Der “verschworene Weg” und die Onerbäänken auf Amrum


Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts dehnte sich zwischen Norddorf und dem Leuchtturm eine jahrtausende alte Landschaft aus – die Heide, unterbrochen nur von wenigen Gehölzen mit jungen Nadelbäumen, die von einigen Insulanern (Hugo Jannen, Nautilius Schmidt und Johannes Jannen) gepflanzt worden waren, um Brennmaterial zu gewinnen. Sonst stand hier kein Haus und kein Baum, nur Heide und Heide ringsumher.

Südlich von Norddorf war in der sonst ebenen Landschaft eine kilometerlange, fast schnurgerade Bodensenke bis eben östlich der Vogelkoje Meerum sichtbar, eine eigenartige Vertiefung, für die es keine Erklärung gab. Kein Wunder, dass sich um diese Bodenformation in alter Zeit einige Sagen spannen. Früher und zeitweise wurde diese auffällige Bodensenke “Haarwai”, Heerweg, genannt. Aber es blieb unbekannt, welche Kriegerheere woher und wohin gewandert sind. Nach Norden soll der Weg über die alte Bischofsstadt Ribe geführt haben, nach Westen weiter über die Insel – wo damals noch keine Dünen standen – bis zu Stätten, die längst im Meer versunken sind.

Als dunkle Rundung liegen die Hügelräber in der Feldmark.

Deutlicher aber ist die Sage, wie der verschworene Weg zu seinem Namen gekommen ist. Im Mittelalter stand auf dem Hügel am Wattufer bei Norddorf eine Burg, heute “Borag” genannt, in der ein skrupelloser Ritter wohnte. Die Pest war über das Land gegangen und hatte viele Todesopfer gefordert und zahlreiche Waisen hinterlassen, die nun in die Eigentumsrechte ihrer verstorbenen Eltern eintreten wollten. Aber da trat der Ritter von “Borag” auf und behauptete, die Verstorbenen hätten ihr Land zu Lebzeiten an ihn vermacht, und er fand genug Leute, die seine Behauptung bestätigten und beeiden wollten. Aber als sie zum Schwur im Kreis zusammentraten, fuhr ein Blitz vom Himmel und verbrannte mit Donnerkrach rundum alles Gras. Der Ritter von Borag musste fliehen, und die Meineidigen wanderten aus Norddorf aus und gingen über die Heide westwärts zu einem Ort, der heute im Meer versunken ist. Auf dem Weg aber, den sie gingen, liegt bis heute ein Fluch, und es wächst dort auch heute noch nur kümmerliches Gras. Der Weg wurde seitdem der “verschworene” genannt, und er ist unverändert mit einer Senke in der Landschaft zu sehen und wird auf einer Teilstrecke als Reitweg genutzt, heute umrahmt vom Inselwald, der ab 1948 auf der Amrumer Heide in großem Stile aufgeforstet wurde.

 

Der Schatzgräber im Föögashuug
Nicht weit entfernt am Wegesrand von Norddorf zur Vogelkoje, heute am Dünenrand unter Dünen vergraben, liegt ein bronzezeitlicher Grabhügel, Föögashuug genannt. Mit diesem Hügel verbindet sich eine Sage über einen reichen “Onerbäänke”, der mit seinen Schätzen in diesem Hügel gewohnt haben soll. Onerbäänken waren ein unterirdisches und weithin unsichtbares Zwergenvolk, das in den Grabhügeln der Vorzeit hauste und in der Sagenwelt und Phantasie der Inselfriesen eine große Rolle spielte. Hunderte meist aus der Bronzezeit stammende Hügelgräber waren früher auf den saaleeiszeitlichen Geesthöhen von Sylt, Föhr und Amrum zu finden. Etliche davon sind noch vorhanden oder als flache Erhebungen wenigsten den Facharchäologen noch erkennbar. Auf Amrum heben sich besonders deutlich der Klöwenhuug an der Straße zwischen Norddorf und Nebel, der Kanshuug über der Anhöhe bei den Wattwiesen südlich von Norddorf, der Klaffhuug zwischen Nebel und Steenodde, der Eesenhuug bei Steenodde und der Heeshuug nordwestlich von Süddorf hervor.

Als dunkle Rundung liegen die Hügelräber in der Feldmark.

Die Onerbäänken sollen der Sage nach von Sylt und Föhr nach Amrum gekommen sein, nachdem sie dort zunächst mit den einheimischen Friesen friedlich zusammenlebten und für manche Wohltat ungesehen und unbewiesen zuständig waren, dann aber doch in Konflikt mit den Inselbewohnern gerieten und vernichtet oder vertrieben wurden. Ein Fährmann aus Utersums soll in einer stürmischen Nacht die Onerbäänken nach Amrum übergesetzt haben und bei der Heimkehr auf seiner Haustürschwelle einen Hut voller Goldmünzen gefunden haben – für jeden der nächtlichen Passagiere eine. Und beim Nachzählen war der Fährmann erstaunt, wie viele Onerbäänken es noch auf Föhr gegeben hatte und wie viele es jetzt auf Amrum gab.

Und lange Zeit, noch im 19. Jahrhundert, war der Glaube an die kleinen Wichte, die auch als “Pukleute” auf Bauernhöfen und “Klabautermänner” auf Schiffen wohnten, in der Bevölkerung so lebendig, dass Mütter auf dem Kissen in der Wiege ihres Kleinkindes eine geöffnete Schere legten, deren Kreuzform die heidnischen Onerbäänken hinderten, das Kind zu rauben oder gegen eines der ihren umzutauschen. Auf Föhr wird die Sage erzählt, dass dort eine Witwe mit einer Sichel ihr Kornfeld schnitt und ihren Säugling am Ackerrain abgelegt hatte. Aber als sie, von der Arbeit erschöpft, am Abend ihr Kind abholen wollte, lagen dort zwei Kinder genau gleichen Aussehens. Die Mutter wusste natürlich, dass eines der Kinder ein Onerbäänke war, aber welches? Schweren Herzens nahm sie beide mit und klagte einer alten Frau ihr Leid. Aber diese wusste Rat und sagte: “Fege die Stube nicht mit der Bürste, sondern mit dem Besenstiel und behalte die Kinder im Blick”. Geraten und getan, bis dann eines der Kinder lachte und ausrief: “Nun bin ich schon 33 Jahre, aber etwas Unsinnigeres habe ich noch nie gesehen”. Damit hatte er sich als Unterirdischer verraten und wurde von der Mutter schnell aus dem Haus gebracht.

Auf Föhr tragen einige Hügelgräber im Zusammenhang mit den Onerbäänken (auf Föhr Otterbankis genannt) sonderbare Namen, die mit Sagen verknüpft sind. Auch etliche Hügelgräber auf Sylt wurden mit den Onerersken, den Unterirdischen, in Verbindung gebracht, vor allem die Brönshoger am Leuchtturm von Kampen.
Aber die Geschichten, wie wir sie heute kennen, sollen erst im 19. Jahrhundert auf dem Schreibtisch des Sylter Lehrers und Chronisten Christian Peter Hansen entstanden sein. Nach dem Historiker Albert Panten in Niebüll hat C. P. Hansen aus Bruchstücken alter Erzählungen diese Sagen ausgeschmückt. Aber es sind wunderschöne Geschichten, und sie haben der Sylter Landschaft mit ihrer Vor- und Frühzeit eine Seele gegeben.

Es brennt, es brennt!
Auf Amrum steht nur das erwähnte Hügelgrab Föögashuug im Zusammenhang mit einer Sage. Aufgemuntert von den Geschichten über den reichen Zwerg und seinen Schätzen, machte sich eines Tages der im benachbarten Norddorf wohnende Nommen Andersen mit Hacke und Spaten auf, um nach den Schätzen zu graben. Bald hatte er einen tiefen Einschlag in den Hügel gemacht und war auf einen Findling gestoßen, den er für den Verschluss zur Schatzkammer hielt. Aber da hörte er plötzlich von allen Seiten Geschrei: “Es brennt, es brennt!”. Nommen sah sich um und entdeckte, dass sein eigenes Haus brannte. Er ließ Schaufel und Hacke fallen und rannte zum Dorfe, mit lauten Rufen an die Nachbarn, die neugierig auf den rasenden, schweißgebadeten Mann schauten: “Löscht doch, helft doch!”, rief er verzweifelt. Aber als er vor seinem Haus stand, lag es wohlbehalten da, von Feuer keine Spur. Nommen war einem Trugbild, gezaubert von den Unterirdischen aus Föögashuug, zum Opfer gefallen. Seitdem hat niemand mehr nach Schätzen in Hügelgräbern gegraben, und der Föögashuug liegt schon seit Jahrhunderten begraben unter Dünen.

Georg Quedens

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Über Kai Quedens

Kai Quedens, Maler und Grafiker, der gerne auch ein bisschen textet. Geboren 1965, eine Frau, drei Kinder.

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