Über einhundert Aquarelle, große und kleine Formate gerahmt hinter UV-geschütztem Glas, verließen Mitte März die kleine Insel Amrum in Richtung Husum. Gut verpackt und persönlich begleitet von der Künstlerin kamen sie wohlbehalten im Husumer Rathaus an und sind dort bis zum 12. Mai auf den drei lichtdurchfluteten Galerie-Ebenen zu sehen – montags bis donnerstags zwischen 8:30 und 16:30 Uhr, freitags nur vormittags.
Musikalisch umrahmt wurde die Vernissage von Waldemar Jarczyk aus Kiel, der zwei moderne Stücke aus den 1980er Jahren auf der Querflöte präsentierte, die sehr schön zum Charakter der Ausstellung passten: „Floral und explodierend“ Carlo Galantes „Il Catalogo dei Fiori – Orchidiacee“ und das „Pièce pour la flûte“ von Jacques Ibert.
„Für mich war die Einladung, in Husum auszustellen, eine so große Freude, weil es meine erste große Ausstellung in Schleswig-Holstein ist, obwohl ich inzwischen schon 17 Jahre hier wohne“, freute sich die auf Amrum lebende Künstlerin Anna Susanne Jahn, die in der Ferne von Australien bis Kanada ausgestellt hat, vor allem aber in Niedersachsen. Dort hat sie in den 1980er Jahren studiert, an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig bei Karl-Christian Schulz und Peter Voigt, dessen Meisterschülerin sie war.
Ein Stipendium führte sie zum Studium der japanischen Tuschemalerei nach Kyoto. Dieser Aufenthalt habe Anna Susanne Jahn tief beeindruckt, so Dr. Thomas Gädeke, der langjährige Leiter der Grafischen Sammlung des Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte im Schloss Gottorf, in seiner Einführung zur Ausstellung am 18. März. Fernöstliche, japanische Einflüsse seien im Werk der Künstlerin präsent.
Der Kunsthistoriker erinnerte daran, dass Peter Voigt in Braunschweig, den auch eine Freundschaft mit dem Zeichner Horst Janßen verband, zu den wenigen Vertretern Realistischer Kunst im Westen gehörte, die gegenständliche Malerei lehrten. Realistische Kunst sei nicht einfach Reproduktion, sondern künstlerische Verwandlung.
Anna Susanne Jahn gelinge es, Gegenstände genau erfassen, zu durchdringen und zu verwandeln. Der Bezug ihrer Aquarelle zur Natur berühre uns, weil wir das Dargestellte kennen, aber als neu erleben. Mit ihrer Aquarell-Technik zaubere sie Lichtreflexe in die Gegenstände der Stillleben. Sie sei eine virtuose Handwerkerin, aber auch eine Künstlerin, die einen Zauberstab in der Hand hielte, mit dem sie die Gegenstände auf dem Papier „belebe“, lobte Gädeke.
Ein Kunstwerk an der heimischen Wand zu haben, das sei ein Perpetuum mobilé, wie sonst nur das Auge eines Menschen, in das wir schauen.
Wer Anna Susanne Jahns Aquarelle kennt, weiß, dass es sich lohnt, genau hinzuschauen. Detailliert und präzise bringt sie zarte Pflanzenporträts und eigenwillig komponierte Stillleben zu Papier, aber ohne die Symbolik der barocken Meister und gern mit einem Augenzwinkern. Ihre Motive findet die Künstlerin, die auch eine passionierte Gärtnerin ist, vorwiegend auf Amrum – in Haus und Garten oder am Strand. Es sind keine gewöhnlichen Aquarell-Themen, sondern eher ungewöhnliche Sujets.
Die Ausstellung in Husum ist thematisch nach Etagen sortiert.
Erst fängt es ganz harmlos an – mit Pflanzenportraits in Gruppen. Herrliche Pfingstrosen, Nelken, Amaryllis, Rosen, Tulpen und Narzissen, die Serie blauer Blumen und Blümchen, roter Klatschmohn auf zarten Stielen, schlichte Wiesengräser, Rhabarber, ausgewählte Blütenzweige – eine Pracht an Farben und Formen, anmutig und schön.
Manche der Schönen sind angereichert mit einem überraschenden Objekt, das eine humorige, gern wortwitzige Anspielung nicht missen lässt. Andere geben die Schönheit der Vergänglichkeit detailgetreu preis wie die weiße, nelkenhafte Pfingstrose in Ballettpose. In voller Blüte zeigt sie ihre feinen, purpurroten Streifen und welkt dann duftend dahin wie ein sterbender Schwan.
Auch die kleine tote Spitzmaus an den Blutorangen ist traurig schön. Aber jetzt sind wir schon auf der zweiten Galerie-Ebene, wo die „schrägen Stillleben“ hängen, wie Anna Susanne Jahn sie nennt. Das „Moorhuhn (Wacholderzweig) mit Trauben“ zum Beispiel, die „Stalldachbretter“ und die verendete „Elster“, das „Stillleben mit Herbstfrüchten und Widderchen“ (das Widderchen ist der Nachtfalter, nicht das rosa Schaumkonfekt), der „Putzroboter“ (die verbastelte Kastanie auf dem Bild) oder der „Blasentang mit Badetierchen“. Ein bisschen Spielfreude liege in ihren Kompositionen, sagt die Künstlerin. „Ich hab‘ Freude am Absurden und ungewöhnlichen Zusammenstellungen.“
Die Hängung ermöglicht auch eine Rückschau auf Anna Susanne Jahns Aquarelle, die in den letzten 15 Jahren entstanden sind. Man kann vergleichen, was sich verändert hat, in der Farbentwicklung und an den Schatten. Sie wird mutiger. Die Farbpimente nehmen zu, die Palette wird klarer. Die portraitierten Objekte erlangen eine erstaunliche Präsenz. Ich hätte vorher wirklich nicht erwartet, dass diese vielen, minutiös dargestellten Motive so wirken würden und in dem großen Gebäude nicht untergehen. Ganz im Gegenteil, auf den drei lichten Ebenen des Rathauses in dieser Fülle zu schwelgen und auch die kleinen, manchmal spitzfindigen Details der Bilder zu entdecken, macht richtig Spaß.