverändert im Volksmund genannt wurde, für 1,8 Millionen DM kaufen und für eine weitere Summe von 200.000 DM für ihre Zwecke umbauen, wobei aber angestrebt wurde, das äußere Bild des historischen Hauses zu bewahren. Es wurden Kurverwaltung und Gemeindeverwaltung eingerichtet, Lesezimmer und ein Veranstaltungssaal, der zwar nicht Hunderten von Besuchern Platz bietet, aber mit seiner räumlichen Intimität beim Publikum, aber auch bei den Veranstaltern sehr beliebt ist.

Etliche Wohnungen für Hausmeister, Rettungsschwimmer und andere Bedienstete der Gemeinde ließen sich in dem dreigeschossigen Gebäude unterbringen, ebenso natürlich Toiletten und ein Kinderspielraum. Eine zusätzlich erworbene Wiese im Norden konnte als Parkplatz eingerichtet werden. In Anerkennung der Initiative von Bürgermeister August Jakobs wurde das “Sanatorium” zeitweilig sogar in “Augustenburg” umbenannt.

Nun stehen Abriss und Neubau an, und da von Denkmalschutz offenbar keine Rede ist, stehen Gemeinderat und Architekten vor der schwierigen Aufgabe, in einem Neubau die Tradition des “Sanatoriums” und dessen Bedeutung für die Geschichte des Dorfes zu berücksichtigen.

2020 Georg Quedens     Urheberrecht beim Verfasser

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Über Georg Quedens

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8 comments

  1. Moin zusammen! Warum stellt man so ein wunderschönes Gebäude, nicht unter Denkmalschutz? Denke, es gehört einfach zum Erscheinungsbild von Nebel! Wäre jammerschade, wenn das schöne Gebäude verschwinden würde! Mit hoffnungsvollen Grüssen Inge Mueller

  2. Ein gut geschriebener Artikel. Aber ein Bedauerlicher und wie ich finde nicht notwendiger Abriss.
    Ein Neubau soll 4 Millionen Wert sein.

    Für diese Summe kann man sehr wohl erfolgreich modernisieren so das ein historisches Gebäude von außen seinen Charakter behält und von innen auf heutigen Standards umgebaut werden könnte. Selbst ein Anbau wäre effizient.

    Somit würde Amrum und Nebel ein Geschichtsträchtiges genommen. Es passt einfach ins Bild und dem angeschlossenen Park.
    Wir kehren immer wieder gerne hier ein. Es ist nicht nur das innere fürs Auge sondern für uns auch der Geruch was dieses Gebäude und das Gefühl das Altern mit sich bringt.

    MfG Th Zeutzem

  3. Liebe Nebeler,

    viel wichtiger als neu zu bauen ist es doch, den Charakter zu bewahren. Das Haus ist ein Stück Amrum, das man sofort wieder erkennt, wenn man als Gast zurück kommt. Das ist dann durchaus eine der Vertrautheiten die man ja erleben will, gerade weil man oft hierher kommt: „trauhaid luket ütj ark wönang“ Unterschätzt das nicht ! , was Armum mit so liebenswert macht. Ja, lasst die Vertrautheit weiterhin aus den Fenstern strahlen und bewahrt es, wenn möglich bis in den Geruch hinein, wie der Vorredner/die Vorrednerin schreibt.

    Und einen großen Dank an Georg Quedens für seine immer wieder wichtigen Beiträge.

    Bis hoffentlich bald.
    Walter Axmann

  4. Liebe Amrumerinnen und Amrumer,

    seit vielen Jahren sind wir Gäste auf Eurer Insel. Der Leseraum des “Haus des Gastes” wurde regelmäßig von uns genutzt. Dieses schöne historische Gebäude soll jetzt einem Neubau weichen.

    Wer kommt denn auf solch eine Idee? Gibt es zuviel Geld auf der Insel, das ausgegeben werden muss oder will sich jemand ein Denkmal sertzen? Jedenfalls kann der Charme der Insel dabei nur leiden. Wohltuend haben wir immer wahrgenommen, dass es keine Betonklötze wie auf Föhr gibt.

    Herrn Quedens sei Dank, dass er an die Geschichte des Gebäudes mit Bild und Wort erinnert.
    Über einen Abriss des Gebäudes aus der Gründerzeit wären wir unendlich traurig.

    Werner Bachmann, Über den Gärten 5, 35091 Cölbe

  5. Neu ist nicht immer besser, schon gar nicht auf einer so besonderen Insel wie Amrum.
    Das wunderbare Gebäude soll nicht mehr zu restaurieren sein? Sorry, aber das glaube ich nicht. Ein Haus mit Geschichte und unverwechselbarem Charakter ist eine Bereicherung für den Ort und die Insel. Wenn immer mehr Neubauten auf der Insel entstehen, verlieren die Orte ihren Charme und ihre ursprüngliche Besonderheiten, auch wenn in “traditionellem Stil” gebaut wird. Es ist nicht dasselbe. Moderne und neue Architektur haben die meisten Gäste, die auf die Insel kommen, in ihren Städten und Gemeinden zur Genüge und gerade diese traditionellen Häuser, die den Urlaub jedes Jahr wieder zu etwas Einzigartigem machen, erwärmen Herz und Seele.
    Bitte, liebe Amrumer, erhaltet dieses schöne Haus!
    Svea Koch

  6. Es tut mir in der Seele leid, dass so ein schönes ALTES Haus abgerissen werden soll. Altes bewahren neues Bauen, wenn altes nicht mehr erhalten werden kann. Dieses Gebäude ist mehr erhaltenswert. Gibt es auf Amrum keinen Denkmalschutz? Völlig unverständlich.
    U. Schinkel

  7. Auf jedem Fall ist das Haus in seiner Form für Nebel und Amrum erhatenswert.Auch hinsichtlich des Ensembles mit der Kirche und dem anderen Umfeld. Dass man im historischen Bestand gut umbauen kann, dazu braucht es natürlich auch gute Architekten mit Erfahrung und gutem Blick. Hier bei uns in Franken mit vielen historischen Bauten haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Hier wurden Häuser im Bestand, auch kommunale, saniert und stellen nun wieder Schmuckstücke, nicht nur vom Äusseren, sondern auch vom Inneren dar. Dass bei einer Sanierung auf Barrierefreiheit geachtet werden muss, sollte selbstverständlich sein. Gerade auch der KOnzertraum mit Blick auf das Wattenmeer ist einzigartig. Ebenso der herrliche Kurpark drumherum. Bitte, liebe Amrumer, lasst Euch dieses Ensemble nicht von Festländern aus Kiel vermiesen, die mit entsprechenden höheren Fördergeldern locken und Euere Insel verunstalten wollen.

  8. Schade, so ein schönes Haus macht einen Teil von Nebel und Amrum aus und ich werde es vermissen ! Vielleicht bringt die jetzige Pandemie einen Aufschub ! Dann hätte sie wenigstens einen Vorteil !
    Gruß aus Hessen – Wolfgang Matzak

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