Eine kleine Wintergeschichte über „eershoper“ und „witjbruad mä ister an soker“…


Die Amrumer “Pisten”

Wenn der Boden gefroren und der erste Schnee gefallen war, dann hieß es für uns Kinder: Schlitten raus und ab in die Dünen. Bevorzugtes Gebiet waren dabei die Dünen westlich von Norddorf, kurz hinter Fleegam, weil sie hoch und verhältnismäßig leicht zu erreichen waren. Außerdem waren sie nur von einer Seite mit Halm bewachsen und die freien sandigen Stellen ermöglichten daher gute Abfahrten mit dem Schlitten. Aber sie waren natürlich nicht ganz eben, so mancher Sandvorsprung ragte heraus, der wie eine Sprungschanze wirkte. Diese Vorsprünge hießen bei uns Kindern eershoper, wörtl. Arschhüpfer, weil der Hintern ja immer hoch flog, wenn man darüberfuhr. An einigen Stellen waren sogar mehrere dieser eershoper hintereinander und man versuchte, diese so schnell wie möglich zu überfahren. Das ging natürlich nicht ohne Stürze ab. Aber außer blauen Flecken ist meines Wissens nie etwas Ernstes passiert. Allerdings haben diese Aktionen so manchem Schlitten das Leben gekostet. Es kam schon vor, dass ein Schlitten beim Aufprall bildlich gesprochen alle Viere von sich streckte und total kaputt war. Meistens wurden die Trümmer dann gleich an Ort und Stelle belassen und versandeten später. Man darf gespannt sein, wie Archäologen in ein paar Jahrhunderten diese Ansammlung von rostigen Kufen bewerten und welche Theorien sie darüber aufstellen.

Nach diesem Schlittenfahren kam man nass, durchgefroren, durstig und hungrig nach Hause. Nachdem die Kleidung gewechselt und man einen heißen Tee intus hatten, gab es einen richtigen Energiesnack: witjbruad mä ister an soker, d.h. eine Scheibe Weißbrot, bestrichen mit Schmalz und darauf eine dicke Lage Zucker. Davon verdrückten wir meistens gleich mehrere Stücke und unsere Lebensgeister kehrten schnell wieder zurück. Ernährungswissenschaftler mögen heutzutage darüber die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber uns hat dieser „Snack“ nicht nur wunderbar geschmeckt, sondern er war auch billig und immer im Haus verfügbar. Und wie sich gezeigt hat, hat er uns nicht geschadet, sondern er schmeckt heute immer noch.

 

 

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Über Reinhard Jannen

Geboren am 8. Juni 1955 in Norddorf. Nach Dem Abitur und Studium zunächst selbständiger Strandkorbvermieter. Ab 1991 dann Lektor und Archivar der Ferring Stiftung in Alkersum auf Föhr, ab 2012 auch Archivar des Amtes Föhr-Amrum. Besonderes Interessengebiet ist die Geschichte und Erforschung der friesischen Sprache.

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