Heinrich Andresen – ein “Super”mann des Fremdenverkehrs


 

Es gibt in Deutschland, ja vielleicht sogar in ganz Europa kaum andere Dörfer bzw. Ortschaften mit einer ähnlich aufregenden Gründungsgeschichte wie das Seebad Wittdün auf der Amrum Südspitze gleichen Namens. Und ebenso ist auch die nachfolgende Geschichte Wittdüns bis zur Gegenwart von Aufregungen nicht frei geblieben.

Abenteuerlich ist auch die Entstehung des Ortes im Jahre 1889 durch den Amrumer Kapitän und Schiffer Volkert Martin Quedens, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem als Berger von gestrandeten Schiffen einen Namen machte, damit für damalige Zeiten oft unerhört hohe Geldsummen kassierte und in Einzelfällen auch zumindest als halber “Seeräuber” agierte. Volkert Martin Quedens (1844 – 1918) soll in den Jahren als Kapitän eines Liniendampfers von Hamburg nach Norderney im Hamburger Hafen das Material für ein Wellblechhotel für die Diamantenschürfer in der Wüste von Südwestafrika entdeckt haben, das jedoch nicht bezahlt und deshalb nicht nach Afrika transportiert worden war – Volkert hatte als Dampferkapitän die Entstehung von Seebädern auf den ostfriesischen Inseln erlebt und sich gedacht, dass die Amrumer Südspitze für Vergleichbares geeignet sei.

Das “Diamantenhotel” wurde auf das eigene Frachtschiff geladen und nach Amrum verschifft und eröffnete zum Sommer 1889 unter dem Namen “Hotel Wittdün” mit 29 Zimmern die erste Saison. Fast gleichzeitig witterte aber auch ein Kapitänskollege die Zeichen der Zeit, Paul Jansen Köhn von Helgoland. Dieser errichtete am Nordufer von Wittdün einen Festbau im Stile jener Zeit (heute Haus Kerrin) und überließ Volkert Martin Quedens mit seinem Hotel aus Fertigteilen von Wellblech den Ruhm, als Gründer von Wittdün in der Inselgeschichte Platz zu nehmen. Denn Volkert war kein “Badedirektor”, sondern diente weiterhin als Kapitän, z. B. dem Hamburger Direktor Albert Ballin bei der Erschließung der Insel Sylt für den Seebäderverkehr nach Westerland über Hörnum.

Das Seebad auf Amrum mit Wittdün auf der Südspitze, mit dem feudalen Kurhaus in der Inselmitte an der Satteldüne und die von Pastor Bodelschwingh oben in Norddorf errichteten “Seehospize” sprach sich im Deutschen Reich herum und erregte das Interesse von ernsthaften Investoren und luftigen Spekulanten. Im Frühjahr 1891 erschienen zwei Herren auf Wittdün – der Bankdirektor Fast und der Hotelier Heinrich Andresen, beide aus der damaligen Kreisstadt Tondern (bis 1920 noch zu Deutschland gehörend).

Heinrich Andresen wurde am 13. Januar 1853 in Kappeln an der Schlei geboren, heiratete 1874 in Heide Elise Buck und übernahm um 1875, erst 22 Jahre alt, in Tondern das Hotel “Stadt Hamburg”. Gleichzeitig betrieb er mittels Pferdekutschen den Zubringerdienst vom Bahnhof Tondern zum Hafen Hoyer-Schleuse für die Weiterfahrt mit der “Sylter Dampfschiffs-Gesellschaft” zum Sylter Anleger in Munkmarsch.

Heinrich Andresen – nicht Gründer, aber Erbauer des Seebades zwischen 1892 und 1907

Fast und Andresen witterten ein Geschäft auf der Amrumer Südspitze Wittdün und kauften dem Gründer sein Wellblechhotel, die Brücke (zum Anlegen der großen Hamburger Bäderdampfer), die Badekonzession und andere Rechte ab und bezahlten dafür 125.000 Mark, von denen aber nur 45.000 ausgezahlt wurden. 80.000 Mark ließ der Gründer Wittdüns in Erwartung einer glanzvollen Entwicklung des jungen Badeortes in der von Heinrich Andresen gegründeten Aktiengesellschaft stehen. Die AGWA (Aktiengesellschaft Wittdün-Amrum) errichtete noch im gleichen Jahr auf der äußersten Südspitze das “Kurhaus” sowie den architektonisch fast identischen “Kaiserhof” (heute Berlin-Wilmerdorfer Nordseeheim). Die Handwerker zu diesen beiden Großbauten hausten mangels geeigneter Quartiere in Erdhöhlen und Zelten. Das Baumaterial wurde bei Ebbe von den Schiffen im Watt am Nordufer entladen und musste Stein für Stein und Balken um Balken von Hand auf die Düne getragen werden. Trotzdem wurden die Gebäude binnen weniger Monate fertiggestellt, und ein Prospekt jener Tage nennt das “Kurhaus” eines der “nobelsten Etablissements an der Nordseeküste”. Und das war nicht übertrieben. Im Hause befanden sich Esssaal, abends mit Theaterbühne als Ballsaal nutzbar, und andere Räumlichkeiten für die wilhelminisch-bürgerliche Gesellschaft, in der auch die militärische Etikette eine große Rolle spielte.

Das “Kurhaus” auf der Südspitze. Das “Flaggschiff” des Seebades Wittdün.

1892 erwarb die AGWA auch das “Strandhotel” des Wittdüner Mitbegründers Paul Jansen Köhn und 1895 das große “Kurhaus an der Satteldüne” von Altonaer Interessenten, die in Konkurs gegangen waren. Eine langgestreckte Holzbaracke an der Brücke sorgte mit Läden und Betrieben für die Ausstattung der Infrastruktur des jungen Badeortes.

Die abgeschiedene Lage der Insel bedingte Probleme bei der Erreichbarkeit. Aber Heinrich Andresen sorgte für den Anschluss an die bedeutenden Bäderlinien, Norddeutscher Lloyd ab Bremerhaven, Nordsee-Linie ab Hamburg und ab 1897 für eine Direktlinie von Husum mit Anschluss an den fast täglichen “Badezug” von Berlin. Über Dagebüll und Wyk kam die Wyker Dampfschiffs-Reederei mit ihren Dampfern. Wittdün war drauf und dran, Westerland auf Sylt den “ersten Rang” abzulaufen!

Aber es gab auch Probleme. Der Wittdüner Badestrand lag am durch einen hohen Dünenwall nach Norden geschützten Südstrand. Damit waren die Gäste nicht zufrieden. Es war nämlich Sitte geworden – angestachelt von Badeärzten über die Bedeutung einer kräftigen Brandung zwecks Körpermassage – in hohen Wellen zu baden. Diese aber fehlten am Wittdüner Südstrand. Hier milderte der westwärts vorgelagerte Kniepsand den “kräftigen Wellenschlag”, und der Strand war dem Gezeitenwechsel – bei Ebbe kein Wasser – ausgesetzt.

Kurz entschlossen errichtete die AGWA im Jahre 1893 draußen auf dem Kniepsand (wo sich heute der Strand des FKK-Zeltplatzes befindet) auf hohen Ständern eine Halle und – entsprechend den damaligen Moralvorschriften – im Norden der Halle den Herrenstrand und im Süden den Damenstrand mit Reihen von Badekabinen. Von Wittdün aus gesehen betrug die Entfernung zum Kniepsandbad aber fast vier Kilometer – unzumutbar insbesondere für die Damen in ihren wallenden Gewändern! Die “Aktiengesellschaft Nordseebäder Wittdün und Satteldüne”, wie sie seit 1895 hieß, zögerte aber nicht, für eine gemütliche Beförderung von Wittdün zum Kniepsandbad zu sorgen – durch eine Dampfspurbahn, deren Schienen zunächst einfach auf den Strand bzw. Kniepsand gelegt wurden.

Rastloser Unternehmergeist

Die kühnen Unternehmungen auf Wittdün, die überregionale Schlagzeilen und den jungen Kurort im ganzen Deutschen Reich bekannt machten, fanden aber nicht überall Beifall. Die einheimischen Amrumer betrachteten Wittdün als “Fremdkörper” mit seiner inselfremden Architektur und seiner ganz überwiegend “hochdeutschen” Bevölkerung. Aber es gab noch einen anderen Feind, dem die Aktivitäten von Heinrich Andresen nicht gefielen: den “Blanken Hans”. Es war natürlich ein – von den einheimischen Insulanern sicherlich verspottetes – merkwürdiges Unternehmen, am Strande und auf dem Kniep Eisenbahn und Bauwerke zu platzieren. Denn die Nordsee rächte sich bald. Mehrfach zerstörten Sturmfluten die Investitionen, die schon sehr bald nicht mehr im Verhältnis zu den Einnahmen der damals kaum zwei Monaten dauernden Saison standen. Hinzu kamen andere Ereignisse, die die Aktiengesellschaft viel Geld kosteten. Im Jahre 1900 beschloss Albert Ballin, die “Nordsee-Linie” von Wittdün nach Hörnum zu verlegen und die dort angelandeten Gäste mittels einer Bahn (an deren Bauausschreibung sich übrigens der Eisenbahnnarr Heinrich Andresen beteiligte!) durch die Dünennehrung Hörnum nach Westerland zu befördern. Die obige Seebäder-Linie (ab 1905 HAPAG) war aber für Wittdün eine der wichtigsten, und Heinrich Andresen versuchte, zunächst durch eine Dampferlinie Hörnum – Wittdün den Anschluss aufrecht zu halten. Aber dann wurde auf kürzestem Weg von Hörnum zum Norddorfer Strand eine Linie eingerichtet. Norddorf lag allerdings von der Satteldüne und Wittdün 6 bzw. 10 Kilometer entfernt, und nun schlug die Stunde der später berühmt gewordenen “Inselbahn”.

Die Inselbahn – 1901 von Heinrich Andresen eingerichtet

Aber auch die Dampferlinie nach Husum geriet in Schwierigkeiten, als 1906 ein Damm vom Festland nach Nordstrand gebaut wurde und der Amrumer Dampfer einen Umweg machen musste. Mit immer anderen Dampfern versuchte die Aktiengesellschaft, auch diesen Nachteil auszugleichen.

Wittdün hatte sich mittlerweile weiter als Kurort entwickelt. Etliche auswärtige, aber auch einheimische Interessenten hatten sich Logierhäuser und Hotels erbaut, und durch die großzügige Vergabe von Bauland durch die Aktiengesellschaft entstanden in den Jahren 1903 und 1906 evangelische und katholische Kapellen. Wittdün erhielt durch eine Gesellschaft aus Düsseldorf ein E-Werk und elektrischen Strom – ein gewaltiger und vielbeneideter Fortschritt in jener Zeit.

“Haus Daheim” – eines der wenigen, moch erhaltenen Häuser aus der Gründerzeit. Hier residierte Heinrich Andresen

Der Sturz in Konkurs und Krisen

Aber dann stürzte Wittdün in eine schlimme Krise! Im Jahre 1907 musste die Aktiengesellschaft, die sich mit ihren Investitionen, die in keinem Verhältnis zur damals unverändert kurzen Saison standen, übernommen hatte, Konkurs anmelden. Heinrich Andresen verlor sein Vermögen, ebenso etliche Bauern in der Umgebung von Tondern, wo die Bank ebenfalls in Konkurs geriet. Volkert Martin Quedens, der von dem Kaufpreis 80.000 Mark für seine Investitionen in die AGWA hatte stehen lassen, büßte diese Summe ebenfalls vollständig ein.

Heinrich Andresen zog mit seiner Frau Elise nach Flensburg, wo er 1920 starb. Das Ehepaar hatte sieben Kinder, von denen aber sechs vorzeitig starben.

Die Gründer bzw. Mitbegründer des Badeortes Wittdün, Volkert Martin Quedens und Paul Jansen Köhn, sind durch Straßennamen geehrt. Auch Heinrich Andresen wurde in der Zeit von 1945 bis in die 1980er Jahre über die lange Mittelstraße “verewigt”. Aber dann war die Gemeindevertretung von Wittdün mitsamt dem Bürgermeister Karl-Heinz Kanzler der Meinung, dass jemand, der eine derartige Pleite verursacht hatte, nicht mit einer Straße zu ehren sei. Und die Heinrich-Andresen-Straße wurde in die beziehungslose “Mittelstraße” umbenannt. Nur Otto Krahmer als Kenner der Wittdüner Geschichte und der Bedeutung dieses Mannes stimmte dem Beschluss nicht zu!

2021 Georg Quedens

Urheberrecht beim Verfasser

 

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Über Georg Quedens

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