Säugetiere auf Amrum – Exoten und Zufallsgäste


 

Eine über die ganze Welt verbreitete Eigenart von Menschen ist es, sich Tiere zu halten, sei es als Nutztiere, oder um etwas Lebendiges im Hause zu haben, insbesondere Hunde oder Katzen. Aber Menschen neigen auch zu Abartigkeiten. Immer wieder decken Zollbeamte verbotenes Einschmuggeln von streng geschützten exotischen Tieren aus fernen Ländern auf, von Schlangen und Echsen und bunten Papageien. Zu oft sind die Tiere schon auf dem Transport gestorben oder geraten in die Hände unkundiger Halter. Besonders gefährdet sind auch “Streicheltiere”, von Kindern zum Weihnachtsfest gewünscht. Nach einigen Wochen ist der Streicheltrieb erfüllt und die Tiere werden einfach ausgesetzt oder an Tierheime gegeben. Augenblicklich sind die Heime wieder einmal überfüllt, und eigentlich möchte man aus Tierschutzgründen verlangen, dass Käufer von Tieren eine Prüfung bzw. ein Zeugnis über ihre diesbezügliche Eignung ablegen.

Die unbegrenzte Tierhaltung ist eine der Ursachen dafür, dass in jahrhunderte- und jahrtausendealte Avifaunen plötzlich Tiere eingesetzt werden, die sich verheerend auf die urtümliche und endemische Fauna auswirken und diese an den Rand der Ausrottung bringen können. Dafür sind Südseeinseln (Neuseeland u. a.) ein Bespiel, aber auch die Insel Amrum, als hier in den 1990er Jahren eine Fuchsfamilie Furore machte, ganz offensichtlich von Menschenhand hier ausgesetzt. Zahlreich sind auch die Beispiele, wo Tiere gezielt in eine Landschaft ausgesetzt wurden, um zur Pelzgewinnung (schlimmes Beispiel: Waschbär), als Jagdwild (Wildkaninchen) oder zwecks Bekämpfung einer missliebigen anderen Tierart zu dienen, wie z. B. die Wiesel, die auf Terschelling ausgesetzt wurden, um Ratten zu bekämpfen, die die Seevogelbruten vernichteten. Aber die Wiesel fraßen auch mit Vorliebe Seevogeleier und die Seevögel selbst und ließen sich nicht wieder ausrotten!

Aktuelle und historische Inselfauna

In 7 Folgen wurde die aktuelle Amrumer Säugetierfauna in “Amrum News” vorgestellt. In der letzten Folge werden nun jene Arten aufgeführt, die teils zufällig oder überwiegend durch Menschenhand meist kurzfristig die Inselfauna belebten.

Rehe (Capreolus capreolus)

Rehe gehören zu den bekanntesten und über ganz Mitteleuropa verbreiteten Cerviden. Für Amrum gibt es aus prähistorischer Zeit keine Nachweise, wohl aber im 20. und 21. Jahrhundert einige Versuche, hier Rehwild auszusetzen. Auf der Nachbarinsel Föhr wurden im Jahre 1939 fünf Rehe aus Revieren bei Köln und Düren mit dürftigen Äsungsverhältnissen ausgesetzt, um eine “Aufartung” in einem Revier mit besserer Äsung zu studieren. Zwar kamen drei Tiere ums Leben, aber ein überlebender Bock und eine Ricke begründeten den derzeitigen Rehwildbestand von etwa 200 bis 250 Tieren auf Föhr, von denen mehrfach einzelne Tiere bei Ebbe über das Watt ihren Weg nach Amrum fanden, so zuletzt im Jahre 1983. Der Bock trieb sich einige Wochen in der Inselmitte herum und lag dann eines Morgens nahe Klöwenhuuch von einem Auto totgefahren auf der Straße. Andere Rehe hielten sich kurzfristig auf der Insel auf und wechselten wieder zurück, wobei einige aber auch ertranken.

Auch auf Amrum wurden 1945 (durch Jagdbehörden oder privat?) zwei Rehe ausgesetzt und vom Verfasser auch in den Dünen nahe Norddorf gesehen. Wenig später wurden beide tot aus dem Anland gemeldet, offenbar von wildernden Hunden zur Strecke gebracht. Auf Amrum war es damals (und auch später noch) Sitte, Hunde lose herumstreunen zu lassen, so dass Rehe (und Hasen) nur eine geringe Überlebenschance hatten.

Große Aufregung gab es erst wieder im Jahre 2004, als der “Insel-Bote” Anfang November meldete, dass auf Amrum fünf Rehe von ungenannter Hand ausgesetzt worden waren. Wohl kursierten Namen von infragekommenden “Initiatoren”, aber letzten Endes blieb es ein Geheimnis, wer diese Rehe besorgt hatte. Es handelte sich aber offenbar um Tiere aus einem Gehege, die an Menschen gewöhnt waren. Denn einige Rehe kamen in Dorfgärten und setzten sich dort zur Ruhe. Andere kamen mit dem Leben in der Amrumer Wildbahn nicht zurecht und starben, und nur zwei Rehe hielten sich längere Zeit und lebten wie Wildtiere. Aber die Aufregung war groß, insbesondere beim Forstverband Amrum, wo man befürchtete, dass durch das Rehwild die Triebe der jungen Bäume verbissen würden, die man zwecks Wiederaufforstungen nach den Windbrüchen des Orkans “Anatol” im Dezember 1999 gepflanzt hatte. Schließlich verfügte eine höhere Behörde, dass die Rehe wieder zu entfernen, also einzufangen oder abzuschießen seien. Es dauerte auch nicht sehr lange, da waren die letzten beiden Rehe aus der Amrumer Wildbahn wieder verschwunden.

Rothirsch (Cervus elaphus)

Rothirsch – ein Achtender auf Amrum

Versteinerte Reste von Hirschgeweihen am Inselstrand verraten uns, dass vor Jahrtausenden, bei ganz anderen Verhältnissen von Land und Meer, Cerviden ihre Fährten durch die Landschaft zogen. Aber in historischer Zeit hat es keine Angehörigen dieser Tierfamilie bei uns gegeben.

Umso aufregender war dann die Entdeckung von Spuren am Strande und im Dünensand in den ersten Novembertagen des Jahres 1997. Die Stärke der Abdrücke verriet sofort, dass es sich nicht um Rehe, sondern um größere Cerviden, also Rothirsche handelte. Am 3. November wurde dann tatsächlich ein Hirsch mit Achtendergeweih an der Nordspitze entdeckt und das Tier über mehrere Tage auf Amrum bestätigt. Gleichzeitig wurden Hirsche von Föhr und vom nordfriesischen Festland gemeldet, und es wurde bekannt, dass dieselben vermutlich aus einem dänischen Wildgehege ausgebrochen waren. Denn in der freien Wildbahn kommt Rotwild in Dänemark nur in den Dünen-Heide-Plantagen in Nordjütland und in Deutschland am nächsten in Holstein vor. Ferner wurde vermutet, dass die Hirsche von Hunden gehetzt wurden und deshalb über das Watt, schwimmend und watend, hinausgetrieben und über Föhr nach Amrum gekommen waren.

Rotwild gehört nach dem Jagdgesetz zum Hochwild und darf nur mit Erlaubnis der Jagdbehörde geschossen werden. Der Nebeler Jagdpächter Martin Gerrets gab dann vorsichtshalber auch gleich die Parole aus, den Rothirsch nicht zu schießen. Aber nur Tage später war der Hirsch von Amrum verschwunden, und es wurde von der Hallig Langeness gemeldet, dass dort ein Hirsch – mit höchster Wahrscheinlichkeit von Amrum stammend – geschossen worden sei. Nach welchen Regularien, blieb ungenannt. Auf den Halligen ist die Mentalität der Naturnutzung aus früheren Tagen noch sehr verbreitet. Dass es sich um den “Amrumer Hirsch” gehandelt hatte, wurde auch durch die Sichtung des in der Norderaue schwimmenden Tieres von einer W.D.R.-Fähre aus bekräftigt.

Immer wieder, zuletzt über längere Zeit im Herbst/Winter des Jahres 2022/23, wurde auch Damwild (Dama dama) aus der Amrumer Wildbahn gemeldet. Es waren zwei Tiere, offenbar Kalb und Muttertier, die vor allem im Gebüsch und in den Gärten von Nebel-Westerheide auftauchten und relativ zutraulich waren. Ihre Herkunft war allerdings kein Geheimnis. Sie stammten – wie alle früheren Fälle – aus dem Gehege der Vogelkoje “Meerum” und waren dort entwichen, als ein Herbststurm einige größere Bäume umwarf und ein Baum den einigen Meter hohen Gehegedraht so weit niederdrückte, dass ein halbes Dutzend Damtiere aus der Vogelkoje entweichen konnte. Die meisten Tiere blieben jedoch – wie auch schon bei früheren Ausbrüchen – im Bereich der Vogelkoje und konnten mühelos wieder in das Gatter getrieben werden. Aber zwei Tiere machten sich selbständig und trieben sich etwa ein halbes Jahr in der “freien Amrumer Wildbahn” umher, wo sie auch ausreichend Nahrung fanden. Im Frühjahr dieses Jahres 2023 wurde jedoch nur noch ein Tier gemeldet, und ab Sommer keines mehr. Es wurden jedoch auch keine Totfunde und keine überfahrenen Damtiere und von den Amrumer Jägern auch keine Abschüsse notiert, so dass das Verschwinden der Damtiere – wie vorher schon der Rehe – ein großes Rätsel bleibt.

Mit inselfriesischem Namen: “Aierhuram”

Es ist 5000 Jahre her, dass es Dachse (Meles meles) auf Amrum gab, so anhand eines Unterkiefers in einer steinzeitlichen Grabkammer um 1880 von Prof. Olshausen auf Steenodde festgestellt. Aber aus den nachfolgenden Jahrhunderten und Jahrtausenden liegen keine weiteren Nachweise vor. Erst im Jahre 1966 war es wieder soweit! Auf der nächtlichen Landstraße zwischen Norddorf und Nebel kollidierte das Auto eines Kurgastes mit einem schwergewichtigen Tier, und es gab ein großes Rätselraten. “Ein Frischling” konstatierte ein Bäckermeister und Jagdpächter aus Nebel. Aber es war ein Dachs, um 1962 als halbzahmes Jungtier vom Verfasser in einem Gehege gehalten, dessen Draht bis auf das Grundwasser reichte. Trotzdem hatte sich das Tier eines Nachts unterdurch gegraben und war weg. Jahrelang hat der Dachs dann sozusagen unbemerkt auf der Insel gelebt, und zwar in den Dünen südlich des kleinen Leuchtturmes am Hörn. Dort wurde der mächtige Bau aber erst nach dem Tod des Dachses von Möweneiersammlern entdeckt. Dachse haben ein umfangreiches Nahrungsspektrum, von Beeren über Insekten und Würmern bis hin zu Eiern und Jungwild. Aber die Silbermöwen haben diesen großen Marder offenbar toleriert – oder, weil nachtblind, auf seinen nächtlichen Streifzügen einfach nicht bemerkt! Merkwürdig ist auch, dass dieses große Tier mit den weißen Kopfstreifen nie von nächtlichen Autofahrern bemerkt wurde. Der Dachs ist der größte Vertreter der heimischen Marderfamilie.

Hermelin (Mustela erminea) und Mauswiesel (Mustela nivalis)

Das Große Wiese, auch Hermelin genannt

Im Tagebuch des Austernfischers Cornelius W. Peters ist unter dem 12. Juni 1871 eingetragen: “Mit Jens Bork 9 Wiesel ausgegraben”. Und der Vogelkundler Joachim Rohweder, der 1886 Amrum bereiste, berichtet, dass “nach Aussage der Insulaner früher sehr viel mehr Seevögel auf Amrum gebrütet haben, aber während des Winters Wiesel vom Festland über das Eis gekommen sind und sowohl Eier als auch Jungvögel der bodenbrütenden Seevögel vernichtet haben, so dass diese von der Insel fortgezogen sind.” Erst durch eifrige Bejagung mit Hunden wurden die Wiesel um 1886 wieder ausgerottet. Rohweder vermutete allerdings, dass das hemmungslose Eiersammeln der Insulaner die Ursache für das Verschwinden der Seevögel von Amrum gewesen sei und dürfte der Wahrheit näher gekommen sein als die Aussage der Einheimischen. In beiden Fällen ist aber nur von Wieseln die Rede, fraglich, ob Mauswiesel oder Großes Wiesel bzw. Hermelin. Vermutlich handelte es sich um Letztere, denn diese werden auf Föhr (“Aierhuram” – Volkert Faltings) gemeldet. Aber auch das Mauswiesel lebt auf der Nachbarinsel. Trotz früher häufiger dichter Eisbedeckung im Watt zwischen beiden Inseln haben Wiesel nur wenige Male ihren Weg von Föhr nach Amrum gefunden.

In den 1970er Jahren machte sich aber ein anderes Mardertier auf Amrum unangenehm bemerkbar, das Frettchen (Mustela putorius). Frettchen hatten eine regelrechte Population aufgebaut und mussten zum Schutze der Bodenbrüter scharf bejagt werden. Der “Oberjäger” Helmut Scheer meldete um 1976 eine Strecke von rund 50 Frettchen und forderte, dass die alljährlich im Herbst nach Amrum kommenden Falkner jedes Jahr 1000 Mark einzahlen müssten, um die Kosten der Rücklieferung von Frettchen zu begleichen. Denn über die Herkunft der Tiere gab es keinen Zweifel. Die Falkner brachten sie mit, um Wildkaninchen aus ihren Höhlen vor die Fänge der Beizhabichte zu treiben. Aber manchmal streiften sich die Frettchen den Maulkorb ab, fingen und fraßen die Kaninchen selbst und legten sich in der Höhle tagelang zur Ruhe, während ihre Besitzer, die Falkner, die ganze Zeit vor der Höhle lauerten, um ihre Frettchen einzusammeln. Irgendwann gaben sie auf und fuhren wieder nach Hause mit der zweifelhaften Gewissenheit, die Amrumer Wildbahn mit einem Mardertier bereichert zu haben, das nicht hierher gehört. In einigen Fällen gelang es Amrumer Waidkameraden, die Frettchen einzufangen und an die Jagdfreunde nachzusenden. Frettchen sind die domestizierte und albinotische Form des Waldiltis und wurden schon vor der Zeitrechnung für die Kaninchenjagd verwendet.

Die freilebenden Frettchen werden auf Amrum von gesunden und kranken (Myxomatose) Wildkaninchen und den damals noch häufigen Ostschermäusen gelebt haben. Aber nach einem strengen Winter mit hoher Schneelage waren sie Ende der 1970er Jahre verschwunden.

Kegelrobbe – als größtes Raubtier von Deutschland genannt (3)

Die Natur bzw. Evolution hat über Jahrmillionen Jahre Tiere unterschiedlichster Art entwickelt. Da gibt es die friedlichen Gras- und Körnerfresser und jene, die vom Fleisch anderer Tiere leben (müssen!) und Raubtiere genannt werden. Ihnen ist zu eigen, dass sie oft keine natürlichen Feinde haben, aber sich trotzdem nicht übermäßig vermehren, weil sie in der Regel in sozusagen allen Ländern der Erde als “Raubwild” der Jagd bzw. dem Abschuss unterliegen. Und dann gibt es auch noch eine weitere Gruppe, die der Allesfresser, die sowohl Gras und Beeren als auch das Fleisch anderer Lebewesen fressen. Dazu gehören z. B. Dachse, Braunbären und der Mensch!

Zu den Raubtieren gehören entgegen den Vorstellungen vieler auch alle Robbenarten auf der Welt als Fischfresser. Seehunde und Kegelrobben sind als dauernd zur Amrumer Säugetierwelt gehörend schon genannt. Aber es kommen noch weitere Robbenarten als seltene bzw. “Irrgäste” dazu. Doch sind nur Einzelfälle bekannt.

In den 1930er Jahren tauchte eine Ringelrobbe am Norddorfer Strand auf und war Menschen gegenüber sehr zutraulich, wie Fotos der damaligen Situation belegen. Später wurde das Tier präpariert und lag jahrzehntelang in einem Glasschrank im Laden von Foto Quedens, zusammen mit dem Präparat eines Seehundes. Heute befinden sich beide im Museum in der Amrumer Windmühle.

Ringelrobben (Phoca hispida) sind von den Robbenarten auf der Welt die kleinste und haben eine bemerkenswerte Verbreitung. Als eigentlich rund um die arktischen Küsten vorkommende Art und Hauptnahrung von Eisbären, kommen sie auch an binnenländischen Süßwasserseen, so am Kaspischen Meer, am Aral- sowie am Baikalsee vor und gelten hier als Relikte der Eiszeit und inzwischen als eigenständige Art. Mitte der 1990er Jahre wurden auf den Seesänden bei Amrum einige Totfunde von Ringelrobben registriert.

Junge Klappmütze auf der Odde

Einmalig blieb aber bisher die Erscheinung einer Klappmütze (Cystophora cristata) am 18. August des Jahres 1993 an der Nordspitze von Amrum. Auf den Wiesen von “Eer” wurde dem Verfasser ein “merkwürdiger Seehund” gemeldet, der sich offenbar bemühte, von der Wattenmeerseite zur Nordseeseite zu gelangen. Das Tier zeigte vor Menschen keine Scheu und ließ sich später als Klappmütze, als Jungtier noch im “Blaumantelfell” ermitteln. Die Robbe erreichte aber nicht mehr die Nordsee. Sie lag (hitzebedingt?) tot in den Dünen nördlich von Ban Horn und wurde vom Zoologischen Institut in Kiel präpariert.

“!Der Bär war los” meldete die Amrumer Jahreschronik 1999. Es handelte sich um einen Waschbären, der aus einem Gehege in Nebel ausgebrochen war und in einem anderen Gehege 11 Hühner tötete, ehe er von einem zu Hilfe gerufenen Jäger zur Strecke gebracht werden konnte. Waschbären sind heute über nahezu die gesamte europäische Wildbahn verbreitet und als “Allesfresser” für ihre Umwelt, vor allem Vögel, eine große Gefahr. Deshalb werden sie intensiv bejagt, mit dem Ziel, diese invasive Art wieder auszurotten. Das ist aber bisher nicht gelungen, und der Waschbär muss heute als dauerndes Mitglied der europäischen Natur akzeptiert werden. Die Urheimat dieser Art ist Nordamerika. Aber wegen seines Pelzes wurde der Waschbär in den 1920/30er Jahren in Hessen eingebürgert und hat sich von dort aus das Land erobert.

Für eine Riesenaufregung sorgte dann Mitte der 1990er Jahre auf Amrum die Anwesenheit von Füchsen (Vulpes vulpes) und der einige Jahre dauernde gravierende Einbruch der Amrumer Vogelwelt. Zunächst fiel in der Brutzeit des Jahres 1995 das merkwürdige Verhalten in den Möwenkolonien auf. Silber-, Herings- und Sturmmöwen besetzten im Frühjahr ihre Brutplätze, bauten aber nur spärliche Nester und legten kaum Eier. Dieses Phänomen konnte der Verfasser schon in den 1970er Jahren in den Dünen auf Sylt (Listland) beobachten, ohne allerdings damals zu wissen, dass dieses eigenartige Verhalten auf Fuchsgefahr begründet war. Nachts flohen die Möwen aus den Dünen und übernachteten größtenteils auf den Seesänden draußen bei Amrum. Am 20. Juni fanden dann Zivis des Öömrang Ferian in den Dünen nordwestlich von Nebel-Westerheide eine Wildkaninchenhöhle, die zu einem Fuchsbau erweitert worden war. Vor der Höhle bot sich ein einzigartiges Bild eines “Schlachtfeldes” mit Resten von Möwen, Enten, Hohltauben u. a., die darauf hindeuteten, dass hier ein ganzes Fuchsgeheck mit einem halben Dutzend oder mehr Welpen aufgezogen worden war. Nun erklärte sich das Verhalten der Möwen, die aus Fuchsangst in der Nacht auf die Seesände flohen und auf eine Brut verzichteten, und selbst dort, wo noch keine Füchse waren, in den Dünen von Wittdün und auf der Odde. Es stellte sich die Frage, wie das Fuchspaar oder eine Fähe mit Nachwuchs nach Amrum gelangen konnte. Eiswinter mit der Möglichkeit einer Zuwanderung von Sylt oder vom Festland hatte es in der fraglichen Zeit nicht gegeben. Eine Zuwanderung bei Ebbe konnte ausgeschlossen werden, denn Füchse sind wasserscheu und wären auch bei Ebbe nie über das Watt zur Insel gekommen, obwohl sie schwimmen können. Irgendein “Verrückter” oder Ideologe muss die Füchse auf Amrum ausgesetzt haben, oder ein Landwirt, der sich wegen des Wildschadens über zu viele Kaninchen und Wildgänse geärgert hatte? Es bleibt bis heute ein Rätsel.

Die Anwesenheit von etwa fünf bis sieben Füchsen wirkte sich vor allem auf die Möwenkolonien aus. Auf der Odde wurden in nur einer Nacht etwa 80 Silber- und Heringsmöwen auf ihren Nestern totgebissen. Eine Lachmöwenkolonie auf dem Kniepsand sowie einige Sturmmöwenkolonien in den Dünen wurden vollständig vernichtet, wobei der Fuchs sich nur immer an einer Möwe sattfraß, die anderen aber aus reinem Beiss- und Beutetrieb tötete. Erstaunlich, dass die oft nur wenige Meter auseinander brütenden, aber nachtblinden Möwen die Dramen in der Nachbarschaft nicht bemerkten – bis ihnen selbst der Hals durchgebissen wurde. Auch andere Bodenbrüter, Austernfischer und Graugänse erlitten Verluste, während die Eiderenten weitgehend verschont blieben.

Amrumer Jäger bliesen Alarm und verbrachten viele Stunden auf dem Ansitz, wie erwartet vor allem Oberjäger Helmut Scheer. Und es wurden auch einige der inzwischen selbständigen Jungfüchse zur Strecke gebracht. Ein Fuchs wurde von einem Taxi überfahren. Aber die befürchtete Vermehrung mit dem Aufbau einer stabilen Fuchspopulation (wie drüben auf Sylt) trat nicht ein. Um das Jahr 2000 wurden die Füchse ungeachtet der isolierten Lage in der Nordsee von der Räude befallen und so einer möglichen Vermehrung Einhalt geboten. Ob die Räude für die davon befallenen Tiere tödlich war, konnte aber nicht geklärt werden. Angeblich sollen Füchse bei gutem Nahrungsangebot die Seuche überstehen. Und das wäre mit den vielen und leicht zu erbeutenden Bodenbrütern, deren Eiern und Jungvögeln, den vielen Wildkaninchen und Ostschermäusen durchaus der Fall gewesen – für Füchse wäre Amrum ein Paradies.

Im Laufe der Jahre war ungeachtet ständiger Verluste eine gewisse Gewöhnung der Amrumer Vogelwelt an die Fuchsgefahr zu verzeichnen. Und nach weiterer Bejagung hieß es dann um 2003/2004 in der Chronik: “Fuchs tot!”. Seither wurden keine Füchse mehr auf Amrum gemeldet.

2023 Georg Quedens     Urheberrecht beim Verfasser

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Über Georg Quedens

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One comment

  1. Hallo Herr Quedens,

    Vielen Dank für diese informative und interessante Reihe, die einen schönen Überblick über die Säugetiere auf Amrum gibt. Eine Anmerkung dazu hätte ich aber. Sie benutzen immer wieder Amrumer Flurnamen, die offenbar nicht auf Karten verzeichnet sind. Mit stach hier “Eer” ins Auge. Aber ich weiß auch nicht, welcher Leuchtturm mit “dem kleinen Leuchtturm am Hörn” gemeint ist. Das Quermarkenfeuer? Oder das Leuchtfeuer Wriakhörn?

    Vielleicht wäre es mal eine Idee für einen Artikel, alte Flur- und Ortsnamen auf Amrum vorzustellen – am Besten mit einer Karte.

    Viele Grüße aus Düsseldorf,
    Daniel Friese

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