Der Netzwerker: Tim Eisenlohr


Ohne Kappe nie: Tim Eisenlohr im September auf Amrum
© UBS

Mal eben einen 40-Tonner mit warmen Sachen für die Flüchtlinge in Griechenland organisieren, Gelder sammeln für medizinische Nothilfe an der türkischen Grenze, Menschen mobilisieren, die man gar nicht kennt. Wie macht man das? Auch jemand, der sich in Internetdingen für nicht völlig rückständig hält, wird sich das fragen. „Netzwerken ist, wo ich mein Talent sehe“, sagt Tim Eisenlohr beim Interview im Nebeler „Blaufeuer“. Der 45-Jährige ist bei der Hilfsorganisation Resco International inzwischen zum Vorsitzenden aufgestiegen. Damals zur Gründung waren sie viele, niemanden davon hat Eisenlohr je live gesehen. Die engagierte Muslima aus Manchester genau so wenig wie den Syrer aus der Türkei, die Lehrerin aus Mazedonien nicht und die britische Krankenschwester auch nicht. Alle haben sich ausschließlich übers Internet vernetzt, nach Feierabend in den verschiedensten Facebook- und Whatsapp-Gruppen miteinander gechattet: Studierte, Nichtstudierte, Macher, Mitdenker, Handanleger. 355 Mitglieder hat die Gruppe auf Facebook derzeit.

Eisenlohr (im roten Pullover) 1987 bei der vorläufigen Festnahme in der Berliner Umweltbibliothek
© Privat

Eisenlohr ist ein ziemlich politischer Kopf. Jahrgang 1973, aufgewachsen in der DDR, wo er mit 14 von der Staatssicherheit verhört wurde, als der Trupp die Umweltbibliothek stürmte. Eine der kleinen konspirativen Kellerraumorganisationen wo auf Kopiergeräten um Freiheit und Gerechtigkeit gedruckt wurde. Wenn Eisenlohr also sagt, dass er ein besonderes Verhältnis zum Thema Grenze und zur Geschichte unseres Landes habe, wundert das nicht. Er ist in Sachen Demokratie auch als Zeitzeuge in Schulen unterwegs, war auch schon eingeladen von der Eilun-Feer-Skuul, und führt Menschen durch DDR-Erinnerungsorte in Berlin. Immer aufklären, immer erzählen, was war. Damit manches nicht wieder passiert.

 

Als 13-Jähriger in Berlin-Mitte © Privat

Die Hinwendung zum Thema Flüchtlinge begann 2015/16 mit einer Fernseh-Talkshow, in der er einem Mann zuhörte, „der in seinem Urlaub auf Lesbos in das Elend reingestolpert war“, eine Organisation gründete und fortan um Spenden und Öffentlichkeit bemüht, Hilfe organisierte. Er rief ihn kurzerhand an, man vernetzte sich. Eigentlich wollte Eisenlohr zu dem Zeitpunkt nach Irland und sein Englisch verbessern – die Saison auf Amrum war zu Ende. Stattdessen flog er nach Lesbos. „Das Mittendrinsein hat mich schwer getroffen.“ Danach hatte er das Bedürfnis zu helfen. Organisierte erste Kleidertransporte in griechischen Lagern und brachte nach und nach Struktur in das Netzwerk.

Als Zeitzeuge (mit Kappe) in der Schule: Für Demokratie kämpfen
© Privat

Inzwischen haben ihn die Amrumer Rotarier bei einigen seiner Flüchtlingsprojekte unterstützt. Den Schülern der Öömrang Skuul hat er von seinen Erlebnissen in Griechenland berichtet. Aber auf Amrum wird Eisenlohr nicht bleiben. Zu beschaulich, „für mich nicht das Umfeld“. Der Mann ohne klassische Lehr- und Berufsausbildung kam mit Pferdetrainer-Lizenz und der Liebe wegen 2007 nach Amrum und betrieb die ersten Jahre mit seiner Freundin ein Islandpferdegestüt. Er hat schon geputzt und Fahrräder verliehen. In dieser Saison kellnert er. Das Leben in der heiteren Beschaulichkeit einer Nordseeinsel hat zwei Komponenten, sagt er. Einerseits sei es ein Kulturschock, nach Hilfseinsätzen auf eine Ferieninsel zurückzukommen, wo sich Gäste über kaputte Fahrradlampen aufregen. Andererseits könne man die Tatsache, dass die Probleme hier eher kleinerer Natur sind, auch genießen. Dennoch tendiert er nach Berlin. Denn bisher ist sein Engagement zwar ehrenamtlich, aber das soll nicht so bleiben.

In Berlin auf einer Netzwerk-Konferenz zur Flüchtlingshilfe (5. v. l.) © Privat

Die Organisation, für die mittlerweile rund 15 Menschen sehr gezielt im Bereich medizinischer Nothilfe tätig sind, soll in der nächsten Zeit durch professionelles Fundraising, Aktionen und direkte Kontakte gestärkt werden. Das wird Eisenlohrs Aufgabe sein. In Berlin hat er die Nähe zu Entscheidern. Noch kommt er dort „in einem kleinen Kämmerchen“ bei seinem Bruder unter. Aber eine Wohnung will er sich gar nicht suchen. „Ich möchte in ein alternatives Wohnprojekt oder vielleicht in ein Tiny-House. Ich brauchte nicht viel.“

Eine weitere feste Stimme bei Resco International gehört Dr. Andreas Gammel, einem Arzt aus dem Landkreis Tübingen. Gemeinsam hat die Gruppe im türkisch-syrischen Grenzgebiet eine Krankenstation organisiert und finanziert Miete, Medikamente und die Gehälter für Hebamme, Kinder- und Zahnarzt und die Putzfrau.

 

Hand in Hand für ein Klinikprojekt in Gaziantep an der türkisch-syrischen Grenze
© Privat

Das Ziel über allem sei, die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern, damit Menschen in ihren Kulturen leben können, sagt Tim Eisenlohr. Sein nächstes Ziel im Herbst ist der Nordirak, wo Resco International ein Krankenhausprojekt für jesidische Frauen unterstützen will. Wofür Eisenlohr Gelder sammelt und ein Benefiz-Konzert plant. Auf dem Weg dorthin wird er wahrscheinlich die britische Krankenschwester aus der Anfangszeit des Hilfe-Netzwerks kennenlernen. Anne Norona ist eine der Initiatorinnen des Projekts. Die beiden haben sich – ohne sich je gesehen zu haben – nie aus den Augen verloren. Vorher ist Eisenlohr als Zeitzeuge zum Tag des Denkmals am 9. September in Berlin. Nach der Sommersaison will er Amrum verlassen. Aus seiner Dachwohnung in Steenodde mit Wattenmeerblick muss er raus, das Haus soll umgebaut werden. Dann ist er weg. „Unterwegs, die Welt retten.“ Er lacht.

 

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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