Das Krippenspiel …


Nora Grevenitz (84 Jahre alt) aus Nebel hat schon immer gerne Gedichte und Geschichten sowohl auf Hochdeutsch als auch in ihrer Heimatsprache Öömrang geschrieben. Für Amrum News hat sie eine Weihnachtsgeschichte auf Hochdeutsch ausgesucht und hofft, dass viele Leser*innen daran ihre Freude haben:

Nora Grevenitz vor ihrem Haus

Vor vielen Jahren spielte sich auf Amrum in der Weihnachtszeit folgendes ab:
In der Schule sollte, wie in jedem Jahr, das Krippenspiel aufgeführt werden. Sämtliche Rollen waren verteilt, nur für den Wirt der Herberge hatte sich noch niemand gefunden. Johannes, der den Josef darstellten sollte, hatte die Idee, seinen kleinen sechsjährigen Bruder Martin dafür zu gewinnen. Martin freute sich, eine derart wichtige Rolle übernehmen zu dürfen. Man erklärte ihm den Verlauf und den Zeitpunkt seines Einsatzes. Maria und Josef würden auf die Bühne kommen, ans Fenster klopfen und die Frage nach einem Raum in der Herberge stellen. Er, Martin, hätte diese Frage lediglich mit „Nein!“ zu beantworten.

Es kam der Tag der Generalprobe. Martin saß brav hinter der Glasscheibe und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Endlich kamen Maria und Josef müden Schritten an das Fenster, klopften und fragten um ein Quartier. Martin strahlte und sagte laut und deutlich: “Ja, gern!“ Die Probe wurde unterbrochen und es hagelte Vorwürfe. Er wehrte sich, seine Mutter würde die Gäste stets freundlich ins Haus bitten und genauso hätte er es auch gemacht.

Am nächsten Tag, am Tag der Aufführung, wurde er von allen Seiten ermahnt, nur das zu tun, was man ihm gesagt hätte, einfach nur „nein“ zu sagen.
Alle waren sehr aufgeregt, nur Martin war völlig entspannt. Es lief alles recht gut. Maria und Josef kamen, wie bei den Proben, etwas gebeugt und müde auf die Bühne, gingen ans Fenster und klopften. „Hätten Sie einen Raum für uns in der Herberge?“ fragten sie. Es folgte sekundenlanges Schweigen, offensichtlich hatte Martin mit einem inneren Konflikt zu kämpfen. Dann aber klang die helle Kinderstimme hinter der Glasscheibe ganz entschlossen: „Ja, aber nur für eine Nacht!“ Alle Anwesenden auf der Bühne und auch die Zuschauer waren wie erstarrt. Plötzlich aber fing das Publikum an zu klatschen und wollte gar nicht wieder aufhören. Die peinliche Situation war gerettet. Martin musste nach der Aufführung natürlich eine Erklärung abgeben und meinte: „Maria und Josef haben mir so furchtbar leidgetan“.
Im darauf folgenden Jahr stand Martin vorsichtshalber als Engel auf der Bühne.

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Über Brunhilde Wnuck-Jessen

Brunhilde Wnuck-Jessen wurde 1956 in Dorsten geboren und machte dort 1975 ihr Abitur. Anschließend ging es zum Studium nach Köln, wo sie eine Amrumer-Clique kennenlernte. Der Liebe wegen zog sie 1984 nach Süddorf auf Amrum, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann Sönke wohnt. Nach 38 Jahren Schreibtischarbeit freut sich die Jungrentnerin nun auf viel gemeinsame Zeit mit ihren beiden Enkeltöchtern.

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