Mariechen Behder erzählt . . .


Mariechen Behder, 92, September 2020
Foto: Ellen Dietrich

»Wenn sich meine Gäste wohlfühlen, dann geht es mir gut. Alle sollen sich ausschlafen und hier erholen«, sagt Maria Behder. Die 92jährige, die ihre Freunde »Mariechen« nennen, schenkt uns Tee und Kaffee ein. Es gibt selbstgebackene Friesenwaffeln mit Pflaumenmus und Sahne.

Seit bald siebzig Jahren beherbergt Maria Behder Urlauber. Vielleicht ist sie gar die älteste, aktive Vermieterin auf Amrum. Ein Klönschnack ab und zu, das ist gute Tradition im Haus am Smäswai. Maria hört ihren Gästen gern und geduldig zu. Wir sitzen, Corona-sicher, in Marias schönem Hortensien-Garten. Gerade springen zwei Eichhörnchen vorbei, am Himmel kreist ein Bussard. Hinterm Zaun ruft ein Fasan, und um den weißen Sommerflieder tanzen Schmetterlinge.

Dann endlich beginnt »Mariechen«, wieder aus ihrem Leben zu erzählen, auch von ihrer Kindheit mit vier Geschwistern auf Föhr. »Wir haben Krabben gefangen, mit einem Kescher, und sie dann, am Strand von Goting, in einer Blechdose über einem Feuerchen gekocht«. Die kleine Maria sah am Wyker Südstrand das legendäre Verkehrsflugschiff Do X von Dornier, damals das größte Flugzeug der Welt mit 12 Motoren, 48 Metern Flügelspannweite, 40 Meter lang und 10 Meter hoch. Der Kommandant des Großflugbootes, Friedrich Christiansen, stammte von Föhr.

Hart war Marias Schulzeit. »Wir haben ja nichts richtig gelernt. Ein einziger Lehrer unterrichtete drei Klassen, einmal in der Woche. Die anderen waren an der Front«. Die junge Maria arbeitete nach dem Krieg auf einem Bauernhof. »Plötzlich bekam ich die Chance, etwas Anderes kennenzulernen«. Maria ging nach Amrum, half in einem Haushalt in Norddorf: »Ich war jetzt in Stellung, so hieß das früher«. Marias hellblaue Augen funkeln bei ihrer Erinnerung an den Feuerwehrball 1948. Hans-Jürgen forderte sie zum Tanzen auf. Ernst und humorvoll war er, und Liebe war es, auf den ersten Blick. Hans-Jürgen mochte, dass »Mariechen«, wie er selbst, Friesisch sprach. Seine Eltern hatten eine Frühstückspension in Norddorf. Es gab aber keine Gäste. Überall waren Flüchtlinge einquartiert.

Ärmlich und entbehrungsreich waren die Verhältnisse in jener Zeit. Hans-Jürgen und Maria heirateten am 26. Mai 1950 um 15 Uhr in Nieblum, gemeinsam mit ihrer Schwester Gitta und ihrem Bruder Peter. Zur Feier des Tages war für die Hochzeitsgesellschaft ein Schwein geschlachtet worden. Vor dem Friesendom standen Kinder Spalier und sangen im Kanon: »Ich trag ein goldnes Ringelein, Schatz, an meinem Fingerlein. Hei, wenn der Ring von dir nicht wär´, dann hätt´ ich ihn schon längst nicht mehr«.

Mariechen Behder, 24, vor der Abreise nach Amerika, im Frühjahr 1953.
Foto: privat

Die Nachkriegsjahre auf Amrum waren bitter. Keine Arbeit. Kein Geld. Existenz-Angst. Viele Insulaner suchten ihr Glück in Amerika. Maria folgte ihrem Mann 1953 nach New York. Sie arbeitete in einer Fleischfabrik in Brooklyn. Das Ehepaar ersparte jeden Cent, kehrte 1955 wieder in die Heimat zurück, im Überseekoffer moderne Frottee-Handtücher und neue Ideen. Diese wurden sofort umgesetzt in der Pension Behder in Norddorf, mit der allerersten Ferienwohnung auf der Insel ohne! Frühstück, im ehemaligen»Verkaufspavillon«. Ein Experiment. Verwundert schauten die Nachbarn. Die Urlauber reagierten begeistert, kochten und versorgten sich jetzt selbst, reisten mit Kind und Kegel an, immer wieder, jahrein, jahraus.

Maria und Hans-Jürgen verkauften die Pension in Norddorf und bauten sich in Nebel ein neues Zuhause. Treu und anhänglich blieben ihre vertrauten Gäste, auch in der zweiten und dritten Generation. Einige kommen nun seit über 50 Jahren. Längst erwachsene Gästekinder machen heute Ferien bei Maria. Ihre vielen Gästebücher mit Fotos, Texten und Zeichnungen sind eine Kulturgeschichte des Inseltourismus und geben tiefen Einblick in die Psyche der Urlauber.

»Ich bin mit meinen Gästen alt geworden, viele sind schon gegangen. Das macht mich sehr traurig«, sagt Maria Behder und fügt hinzu: »Viele Tage im Leben sind nicht so einfach«. Ehemann Hans-Jürgen starb vor sieben Jahren.

Maria blieb tapfer und mutig. Jahrzehntelang hatte sie ihre Schwiegereltern umsorgt, spät das Schreiben am Computer gelernt, erst kürzlich eine Knieoperation gemeistert. Auf whatsapp chattet sie weltweit mit ihrer Großfamilie, Enkeln und Urenkeln, mit Urlaubsgästen und Freunden. Die Pandemie betrachtet Maria Behder als existentielle Herausforderung: »Corona macht nachdenklich über das, was wirklich zählt im Leben. Wir Insulaner waren im Frühjahr plötzlich unter uns. Alles war so still. Ich saß auf einer Bank, weit und breit allein, schaute in die Wolken und auf den unendlichen Kniepsand«.

Wir kommen wieder im nächsten Sommer, so Gott will. Dann hören wir hoffentlich die Geschichte von Marias Vater, der im eiskalten Hungerwinter nach dem Krieg, tief im Watt, zwischen Föhr und Amrum, Torf zum Heizen entdeckte. Wir werden nach Kapitän Carl Kircheiss fragen. Maria traf den tollkühnen Weltumsegler, Walfänger und Polarforscher einst in Norddorf. Und wir sprechen über Marias Strick- und Stickclub von anno dazumal. Da hatte Georg Quedens einen Premieren-Auftritt, als er der Damenrunde probeweise seinen ersten Diavortrag über Strandräuber und Sturmfluten präsentierte.

Erzählstoff und Vitalität, mindestens für die nächsten zehn Jahre, hat Maria im Herzen. Und ich übe bei uns im Schwarzwald, echte Amrumer Friesenwaffeln zu backen, nach der feinen Rezeptur von »Mariechen«, wie sie es in ihrem berühmten Video auf youtube zeigt. Man nehme

4 Eier, 250 Gramm Zucker, 4 Päckchen Vanillezucker, 250 Gramm Butter, 500 Gramm Mehl, eine Prise Salz, etwas Wasser und natürlich einen sehr kräftigen Schuss Rum . . .

www.youtube.com/watch?v=ctmYLNufGtY

 

Ellen Dietrich für Amrum-News

 

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