Zwischen dem Watt, dem schmalen kleinen Sandweg und dem sich anschließenden Schilf lag ein, sich in sein Schicksal schon ergebener, Weihnachtsbaum. Noch hatten die Nebel der Nacht, die Feuchte des Meeres und die salzhaltige Luft ihm sein weihnachtliches Kleid, wenn es auch schon sehr verblasst war, gelassen – aber er war nicht mehr auf gutes Aussehen bedacht, denn er hatte sich mit dem Ende seines Lebens schon arrangiert. Er wußte inzwischen, bei der nächsten Vollmondnacht wird es wieder eine Springflut geben und dann wird das wild aufbrausende Meer ihn mit auf die große Reise nehmen. Doch er hatte keine rechte Lust zu verreisen und wollte lieber hier sterben, hier auf Amrum.
Die Zeit verging, kalte Winde, einige Schneeflocken und Graupelschauer waren über ihn hinweggefegt und er hatten so langsam eigentlich die Nase voll – doch dann sagte er sich aus Trotz, „nein“ ich gebe nicht auf – es kommen auch wieder bessere Zeiten für mich. Er versteckte sich etwas tiefer im Schilf und wartete und wartete. Der Januar verging, der Februar war recht mild und der März brachte schon die ersten Vögel und vor allem die Gänse aus ihren Winterländern zurück. Sie erzählten ihm, dass in fernen Ländern sich eine eigenartige Krankheit ausgebreitet hätte – dass die Menschen nicht mehr ihre Häuser verlassen dürften, viele ihr Leben verloren hätten und das das normale Leben in diesen Ländern sich stark verändert hätte. Doch hier, hier in Deutschland, und besonders auf der kleinen Insel Amrum, seien die Menschen in Sicherheit. Doch dann, etwas später, als die Enten zurückkamen, erzählten diese, dass es diese Krankheit auch jetzt in Deutschland gäbe und viel Not und Sorge über das Land gekommen sei. Auch hier wären viele Menschen erkrankt, weil sie sich durch kleine Tröpfchen angesteckt hätten und besonders die älteren Menschen wären gar nicht mehr so richtig sicher und sie erzählten dem Weihnachtsbaum noch so vieles mehr. Der hörte sich das alles an und begann darüber nachzudenken. Was – hier in Deutschland wären viele Menschen krank, könnten nicht lange in der Sonne spazieren gehen, die Kinder dürften nicht auf die Spielplätze und die Menschen könnten auch nicht zur Arbeit gehen und würden kein oder nur wenig Geld verdienen? Ja dann – dann könnten sie sich das neue Auto oder das neueste Handy und so viele anderen Sachen ja gar nicht mehr kaufen – wie sollte das denn dann weitergehen? Würden denn die Menschen mit so einer veränderten Welt zurechtkommen? Ok, sagte sich der Weihnachtsbaum, ich habe ja auch einmal in einem herrlich geschmückten Wohnzimmer gestanden und man hatte mich mit vielen, vielen bunt leuchtenden Glaskugeln geschmückt und die Kerzen ließen mich wunderbar im klarsten Licht erstrahlen – ach ja, und die Tische bogen sich fast vor Geschenken und die Menschen sangen von der Stillen und Heiligen Nacht – ach es waren damals wirklich schöne Stunden, im Kreise der Familie, für mich. Und dann ….. dann löschten sie eines Tages die letzte Kerze, nahmen mir allen Schmuck und warfen mich einfach weg – einfach so ins Watt. Und jetzt – ja was jetzt. Jetzt werde ich bald sterben – ach Gott wie traurig bin ich…. und er seufzte tief und laut.
Das hörte ein Häschen das gerade aus Nebel kam und durch die wunderschön, blühenden Narzissen- und Osterglockengärten gehoppelt war und viele bunte Ostereier an geschmückten gelbblühende Sträucher gesehen hatte.. Ja, es konnte sogar ganz langsam in Nebel über die Strassen hoppeln, denn da waren fast keine Autos mehr, keine Fahrräder und auch nur wenige Leute. Ja, wo waren sie denn alle nur?
Das Häschen den tief seufzenden Weihnachtsbaum an, kratze sich hinter seinem langen linken Ohr, schmunzelte und war verschwunden. Nach einer Zeit kam es wieder und brachte – oh Wunder – einige bunte Ostereier mit, und legte diese vor dem traurigen Weihnachtsbaum in den Sand. Es verschwand wieder und …hopp die hopp… war er mit weiteren bunten Ostereiern wieder zurück. „So – sagte das Häschen zu dem Weihnachtsbaum – jetzt hör mal auf zu weinen und höre mir zu. Ich hole mal die Oonerbänke, die Amrumer Heinzelmännchen – die du ja bestimmt schon kennengelernt hast und meine Hasenfamilie rufe ich auch hierher und dann, ziehen wir dich mit vereinten Kräften hier heraus, stellen dich dort oben auf die hohe Düne und schmücken dich mit den farbenfrohen Ostereiern – ist das nicht eine wundervolle Idee? Und das Häschen tanzte voller Freude um den Weihnachtsbaum herum.
Der traurige Weihnachtsbaum fing an zu strahlen und streckte weit seine dünnen Ästchen aus. Die Oonerbänke kamen ganz schnell aus ihren Verstecken hervor, stellten den Weihnachtsbaum aufrecht und bestiegen die Düne. Sie befestigten ihn tief in der Dünenmitte, damit der Wind von der rauen See ihn nicht umwerfen konnte und schmücken ihn anschließend mit den hell und bunt leuchtenden Ostereiern.
Stolz und glücklich steht nun der Ostereierweihnachtsbaum auf der Düne. Er grüßt Ebbe und Flut, er grüßt die Wolken, die Vögel, die Enten, die Gänse und die Menschen, die manchmal nachdenklich bei ihm stehenbleiben und der Ostereierweihnachtsbaum hat dann den Eindruck, dass sie lächelnd ihre Sorgen vergessen und nicht mehr an Corona und an die fehlenden Gäste der Insel denken.
So – ja so ein Wunder – aber Wunder geschehen überall – man muss sie nur auch sehn.
Eva Grimm für Amrum-News