In der inselfriesischen Sprache gibt es für die bekannten europäischen Säugetiere so gut wie keine friesischen Namen. Sie kamen im Leben der Insulaner nicht vor oder hatten für die Nutzung (Jagd) keine Bedeutung. Auch Kaninchen und Hase haben keine urtümliche Benennung, sondern abgeleitete deutsche Namen. Aber die Maus heißt Müs, wenn auch ohne spezielle Artenbezeichnung, denn verschiedene Arten fanden früher keine Beachtung. Dabei wird es in der ursprünglichen Inselfauna seit jeher zumindest zwei Arten, die Hausmaus (Mus musculus) und die Waldmaus (Apodemus sylvaticus) gegeben haben. Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts gehörte Erstere zur menschlichen Siedlung (deshalb heißt sie ja auch Hausmaus) und wurde hier auch begünstigt durch die noch verbreitete Klein- und Nutzviehhaltung. Der Fremdenverkehr und insbesondere die neuzeitliche Hygiene-Architektur haben den Hausmäusen indes ihren Lebensraum geraubt. Seit Jahrzehnten werden keine Hausmäuse mehr gemeldet, nicht einmal mehr in ihren ureigenen Scheunen und Ställen im Anwesen von Nanning Schult bei Norddorf. Hier werden seit Jahren nur noch Mäuse “mit braunem Rücken und weißem Bauch”, also Waldmäuse, gesichtet, und möglicherweise muss die Hausmaus, wohl auch verursacht durch Aktivitäten von Wanderratten, auf Amrum als ausgestorben angesehen werden.
Es ist ganz irrational, sich durch Hausmäuse in Angst und Schrecken versetzen zu lassen – wie es der Damenwelt ja oft nachgesagt wird. In Norddorf war einst sogar ein junger Mann bekannt, der beim Anblick einer Maus schreiend auf Stuhl und Tisch sprang, um sich “in Sicherheit” zu bringen. Aber Hausmäuse sind possierliche und sehr saubere Tiere, deren Beobachtung viel Freude bereitet! Und noch nie und nirgends haben sie einen Menschen angeknabbert.
Die erwähnte Waldmaus dürfte gegenwärtig die häufigste Mäuseart auf Amrum sein. Hier irritiert allerdings ihr Name, denn ihr ganz überwiegender Lebensraum sind die Dünen. Aber sie kommt auch im Inselwald und anderen Insellandschaften vor und wagt sich – vor allem im Winter – auch in bewohnte Gebäude. Hier räumt sie bei entsprechendem Angebot Nüsse und anderes aus den weihnachtlichen Süßigkeitsstellern und deponiert die Gaben in “Vorratslagern” unter Sofakissen oder anderen Verstecken.
Ein besonderes Merkmal der Waldmaus ist der ausgeprägte Kannibalismus. Als der Verfasser zwecks Versorgung einer flügellahmen Waldohreule mit Schlagfallen Ostschermäuse fing (1970er Jahre), wurden die toten Mäuse ganz schnell von Waldmäusen angefressen, ebenso aber auch Waldmäuse der eigenen Art. Am Norddorfer Strand lag ein toter Seehund, halb versandet und von einem Strandgänger mit einer Kiste zugedeckt. Und darunter hatte sich über das Winterhalbjahr eine Waldmaus häuslich eingerichtet und die Kopfplatte des Seehundes kahl gefressen, lebte also inmitten einer üppigen “Speisekammer”. Nach Untersuchungen von Gewöllen der Sumpfohreule in den Jahren 1952/53 und 1973/78 (Kumerloeve/Remmert) stellte die Waldmaus mit rund 90% auch die überwiegende Beute der Eulen dar, nicht die damals überreichlich auf Amrum vorhandene Ostschermaus (Arvicola terrestris).
Obige Gewölle-Analysen haben als Beute auch die Feldmaus (Microtus arvalis) und die Zwergmaus (Micromys minutus) mit je rund 50 Nachweisen ergeben. Dabei stellt sich die Frage nach der Herkunft dieser beiden Arten als Beutetiere. Lebende Populationen von Feld- und Zwergmaus sind auf Amrum nicht bekannt. Es kann sich eigentlich nur um Tiere gehandelt haben, die mit Baustoff- und Warentransporten ohne Geschlechtspartner zur Insel gelangt sind. Denn die Amrumer Eulen werden zwecks Mäusejagd nicht zum Festland geflogen sein. Immerhin könnte es um 1980 eine kleine Population der Zwergmaus gegeben haben, denn der Verfasser fand in einer meterhohen Fichte am Rande der Norddorfer Marsch ein “Nest” und Biologen (Beringer) meldeten vier Fallenfänge.
Ostschermaus mit falschem Namen
Die nachstehende Art, die Ostschermaus (Arvicola terrestris oder amphibius), hat im Gegensatz zur eher unauffälligen Waldmaus auf Amrum einige Male für Furore gesorgt. Sie wird auf Amrumfriesisch “Weederroot”, Wasserratte, genannt, vermutlich, weil sie in der Anfangszeit ihres Vorkommens an Teichen und Gräben lebte und gut schwimmen und tauchen kann. Aber die Ostschermaus ist eine Wühlmaus, keine Ratte. Vermutlich gehört auch diese Art nicht zur urtümlichen Inselfauna. Sie wird in keiner Aufzeichnung aus dem “alten” Amrum genannt und soll erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts mittels Küstenschutzmaterial nach Amrum gekommen sein.
Erste schriftliche Hinweise datieren aus der Zeit um 1904. In diesen Jahren hatte die Interessentenschaft der Vogelkoje Meerum gegen die Aktiengesellschaft in Wittdün einen Schadensersatzprozess angestrengt, weil durch den Betrieb der Inselbahn der Fang der Wildenten erheblich gemindert würde. Eine falsche Behauptung, denn die Bahn fuhr einen Kilometer entfernt vorbei. Aber die Amrumer versuchten ihr Glück und hatten Erfolg. Die Aktiengesellschaft musste zahlen. Zu ihrer Verteidigung hatte die Aktiengesellschaft auf die “vielen Wasserratten in der Koje” hingewiesen, “die Ursache für die Vertreibung der Enten sind (…)”. Ostschermäuse besiedelten vor allem die Norddorfer Marsch, verbreiteten sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts auch über Stranddünen und Feldmark, wo sie erhebliche Schäden in der Landwirtschaft anrichteten. Große Schäden durch den Fraß des unterirdischen Wurzelgeflechtes entstanden auch in den Aufforstungsflächen der 1960er/70er Jahre, so dass auf Amrum der Beschluss gefasst wurde, Wiesel auszusetzen, um die Wühlmäuse zu bekämpfen. Aber dieser Aktion war kein Erfolg beschieden. Wiesel waren in ausreichender Menge nicht zu besorgen, und gefangene Tiere hatten sich bei ihren Befreiungsversuchen die Zahnspitzen abgebrochen, so dass sie ihre Fähigkeiten, die großen Wühlmäuse zu erbeuten, weitgehend eingebüsst hatten. Gegen die Wühlmausmengen wurde dann 1962/63 das Gift Endrin eingesetzt.
Aber das Problem löste sich auf andere, natürliche Weise. Die aufwachsende und sich schließende Aufforstung mit ihren Nadelgehölzen bildete einen dunklen, vollschattigen Waldboden mit einer sauren Nadelschicht, und die Ostschermäuse verschwanden aus dieser naturfeindlichen Landschaft. Für den Rest des vorigen Jahrhunderts wurden Marschenwiesen und Ackerland im Wechsel der bei Mäusen üblichen Bestandsgradation mal weniger, mal mehr besiedelt – in manchen Jahren mit maulwurfsartigen Erdaufstößen aus den unterirdischen Gängen mit entsprechenden Auswirkungen für die Landwirtschaft.
Aber dann tauchten in den Jahren nach der Jahrtausendwende 2000 Wanderratten (Rattus norvegicus) auf, und binnen weniger Jahre waren die Ostschermäuse nahezu ausgerottet, mutmaßlich verdrängt und vernichtet von den Ratten. Denn diese fressen ihre Verwandten (Preben Bang 1969). Aber so ganz ist die Ostschermaus wohl doch noch nicht verschwunden. Sowohl im Jahre 2012 als auch in 2017 und zuletzt noch im Februar 2023 wurden in den Amrumer Dünen Rupfungen und Reste von Ostschermäusen entdeckt. Sie ist also unverändert in geringer Zahl vorhanden. Aber eine erneute Massenvermehrung und Landplage wie im vorigen Jahrhundert dürfte angesichts der zahlreichen Ratten kaum möglich sein.
Wenn eingangs darauf hingewiesen wurde, dass weitab vom Festland liegende Inseln von Säugetieren kaum auf natürliche Weise zu besiedeln sind, so gilt das nicht für die Bisamratte (Ondatra zibethicus). Diese Art ist eben nach der Jahrtausendwende nach Amrum gekommen. Kurgäste sahen und fotografierten auf dem Wittdüner Kniepsand die von der Hallig Hooge hier ankommenden und in Richtung Wriakhörn verschwindenden Bisamratten (Chronik 2002) und meldeten relativ zutrauliche Tiere auf Wittdüner Straßen. Aber es wurden auch ertrunkene Tiere im Flutsaum gefunden, die das Herüberschwimmen von Hooge nicht geschafft hatten. In den folgenden Jahren wurden Bisamratten im Strandsee Wriakhörn, in der Vogelkoje Meerum und insbesondere an den Teichen und Gräben der Norddorfer Marsch, also sozusagen auf der ganzen Insel gemeldet. Als “Schädlinge” durch Höhlungen an Böschungen und Deichen werden sie mittels Fallen und Jagd überall bekämpft. Beispielsweise hat der Norddorfer Jagdpächter Karsten Schult im Jahre 2017 allein im April an den Gräben der obigen Marsch 37 Exemplare erlegt.
Als Pelztier in Europa eingebürgert
Die Urheimat des Bisams ist Nordamerika, wo diese Tiere für die Gewinnung von Pelzen genutzt wurden. Dieses Ziel verfolgte auch ein Fürst aus Böhmen, der im Jahre 1905 einige Tiere auf seinem Landgut aussetzte. Dank ihrer Vermehrungskraft mit jährlichen Nachwuchszahlen von bis zu 30 Tieren aus bis zu vier Würfen verbreitete sich der Bisam fast über ganz Europa, erreichte 1933 Hamburg und in den 1940er Jahren Schleswig-Holstein. Aufgrund ihrer Schwimmfähigkeit gelangten diese Nager dann auch auf einige Halligen und über Nordstrand nach Pellworm. Hier konnte der Verfasser den Bisam z. B. in den 1970er Jahren in Süderkoogstief beobachten. Von Pellworm aus wurde die Hallig Hooge besiedelt und von dort aus erreichten die Bisamratten trotz der Entfernung der offenen Nordsee auch Amrum, seit 2002 durch Fotos belegt. Somit sind sie die einzigen Landsäugetiere, die Amrum über das Meer besiedeln konnten.
2023 Georg Quedens Urheberrecht beim Verfasser