Die Einbürgerung von Säugetieren erfolgt oft durch Tierfreunde oder Jagdinteressenten. Letztere wollen die Wildbahn “bereichern”, um die Jagdstrecken mit vorher nicht vorhandenem Wild zu erhöhen, Erstere, um sich am Anblick der Tiere zu erfreuen. Das eine und das andere kann erfolgreich sein, aber auch gehörig “in die Hose gehen”, wenn eine jahrhundertealte, festgefügte Avifauna eines abgeschlossenen Landschaftsraumes (Insel) durch eine neue Tierart “bereichert” wird, die dann im bisherigen Naturgefüge unvorstellbare Schäden anrichtet und sogar zur Ausrottung der ursprünglich heimischen Tierarten führt.
Igel (Erinaceus europaeus) gehören seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Amrumer Inselfauna. Sie sind sowohl in den Dorfgärten als auch draußen in der Landschaft, vereinzelt auch in den Dünen, anzutreffen. Und sie wandern sogar nachts hinaus auf den Kniep, vermutlich, weil sie hier nach Gelegen von bodenbrütenden Seevögeln suchen. Denn das ist genau das Problem mit diesen an sich niedlichen Stacheltieren: sie können ganz gezielt und konzentriert in den Seevogelkolonien hausen und diese vollständig vernichten. So geschehen auf der Amrumer Odde. Die Amrumer Nordspitze, fries. Ood, wurde im Jahre 1936 unter Naturschutz gestellt, wobei es vor allem darum ging, Eiderenten (damals südlichster Brutplatz dieser nordischen Meeresente) und Seeschwalben gegen die traditionelle und seit Jahrhunderten überschwenglich betriebene Eiersammlerei zu schützen. Zwei Täler auf der Nordspitze trugen sogar nach den dort brütenden Seevögeln die Namen “Letj Bakerdääl” und “Grat Bakerdääl” (kleines und großes Seeschwalbental – heute vom Verein Jordsand “Fischertal” und “Langtal” genannt). Hier brüteten noch bis Ende der 1950er Jahre bis zu 1000 Fluss- und Küstenseeschwalben. Aber dann kam es um 1958 zu erheblichen Zusammenbrüchen in den Seeschwalbenkolonien, und man schrieb diese den Silbermöwen zu, die als Reaktion auf das hartnäckige Eiersammeln in den oberen Inseldünen (heute NSG “Amrumer Dünen) von einem zum anderen Jahr die Odde besiedelten, wo man sie bisher erfolgreich zum Schutze der anderen Seevogelarten ferngehalten hatte!
Aber Möwen können kaum in kompakte Kolonien der aggressiven Küsten- und Flussseeschwalben einbrechen, um Gelege oder Jungvögel zu rauben. Der Biologe Paul Ruthke legte sich in der Brutzeit 1961 in einem Tarnzelt über Nacht auf die Lauer und stellte bald fest, dass die Brutverluste in den Seeschwalbenkolonien durch Igel verursacht wurden, die Gelege und Jungvögel fraßen und als nächtliche Räuber bei den nachtblinden Seeschwalben regelrechte Panik verursachten. Zwei Jahre später waren die Seeschwalben verschwunden, und Möwen besiedelten die Täler der Odde. Auf den Ostfriesischen Inseln wurden ähnliche Entwicklungen registriert. Auch hier sorgten “Tierfreunde” für das Aussetzen von Igeln, und auch hier gab es bald mehr oder weniger Verluste unter den insularen Bodenbrütern. In den Vogelschutzgebieten wurden die unter Naturschutz stehenden Stacheltiere deshalb eingefangen und abreisenden Inselbesuchern in Kartons zum Festland mitgegeben, um die Tiere dort wieder auszusetzen. Eine Praxis, die auch von den Vogelwärtern der Odde durchgeführt wurde bzw. wird(?). Auch hier auf Amrum begründete sich die Etablierung von Igeln auf die menschenverursachte Einbürgerung. Kinder einer tierlieben Familie sollen sie Anfang des 20. Jahrhunderts von Föhr mitgebracht haben.
In den 1960er/70er Jahren waren Igel auf Amrum recht zahlreich. Besonders in den sommerlichen Abendstunden hörte man diese Nachttiere in fast allen Dorfgärten schnaufen und schnüffeln und sah auch regelmäßig auf den Straßen überfahrene Igel. Das Auto war und ist nämlich der Hauptfeind der Igel, die sonst in der Natur kaum Feinde bzw. Regulatoren haben. Aber seit Jahren sind sie auffallend seltener geworden, Ursache unbekannt.
Zur Belebung des Waldes – zum Nachteil der Vogelwelt
Wie der Igel, so wurde auch das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) aus Unkenntnis biologischer Abläufe auf Amrum ausgesetzt, und zwar im Jahre 1964 durch den Leiter der Aufforstung, Irenäus Garz. Nachdem der größte Teil der ursprünglichen Inselheide umgepflügt und vor allem mit Kiefern und Fichten aufgeforstet war, stellte sich angesichts des heranwachsenden Waldes die Frage nach einer Belebung mit Tieren. Rehwild verbot sich, weil es die Triebe von jungen Bäumen abknabbert. Es boten sich Eichhörnchen an, und diese waren flugs beschafft. Ein halbes Dutzend wurde im Altwald bei Nebel-Westerheide ausgesetzt und hat sich bald reichlich vermehrt. In den 1970er Jahren waren Eichhörnchen so zahlreich, dass sie täglich – wie geplant – den Waldwanderern vor Augen kamen und sich sogar außerhalb des Inselwaldes auch in größeren Dorfgärten ansiedelten. Aber es blieb nicht aus, dass sie in den Verdacht gerieten, die Bruten von Waldvögeln zu vernichten. (In “Danmarks Dyreverden”, Bd. 9, weist Preben Bang allerdings darauf hin, dass dies nur in seltenen Fällen geschieht.) Eichhörnchen leben bekanntlich in sogenannten “Kobeln”, mehr oder weniger großen Reisig- und Nesthaufen im Gezweig von Nadelbäumen. Sie halten keinen Winterschlaf, sondern sind nahrungssuchend auch im Schnee unterwegs. Dabei suchen sie die im Herbst versteckten Baumfrüchte (Eicheln, Bucheckern), finden aber nicht alle wieder, so dass sie auch manchen neuen Baum pflanzen.
Im Lebensraum Inselwald hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges verändert. Die frühere Monotonie des Nadelwaldes ist nach Krankheiten und Windwürfen zum Nadel-/Laubwald geworden. Aber schon vorher wurden Eichhörnchen immer seltener – wofür es keine einleuchtende Erklärung gibt. Das Eichhörnchen hat auf Amrum keine Feinde. Es gibt keine Baummarder und nur ganz selten durchziehende Habichte, die Winter sind über lange Zeit nicht streng gewesen, und der Amrumer Oberjäger Helmut Scheer lebt schon lange nicht mehr (2001). Auch aus den Dorfgärten sind die Eichhörnchen längst verschwunden und sind auch nicht mehr im Park der Gemeinde- und Kurverwaltung Nebel zu finden, einem Biotop, das in urbanen Landschaften sonst immer von Eichhörnchen, an Menschen gewöhnt, besiedelt ist.
Ungeachtet ihrer mäuseartigen Gestalt und ihres mäuseähnlichen Herumhuschens sind Spitzmäuse keine Mäuse, sondern Insektenfresser, verwandt mit Maulwürfen und Igeln. In mehreren Arten lokal oder weit über Europa verbreitet, kommen für Amrum zwei Arten in Frage: Die Waldspitzmaus (Sorex araneus) und die Zwergspitzmaus (Sorex minutus). Beide Arten wurden in den 1950er und 1970er Jahren in den Gewöllen von Waldohreulen gefunden, und mit Sicherheit stammen diese Nachweise aus Beutetieren von Amrum, denn die hiesigen Waldohreulen dürften zur nächtlichen Beutejagd nicht nach Sylt oder Föhr geflogen sein.
Ein erstes lebendes Exemplar wurde bei einer Sturmflut im Winter 1976 entdeckt. Das Schilffeld am Deich am Wattufer vor Norddorf wurde überflutet und die darin lebenden Tiere rannten hinauf auf die höhere Geest, darunter auch eine Spitzmaus unbestimmter Art. Spitzmäuse können nur mit Baumaterial, vermutlich Maschinen für den Küstenschutz, nach Amrum gelangt sein. Die obige Beobachtung blieb dann aber die einzige für eine lange Zeit. Aber etwa seit der Jahrtausendwende 2000 häuften sich die Meldungen von Spitzmäusen, die vor allem im Winter in Gebäude eindrangen und in Mausefallen als “Hausmäuse” gefangen wurden. Besonders oft wurden Spitzmäuse von den Häusern am westlichen Dünenrand von Norddorf gemeldet. Aber seit einigen Jahren gelten sie als selten oder gar verschwunden, und wieder wird die Frage nach dem Auftauchen der Wanderratten gestellt. Spitzmäuse werden öfter von ihren Raubfeinden und von Greifvögeln erbeutet, dann aber nicht verzehrt, sondern unberührt liegengelassen. Sie haben nämlich an ihren Körperseiten Drüsen mit einem nach Moschus riechenden Sekret, das Beutegreifer vom Verzehr der Spitzmaus abschreckt.
Spitzmäuse sind überaus lebhafte Tiere mit einem großen täglichen Nahrungsbedarf (Insekten, Regenwürmer etc.), und sie leben sehr territorial. Im individuellen Revier werden keine anderen Tiere der eigenen Art geduldet, und nicht selten werden Wanderer durch das Kreischen der gegeneinander streitenden Tiere aufmerksam. Im Frühjahr bekommen die Weibchen 7-10 Junge und im Laufe des Sommers noch einen weiteren Wurf.
2023 Georg Quedens Urheberrecht beim Verfasser