Friedrich F. Stuck – ein Amrumer Kapitän in Hamburg


 

Amrum war in früheren Jahrhunderten die Insel der Seefahrer. Noch heute erinnern zahlreiche Grabsteine auf dem historischen Friedhof der St. Clemens-Kirche an diese oft tragische und dramatische, aber auch großartige Zeit, als inselfriesische Seefahrer als Walfänger in das Eismeer fuhren oder zu den fernsten Häfen in Ostasien und Südamerika segelten, um Gewürze und andere Spezialitäten oder Salpeter und Vogeldung (Guano) zu europäischen Häfen – zuletzt vor allem nach Hamburg und Altona – zu verschiffen, oft Jahre unterwegs waren oder bei der Seefahrt durch Unwetter und tropische Krankheiten ihr Leben verloren, so dass es in den Dörfern der Inseln auch von Witwen und Waisen wimmelte.

Etliche der inselfriesischen Seefahrer wurden Kommandeure, Führer von Walfangschiffen oder Kapitäne, Führer von Handelsseglern über alle Meere der Welt. Ihre Grabsteine, im Giebel oft mit plastisch und detailgetreu herausgemeißelten Segelschiffen, sind es, die vor allem den Reiz des historischen Friedhofes vermitteln. Einige wenige Grabsteine von Kapitänen stehen aber auch noch auf dem “aktuellen” Teil des St. Clemens-Friedhofs, und dazu gehört der Stein von Friedrich Fürchtegott Stuck, am 28. Juni 1841 in Nebel geboren und dortselbst am 4. April 1919 gestorben. Die übliche Totenruhe ist also längst abgelaufen, aber die Grabstelle wird von Nachkommen bis dato unterhalten.

Friedrich Fürchtegott Stuck, das war kein inselfriesischer Name, wie Erken, Jannen, Peters oder Ricklefs und Martinen, die sich noch auf die altertümliche patronymische Namensbildung gründeten, als sich die Familiennamen aus dem Vornamen des Vaters herleiteten. Tatsächlich war Friedrich Fürchtegott Stuck der Sohn des im Jahre 1829 nach Amrum berufenen Lehrers und Küsters Claus Stuck aus Schwabstedt. 1833 heiratete er die Amrumerin Göntje Jürgens und hatte mit ihr sechs Kinder, darunter den oben genannten Sohn und späteren Kapitän. In meinen Archivalien über die Inselgeschichte befindet sich ein Hinweis, dass der Lehrer Claus Stuck “um seine Frau Göntje freite, als diese noch in der Schule war (…)”. Und Martin (Macke) Peters erinnerte sich an den damals kursierenden Ausspruch: “Gott des Himmels und der Erden, soll das Kind zur Mutter werden???” – ausgesprochen vermutlich vom Inselpastor anlässlich eines Gottesdienstes. Der damalige Pastor war Lorenz Friedrich Mechlenburg (Pastor auf Amrum von 1827 bis 1875). Es war damals durchaus üblich, dass Pastoren gesellschaftliche Ungewöhnlichkeiten oder unmoralische Vorkommen in der Gemeinde öffentlich von der Kanzel aus anprangerten. Die “amtlichen” Unterlagen liefern allerdings keinen Beleg für das oben angedeutete Ereignis. Göntje Jürgens, geboren am 2. Juni 1815, war immerhin schon 18 Jahre alt, als sie am 11. August 1833 den Lehrer Claus Stuck heiratete, und das erste Kind, die Tochter Eleonore, wurde erst am 30. April 1834 geboren – also alles nach den damaligen “gottgewollten Vorschriften”!

Kpt. Friedrich Fürchtegott Stuck mit Ehefrau Theodore, geb. Peters

29 Jahre war Claus Stuck Lehrer und Küster in Nebel und “unterrichtete mit Akkuratesse in der Dorfschule bis zu 120 Kinder”. Im übrigen half er auch etlichen Mitbürgern bei schriftlichen Anträgen an Behörden und war, auch durch seine Heirat, ganz in das Inselleben integriert. Die Familie Stuck wohnte in dem Haus Nr. 57 (später Wohnhaus der Familie Karl bzw. Philipp Meyer, heute mit der Fahrradvermietung Randow/Winkler) direkt gegenüber von Kirche und Friedhof. Die Schulchronik berichtete, dass Claus Stuck 1858 vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand ging. Nach anderen Berichten wurde er aber von den dänischen Behörden entlassen, weil er sich in der Auseinandersetzung zwischen deutsch und dänisch anlässlich der Schleswig-Holsteinischen Erhebung (1848 – 1850/52) für die deutsche Seite engagiert hatte. Die Amrumer aber waren ganz überwiegend königstreu, d. h. dänisch orientiert und mit ihrer Insel im Zusammenhang mit Westerlandföhr bis zum Jahre 1864 ja auch ein Teil des Königreiches Dänemark.

Als Seefahrer nach Hamburg
In jener Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, hatte sich Hamburg zur größten deutschen Hafenstadt entwickelt und zog viele inselfriesische Seefahrer an, auch Amrumer, ungeachtet ihres Ausländerstatus. Und wie etliche Knaben seiner Zeit, so begann auch der Lehrersohn Friedrich Fürchtegott Stuck seine Seemannschaft in Hamburg. Über diese erste Zeit liegen leider keine Berichte vor, erst als er die Seefahrt schon “bedankt” und sich an Land zur Ruhe gesetzt hatte, notierte der Amrumer Kapitän seinen seemännischen Lebenslauf in einer Bibel: “Kurz nach meiner Konfirmation widmete ich mich dem Seeberuf. Am 21. Februar 1865 bestand ich mein Navigations-Examen und fuhr als Steuermann auf Segelschiffen von Hamburg.

Dreimastbark “Neptun”

Am 1. April kam ich als Steuermann an Bord des Schiffes “Neptun” von der Reederei M. G. Amsinck, Hamburg, und am 27. Juli 1872 wurd ich Capitän dieses Schiffes. “Neptun” hatte 1189 BRT und wurde 1875 als Bark umgetakelt. Nachdem ich 14 Jahre mit der “Neptun” glücklich gefahren, erhielt ich 1882 die in Hamburg neuerbaute eiserne Bark “Aurora”, die ich aber schon beim Auslaufen in der Elbemündung als Folge einer Kollision mit einem englischen Dampfschiff verlor”. (Anm.: Nach damaligen Seeverordnungen mussten Schiffe mit Dampfmaschinen den Segelschiffen ausweichen. Kpt. Stuck wird also an diesem Verlust gänzlich unschuldig gewesen sein, weshalb er auch seine Anstellung bei der Reederei Amsinck behielt und sofort ein neues Schiff bekam.)

“Am 14. Oktober 1882 wurde ich Kapitän der “Argo”, aus Eisen gebaut, 936 BRT groß.” (Anm.: Die meisten damaligen Segelschiffe in der Welt waren noch aus Holz gebaut.) “Die “Argo” führte ich bis Juli 1890 und übernahm dann am 1. Oktober 1890 die Führung der neugebauten stählernen Bark “Artemis”, 1402 BRT groß. Dieses Schiff führte ich bis März 1891.” (Aus Hamburger Unterlagen, vor allem den Publikationen von Walter Kresse in vier Bänden über Reedereien, Schiffe, Kapitäne und Reisen von 1824 bis 1888 geht hervor, dass fast alle Reisen ab Hamburg über England (Kohlen) zu den Salpeterhäfen an der Westküste von Chile und Peru gingen.)

Abschließend schreibt Kapitän Stuck: “Nachdem ich nunmehr 35 Jahre zur See gefahren war, davon 24 Jahre, nämlich vier Jahre als Steuermann und 20 Jahre als Kapitän für die Reederei Amsinck, entsage ich dem Seeleben in der Hoffnung, den Rest meines Lebens im Kreise meiner Familie auf Amrum zu verleben”.

Das Grab in der Heimaterde
“Das ist ein glücklicher Seemann, der in der Heimat seine letzte Ruhe findet”, hieß es in früheren Jahrhunderten auf der Seefahrerinsel Föhr. Allzuviele Seeleute fanden nämlich fern der Heimat im Eismeer (Walfang) oder auf den Weltmeeren einen oft frühen Tod. Somit war es schon eine Lebensgnade, wenn ein Seefahrer nach seinem Berufsleben unversehrt nach Hause kam und hier seinen Lebensabend verbringen konnte.

Der Grabstein des Ehepaares Stuck

Friedrich Fürchtegott Stuck erlebte diese Gnade. Und Enkelkinder berichteten (brieflich), dass sie mit dem Großvater durch die Dünen wanderten und zum Baden an die Nordsee gingen. Ungeachtet seiner Position als früherer Kapitän spielte er im öffentlichen Leben aber keine große Rolle mehr. Er wohnte im Haus Nr. 3 am Lungjaat in Nebel. Dieses Haus blieb nach dem Tod des Kapitäns noch lange im Familienbesitz über die Tochter Githa, verheiratete Lühtje. Und in der Stube hing noch in den 1960er Jahren das Gemälde der Bark “Neptun” der Reederei Amsinck. Der Kapitän Stuck starb am 4. April 1919 und erhielt durch die Nachkommen den heute noch vorhandenen Grabstein, gleich links neben dem Eingang zur St. Clemens-Kirche – im Giebel des Steins ein Handelsschiff unter vollen Segeln.

2022 Georg Quedens

Urheberrecht beim Verfasser

 

 

 

 

 

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