Brauchen wir einen Natur-Knigge für Amrum?


Zehn einfache Benimm-Regeln in der Natur

Ja, es gibt diese Leute, für die Natur bestenfalls eine austauschbare Kulisse ist. Die ihren Aktivitäten genauso gut andernorts nachgehen könnten. Oder Leute, die in Wald und Flur einen bloßen Selbstbedienungsladen zur freien Verfügung sehen, in dem man weder auf Tiere und Pflanzen, noch auf Mitmenschen Rücksicht nehmen muss.

Doch nicht nur solche Zeitgenossen machen Probleme. Denn da ist noch die große Zahl der Naturhungrigen, die mehr oder minder guten Willens sind, aber allein schon durch ihr vermehrtes Auftreten die Natur vor Herausforderungen stellen. Und denen die Kenntnisse fehlen, mögliche Störwirkungen und andere Folgen ihres Tuns richtig einzuschätzen. Selbst wenn ein Vogelschwarm auffliegt oder ein Hase die Flucht ergreift, werden unbedarfte Laien das nicht unbedingt auf sich oder den Hund an ihrer Leine zurückführen.

Dazu kommt die enorme „Dunkelziffer” der relevanten Störungen, die der Mensch selbst gar nicht bemerkt. Meist nehmen uns Tiere viel eher und mit großem räumlichem Abstand außerhalb unseres eigenen Blickfeldes wahr. Viele Vögel betrachten auch einen Drachen oder eine Kameradrohne als bedrohliche Gefahr. Ähnliches gilt für direkte Schädigungen. Wie schnell ist aus Unachtsamkeit eine seltene Pflanze zertrampelt oder ein Käfer zerquetscht.

Im letzten Sommer wurde die Natur vielerorts förmlich überrannt. Auch geschützte Bereiche wurden nicht verschont. Es ist absehbar, dass sich das dieses Jahr wiederholt. Das Interesse am Draußensein nimmt zu, gerade in Zeiten von Corona. Dass nun so viele Menschen ins Grüne drängen, ist verständlich. Doch damit steigt auch der Druck auf die Tier- und Pflanzenwelt.

Unter der Überschrift „Ganzjährig geöffnet“ schrieb das Helge May in seinem Artikel für die Frühjahrsausgabe der NABU-Zeitschrift „Naturschutz heute“, den wir hier in gekürzter und leicht veränderter Fassung mit freundlicher Genehmigung des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) übernommen haben.

Brauchen wir Benimm-Regeln für die Natur, fragt May und seine Antwort lautet: Ja. „So wie im Umgang miteinander, benötigen wir auch im Umgang mit der Natur Regeln.“ Davon gebe es zwar bereits reichlich, unter anderem in den Naturschutzgesetzen von Bund und Ländern. „Aber wer liest und versteht schon alle Gesetze oder Schutzgebietsverordnungen. Regeln müssen verständlich sein, sie müssen nachvollziehbar sein, sonst fehlt die Bereitschaft, sie einzuhalten. Und sie müssen bekannt sein.“, schreibt May. Im Umgang mit und in der Natur sollten wir uns vor allem von Rücksichtnahme leiten lassen, doch ein Blick in die Gesetze sei auch hilfreich.

Amrum liegt im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Hier gilt seit 2017 zum Beispiel ein generelles Drohnenverbot. Die Amrumer Dünen, die Amrum Odde und die Amrumer Ostküste sind ausgewiesene Naturschutzgebiete und unterliegen anderen, ebenfalls strengen Regeln.  Hier muss man grundsätzlich auf den Wegen bleiben, darf  keine Pflanzen entnehmen und soll Hunde an kurzer Leine führen. „Alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebiets oder seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen können, sind … verboten.“, heißt es dazu im Bundesnaturschutzgesetz. Auch die Südspitze als Vogelschutzgebiet und die Primärdünen auf dem Kniep dürfen nicht betreten werden. Im Wald gilt ein Wege-Gebot (übrigens in ganz Deutschland) und die Leinenpflicht für Hunde. Darüberhinaus sind natürlich auch alle allgemein gültigen Gesetze und Verordnungen, die den Natur-,  Landschafts- und Küstenschutz betreffen sowie die Beschlüsse der drei Amrumer Gemeinden zu beachten. Welcher neue Gast ahnt zum Beispiel, dass er seinen Hund auch am ausgewiesenen Hundestrand nicht frei laufen lassen darf oder dass die untere Wandelbahn in Wittdün ein Küstenschutzbauwerk ist?

 

Hinweisschilder und Einzäunungen reichen zur Information ganz offensichtlich nicht aus.
Wer auf Amrum hätte sich in den letzten Monaten nicht über die vielen neuen Trampelpfade in den Dünen, Papier-Taschentücher im Gebüsch, Kippen am Wegesrand, frei laufende Hunde oder invasives Radfahren geärgert. Leider wird der Ton der Auseinandersetzung im Konfliktfall zunehmend ruppig.
Ein freundlicher Benimm-Knigge mit klaren, verständlichen Hinweisen für den respektvollen Umgang in und mit der verletzlichen Natur unserer Insel wäre für Gäste wie Einheimische wirklich hilfreich. Denn Hand auf‘s Herz: Wer von uns weiß schon genau, was wann wo gilt?

Auf Amrum kümmern sich drei Vereine um die Betreuung der unter Schutz gestellten Gebiete. Die Odde wird vom Verein Jordsand betreut, die anderen Landschafts- und Naturschutzgebiete auf der Insel vom Öömrang Ferian. Das Wattenmeer um Amrum herum betreuen im Auftrag des Nationalparks der Öömrang Ferian und die Schutzstation Wattenmeer e.V.

Die Betreuungsaufgaben der Vereine sind äußerst umfangreich. Sie schließen neben dem Umwelt-Monitoring und der Landschaftspflege auch die Umweltbildung, Besucherbetreuung und -lenkung mit ein. Führungen und Exkursionen, Erhaltungsarbeiten, Dünen-Kartierung, Monitoring von Kegelrobben, Brut- und Rastvögeln – die meist freiwilligen GebietsbetreuerInnen der Vereine haben rund um die Uhr zu tun. Jahr für Jahr gehen sie alle zwei Wochen bei Springtide die komplette Insel ab und wissen daher sehr genau, wo die Vögel rasten und nicht gestört werden dürfen.

„Bei unseren Monitoring-Aufgaben sprechen wir nur „nebenbei“ Mitmenschen an, die sich nicht an die Regeln halten. Wir haben keine ausgebildeten Ranger. Der Nationalpark-Ranger wohnt auf Föhr. Er kann sich nicht zusätzlich um Amrum kümmern“, sagt Lotte von Komorski vom Öömrang Ferian, die das Naturzentrum in Norddorf leitet. „Wir brauchen für Amrum eigene Nationalpark-Ranger“, formuliert sie ihren großen Wunsch an die Nationalparkverwaltung.

Nationalpark-Ranger*innen sind geschult, Ziele und Vorschriften des Nationalparks für jeden verständlich zu erklären und auch bei Konfliktgesprächen stets sachlich und höflich zu bleiben. Das ist auch das Credo von Jan Dettmering, der von der unteren Naturschutzbehörde in Husum als ehrenamtlicher Naturschutzdienstler auf Amrum bestellt wurde und bei Regelverstößen die Personalien aufnehmen darf.
Letztlich bleibt immer wieder nur die Aufklärung, um zur Einsicht zu kommen. „Aufklären nicht von oben herab, schon gar nicht als ,,Natur-Polizisten”, sondern auf Augenhöhe“, schreibt Helge May vom NABU. Ein guter Weg sei, auf faszinierende Arten oder Zusammenhänge hinzuweisen und dabei die Verletzlichkeit der Natur mit zu thematisieren.

Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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4 comments

  1. Ein Ranger für Amrum-unbedingt!!
    Ich kann nur aus meiner alten Heimat berichten und den identischen Problemen-auch ohne Überflutung der Corona Touristen.
    Der Feldberg im Schwarzwald als Naturschutzgebiet stand Sommers wie Winters vor dem Kollaps.Erst ein ganz engmaschiges Konzept mit Ranger und Kontrolle hat das verhindert.
    Immer mehr Menschen auf engem Raum bedeutet immer mehr Probleme.
    Was mir so täglich begegnet hier macht traurig und sprachlos .
    G.v.Tiedemann

  2. Ingrid Sommer-Gurr

    Amrum – Quo vadis?

    Ich kenne und liebe diese Insel seit Jahren wegen ihrer ganz besonderen Einzigartigkeit. Was unterscheidet Amrum von den vielen anderen Urlaubsregionen, die ich kenne?

    Auf Amrum ist so wohltuend: eben k e i n “Blitzer-Blinker”, sondern nordische Natur wohin das Auge blickt, Wattenmeer, offene See, Strand, Dünen, Wald, Heide, eine Nacht die noch richtig dunkel ist, eine reiche Flora und herrliche Tierwelt – alles noch ziemlich intakt. Eine solche Vielfalt auf einem so kleinen Fleckchen Erde zu finden, das gibt es sonst nirgends und grenzt an ein Wunder! Dieses wirkliche Alleinstellungsmerkmal zu schützen, das muss doch das dringendste Anliegen aller sein – jener die von und mit dem Tourismus leben und auch aller Gäste.

    Die beschriebene Idylle bröckelt jedoch in jüngster Zeit. Angefangen hat es ganz subtil. Doch jetzt ist es augenscheinlich: von Jahr zu Jahr mehr zerstörerische Trampelpfade in Wald und Dünen, viel zu viele unvernünftige Hundehalter, vollgekackte Wegränder, aufgeschreckte Tiere, Rad-Raser, achtlos weggeworfener Müll … Die Probleme sind bekannt – und da fragt man sich schon: Wie sieht Amrum 2050 aus? Oder vielmehr: Wie sieht der Plan aller Verantwortung Tragenden für “ihr” Amrum 2050 aus? Soll die Insel ein Ort sein, der von Menschen, die das hier beschriebene Alleinstellungsmerkmal “intakte Natur” suchen und dafür auch bereit sein müssen, etwas tiefer in die Tasche zu greifen – oder eine von erlebnishungrigem Massentourismus irgendwann plattgetretene beliebige Urlaubs-Destination werden? Ballermann-Feeling gibt es genug auf der Welt – Amrum, nur hier!

    Die Zeit ist reif, für eine Weichenstellung: Wenn Amrum seine natürlichen Pfründe schützen will, braucht es dringend und unbedingt einen konsequent durchgeführten und begleiteten Natur-, Arten- und Umweltschutz. Die Natur auf Amrum sollte, weil sie so zerbrechlich ist – und auch aus pragmatischer Überlegung, weil sie die Grundlage aller vom Tourismus lebender bildet – viel überzeugter geschützt werden. Ein hauptamtlicher Naturpark-Ranger und mehr Umweltvorsorge ist für die Zukunft mindestens genauso wichtig wie eine intakte touristische Infrastruktur. Es wäre herausragend und beispielgebend, wenn sich hierfür noch mehr bürgerschaftliches Engagement formieren würde.

    Es geht um Amrum – seine Menschen, seine Zukunft als von der Natur reich beschenktes Kleinod im Wattenmeer!

    Ingrid Sommer-Gurr

  3. Brauchen wir ein Ranger für Amrum? Nein wo für?
    Wir(Menschen) richten die Welt zugrunde.
    Da Hilft auch kein Ranger mehr für Amrum.
    Die Welt kam sehr Gut zurecht ohne den Menschen.
    Welt-Bevölkerung auf dem Planeten Erde
    1970 ca. 3,6 Milliarden Menschen
    2020 ca. 7,7 Milliarden Menschen
    2070 über 10 Milliarden Menschen
    Klimawandel? Anstieg des Meeresspiegels?
    Gibt es Amrum in 100 Jahren noch?
    Hunde an die Leine? Katzen Frei?
    Ein Hund fängt keinen Vogel(Singvogel)
    Und für die Häschen ist er zu langsam.

    Hans-Hermann Autzen

  4. Der Artikel und die Kommentare sprechen mir aus der Seele. Ich würde die vorgeschlagenen Regeln nur positiv formulieren, also welches Verhalten ist gewünscht und warum, z. B.: Damit Pflanzen und Tiere sich in ihrem Lebensraum wohlfühlen, bleiben Sie bitte auf den befestigten Wegen.
    Ich würde mir ein Faltblatt wünschen, das alle Naturschutzorganisationen, Touristik, Gemeinden zusammen entwickeln mit wenigen, wichtigen Regeln und wo man Tafeln mit weiteren Infos zum Nationalpark findet. Und es braucht auch Kontrolle und ggf. Sanktionen, aber auch Angebote für Kinder und Jugendliche für eine “Rangerschulung” – die sind leichter erreichbar als Erwachsene und können ggf. auf ihre Eltern einwirken. Für mich ist Amrum auch seit Jahrzehnten ein Naturkleinod.
    Susanne

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