Bisamratten sind als nahezu reine Pflanzenfresser eher harmlose Nagetiere, die sich allerdings mancherorts durch das Aushöhlen von Deichen und Dämmen bemerkbar machen und deshalb als Schädlingen bekämpft werden. Viel gefährlicher aber sind Wanderratten (Rattus norvegicus), die fast zeitgleich mit dem Bisam die Insel besiedelten und sich bis dato über alle Dörfer und fast alle Landschaften verbreitet haben. Wanderratten können auf unterschiedlichen Wegen nach Amrum gekommen sein. Zunächst denkt man an die umfangreichen LKW-Transporte mit Bau-, Garten- und Lebensmitteln und sonstigen Materialien. Aber seit Ende des vorigen Jahrhunderts gibt es Wanderratten auch auf Föhr, und es dürfte diesen intelligenten Tieren keine Probleme bereiten, etwa von Utersum aus bei Ebbe die wenigen Kilometer und die Priele zu überwinden.
Ratten wurden erstmals im Frühjahr 2006 auf Amrum festgestellt, und die Amtsverwaltung blies zu einer umfassenden Giftaktion mit Ködern und Köderkassetten, die nur für den Einlauf von Ratten (und Mäusen) konstruiert waren. Schon im Herbst desselben Jahres meldete der “Insel-Bote” die Insel wieder “rattenfrei”. Aber diese Meldung wurde durch die Fakten nicht bestätigt. Denn in der Folgezeit wurden Ratten wieder aus allen Inseldörfern gemeldet, und die Rattenbekämpfung wurde einige Male seitens der Amtsverwaltung publik gemacht. Sie ist auch gegenwärtig aktuell. Aber nach Einsprüchen von Naturschutzfunktionären, die auf die Gefahr für andere Tierarten durch das Auslegen von Giftködern hinwiesen, z. B. für Greifvögel durch den Verzehr von vergifteten Ratten, darf die Rattenbekämpfung nur noch von Fachleuten und auf eigene Kosten durchgeführt werden.
Ratten sind Allesfresser und als solche für ihre Umwelt eine große Gefahr. Wo Ratten hausen, haben Bodenbrüter kaum eine Chance, ihren Nachwuchs erfolgreich auszubrüten und großzuziehen. Beispielsweise erreichten Ratten – vermutlich von Pellworm aus – die bekannte Seevogelhallig Norderoog und vernichteten in den Jahren 1945 und 1946 sämtliche Gelege und Jungvögel in den Kolonien der Brandseeschwalben und fraßen auch manchen Altvogel. Ähnliche Vorkommnisse wurden auch von Seevogelinseln an dänischen Küsten bekannt.
Aber auch am Hause, in Geflügelhaltungen, machen sich Ratten bemerkbar. So wurde in Nebel im vorigen Jahr eine Wachtelzucht mit Dutzenden Vögeln vernichtet, nachdem Ratten sich einen Zugang in das Gehege gegraben hatten. Aber Ratten töten und fressen auch andere, körperlich unterlegene Mäuse, sogar die relativ großen Ostschermäuse und auch Tiere der eigenen Art. Und auf Amrum werden seit einigen Jahren umfangreiche Kolonien von Sturmmöwen in kurzer Zeit total vernichtet. Ebenso auffällig ist, dass “über Nacht” die Gelege von Kiebitzen und Austernfischern vollständig verschwinden. Früher schrieb man diese Verluste den Übermengen an Rabenkrähen auf Amrum zu. Aber Fotofallen an Nestern haben andernorts bewiesen, dass Ratten – ungeachtet der Abwehrversuche der Brutvögel – letzten Endes immer die Eier und Jungvögel rauben. Nur bei den großen Mantelmöwen haben Ratten keinen Erfolg. Sie werden totgehackt und gefressen. Doch auf Amrum brüten nur vereinzelte Mantelmöwen.
Bekannt ist auch, dass Ratten Überträger gefährlicher Seuchen sind. Genannt werden mindestens 35, darunter die mittelalterliche Pest, für die allerdings die Hausratte (Rattus rattus) ursächlich war, die aber mittlerweile von der Wanderratte fast völlig verdrängt wurde.
Tatsache ist auch, dass andere Kleinsäuger (Hausmaus, Waldmaus, Ostschermaus und die Spitzmaus) seit dem Auftauchen der Wanderratten nahezu von Amrum verschwunden sind. Und seitdem fehlt es auch an Brutnachweisen von Eulen, Weihen und Falken!
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