Es ist ein für einen Altar einer Kirche oder Kapelle schon ein sehr merkwürdiger Altaraufsatz, der da in der Kapelle an der Inselstraße in Wittdün zu sehen ist.
Für gewöhnlich zeigen Altarbilder biblische Szenen, hier aber ist auf drei Tafelbildern mittig der Amrumer Leuchtturm, links ein dramatischer Strandungsunfall und rechts der Einsatz eines Rettungsbootes dargestellt. Dies verleiht der Apsis mit dem Altar einen durchaus mystischen Eindruck.

Im Februar 1902 stellte der aus Tondern stammende Wittdüner Hotelier Heinrich Andresen der St.-Clemens-Kirchengemeinde ein Grundstück zur Verfügung um dort eine Kapelle errichten zu lassen. Diese sollte der kirchlichen Betreuung der Kurgäste und der Wittdüner Bevölkerung dienen. In einem heutzutage undenkbaren Tempo konnte die Kapelle durch ein Kieler Unternehmen erbaut und bereits zu Pfingsten 1903 eingeweiht werden. Rasch stellte sich jedoch heraus, dass die Baufirma zur Verarbeitung des Mörtels salzhaltigen Sand aus dem Watt verwendete, so dass recht bald Sanierungsarbeiten durch ortsansässige Handwerker vorgenommen werden mussten. Derartige Baumängel sind übrigens auch heute immer wieder ein Thema auf Amrum (siehe z. B. „Apartment Haus Alte Post in Wittdün muss geräumt werden“ – Amrum News 8. Juli 2023).

Die heutige Innenausstattung der Kapelle wurde dann erst im Laufe der folgenden Jahre vervollständigt, so wurden auch die Altarflügel erst im Jahr 1929 durch den Wittdüner Hotelier und DGzRS-Vormann Carl Quedens und seiner Frau Pine gestiftet. Ein langjähriger Kurgast im Hotel Vier Jahreszeiten, Professor an der Landeskunstschule Hamburg und „Halligmaler“ Nikolaus Soltau (*1877 – †1956), hat die Altarbilder gemalt.

Das mittige Hauptbild unter dem Altarkreuz zeigt den Amrumer Leuchtturm, noch in seiner ursprünglichen dunkelroten Ziegelfarbe, mit dem Spruch „Ich bin das Licht des Lebens“ und dem Vermerk „Gott zur Ehre der Kirche zur Zierde gestiftet von Carl Quedens und Frau – 1929“.

Der linke Flügel zeigt einen gesunkenen Dampfer, über den die Brandung hinweggeht und dessen Besatzung sich in den Mast gerettet hat. Über dem Havaristen leuchtet im dunklen Himmel ein Kreuz, unter dem Bild steht der Vers: „Rufe mich an in der Not; so will ich dich retten; so sollst du mich preisen“.
Das rechte Blatt zeigt ein herannahendes Rettungsboot und den Spruch „Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben lässet für seine Freunde“.

Die beiden äußeren Bilder sollen Szenen aus dem Leben von Carl Quedens zeigen. Auf der rechten Seite ist offenbar der Einsatz des Rettungsbootes „Hermann Freese“ der Station Amrum-Süd, wohl unter der Leitung des Vormanns Carl Quedens, zu sehen. Der Schiffsuntergang auf der linken Seite scheint die Strandung des Hamburger Dampfers “Albis” am 24. November 1922 darzustellen, dessen 18-köpfige Besatzung durch den mutigen und waghalsigen Einsatz der Rettungsboote „Hermann Freese“ von der Station Amrum-Süd und „Picker“ aus Norddorf gerettet werden konnte. Neun Mann wurden zunächst vom Wittdüner Boot abgeborgen, die weiteren Neun dann am Folgetag durch das Norddorfer Boot unter dem Vormann Gerret Peters. Auch Carl Quedens, der Vormann des Wittdüner Bootes war unter diesen Geretteten, er war auf den gesunkenen Dampfer übergesprungen, um die Möglichkeit einer eventuellen Bergung zu erkunden. Dies tat er offensichtlich nach dem Vorbild seines Vaters Volkert Quedens, der als Strandvogt und Vormann an die 30 gestrandete Schiffe geborgen und hohe Bergelöhne kassiert hatte. Da sein Rettungsboot auf Grund der hohen Brandung nicht mehr eingesetzt werden konnte, musste er unfreiwillig die Nacht mit der schiffbrüchigen Restbesatzung auf dem gesunkenen und verlorenen Dampfer verbringen.
Das Norddorfer Rettungsboot bekam für den todesmutigen Einsatz und die Rettung der übrigen 9 Männer sowie des Wittdüner Vormannes von der DGzRS die “Prinz Heinrich – Rettungsmedaille“ verliehen. Die Aktion von Carl Quedens hingegen wurde ihm von den Seenotrettern wegen der Verbindung von seiner Aufgabe als Rettungsmann mit Geschäftssinn für eine mögliche Bergung und Bergelohn verübelt. In Folge weiterer Differenzen wurde er dann im Jahr 1923 vom Vorstand der Rettungsgesellschaft von seiner Aufgabe als Vormann entbunden.
Den Amrumern wird ja bis heute nachgesagt, dass sie Strandräuber seien. Das spiegelt sich in vielen Berichten, Erzählungen, Liedern, Anekdoten und auch Witzen wieder: „Kommen zwei Föhrer an die Himmelspforte und bitten Petrus um Einlass. Der will sie aber nicht reinlassen: „Der Himmel ist leider voll. Die letzten freien Plätze sind gerade durch Amrumer belegt worden.“ „Kein Problem“, erwidern die Föhrer und rufen: „Skap üüb strun!“ („Schiff am Strand!“). Und schon rennen alle Amrumer raus und es ist wieder Platz für die Föhrer.
Vielen Dank für den Artikel über die Kapelle von Wittdün. Ich stand schon ein paar Mal davor, aber die Tür war jedes Mal abgeschlossen. Gibt es bestimmte Zeiten, wo man die Kapelle besichtigen kann?
Viele Grüße
Jutta Hagen