Jahreswechsel – früher und heute


Schon im Frühherbst ist Weihnachten nicht zu übersehen. Erste Schokoladen-Weihnachtsmänner und andere Requisiten des Weihnachtfestes tauchen in hiesigen Geschäften sowie in bunten Werbeprospekten auf, die von der Post ins Haus getragen werden.

Firmen und Vereine feiern schon im November, und Monate vor dem Fest stehen auch schon überall Tannenbäume zum Verkauf. Der Weihnachtsbaum war im alten Amrum aber noch gänzlich unbekannt, zumal es auf der Insel selbst auch völlig an Bäumen fehlte.

Aus dem 19. Jahrhundert ist überliefert, dass Familienväter in einigen Fällen als Ersatz für einen richtigen Weihnachtbaum ein Gestell, ähnlich einem Segelschiffsmast mit Rahen, bastelten. Ganz „offiziell“ aber wurde diese Arte des Weihnachtsbaumes bzw. Mastes aber erst am 24. Dezember 1871, und darüber berichtet die Lehrerin Ida Christine Matzen in ihrem 1914 erschienenen Buch „Kinder Frieslands“ wie folgt: „Im letzten Hause der Poppende zu Nebel (früher Haus Adelbert Jensen, heute Norderstrunwai als Friesenhaus mit zwei Giebeln) steht ein vor kurzem heimgekehrter Seefahrer (der Steuermann Nahmen Jensen 1842 – 1913) und macht den ersten Amrumer Weihnachtsbaum.Vor ihm liegt eine kleine Zeichnung mit einer einfachen Abbildung, nach dieser Zeichnung wird er arbeiten (…). Der dicke Bambusstab vom Strande wird zugespitzt und in eine ausrangierte kupferne Formdose hineingesteckt, und das Ganze hat einen festen Halt (…). An den Bambusstab werden in verschiedenen Abständen Löcher gebohrt und Hölzer eingesteckt (…) und mit Heidekraut und „Dünempualam“ (Kriechweide) umwunden. Fertig ist die schlanke Tanne! Boy Nahmens, der alte Kupferschmied, hat zugesagt, die Lichthalter zu machen. Es ist der 24. Dezember 1871, da steht eine große Menschenmenge vor dem Schulhaus in Nebel. Aber die Tür ist noch verschlossen, und die Fenster sind zugehängt. Da wird es drinnen hell und heller und die Menschen draußen, vor allem die Kinder, werden immer unruhiger. Da öffnet sich die Tür, und das Gedränge ist so groß, dass manche nur noch getragen und geschoben werden, in die Schule hinein! Jetzt füllt sich der Raum, und um den brennenden Baum stehen die Kinder der Gemeinde und unter ihnen die vielen, vielen Waisen (bedingt durch die hohe Todesrate der Seefahrt) (…). Eine kurze Ansprache wird vom Lehrer (Bandix Bonken) gehalten, dann die Gaben verteilt. Arme, Kranke und Verlassene finden eine besondere Berücksichtigung (…).“

Die Weihnachtsfeier in der Schule von Nebel ist sicherlich in den folgenden Jahren Anlass gewesen, auch in anderen Inselhäusern Weihnachtsbaumgestelle nach dem Vorbild von Segelschiffsmasten zu basteln. Richtige Weihnachtsbäume, also Tannen oder Fichten, wird es kaum vor dem 1. Weltkrieg gegeben haben. Es gab noch keine entsprechenden Bäume auf Amrum, und ob sich jemand einen solchen auf dem Festland besorgt hat, ist fragwürdig. Die Inselchronik überliefert keinen derartigen Fall. Nadelbäume wuchsen erst im Zuge von umfangreichen Aufforstungsmaßnahmen ab Mitte des 20. Jahrhunderts auf Amrum hoch.

Natürlich war auch der heutige Geschenkerummel damals ganz unbekannt. Noch im 19. Jahrhundert wurden Geschenke auch nicht am Weihnachtsabend verteilt, sondern erst am Altjahresabend durch die „Hulken“ in die von den Kindern hingestellten Schalen und Körbe gefüllt. Aber alles in bescheidenem Rahmen!

Ütj tu hulkin – als „Hulken“ unterwegs
Der Drang, sich aus Aberglauben, Albernheit oder Allotria zu verkleiden und Umzüge zu veranstalten, ist auf der ganzen Welt in fast allen Völkern verbreitet. Etliche dieser Brauchtümer haben aber auch einen Hintersinn. Dazu gehört auf Amrum das „Hulken“ am Altjahresabend, am letzten Tag im Dezember. In dieser Zeit der langen, dunklen Nächte verkleiden sich zuerst am Spätnachmittag die Kinder und anschließend, bis Mitternacht hin, die Erwachsenen, darunter nicht selten auch ältere Leute. Sie ziehen durch die Dörfer, stellen sich bei Bekannten und Verwandten und in sonstigen Häusern vor und achten darauf, dass ihre Masken nicht gleich erkannt werden und sich die Identität erst nach langem Raten klärt. Oft sind auch originelle Parodien auf politische und andere Ereignisse im Inselleben oder Gedichte einstudiert. Nachdem die Kinder Süßigkeiten und die Erwachsenen auf ausdrücklichen Wunsch einen Schnaps erhalten haben, verabschieden sich die kleinen und großen Hulken mit dem Neujahrswunsch „Seegent Neijuar“ in die Nacht und auf dem Weg zu anderen Häusern. Aber nicht überall sind die Türen aufgeschlossen. Manche Hausfrau fürchtet um ihren neuen Teppich, wenn Scharen von Hulken bei Regenwetter mit ihren verschlammten Schuhen und Stiefeln ins Haus poltern. Unter Hulken spricht sich natürlich herum – zu merken für das nächste Jahr – in welchen Häusern man willkommen ist und in welchen nicht.In Norddorf wird der Rundgang der Hulken begleitet vom Läuten der alten Dorfglocke, die von Hulken, Dorfbewohnern und Inselgästen aufgesucht wird und bis zum frühen Morgen in Bewegung bleibt.

Hier und da ist dann auch noch um die Mitternachtsstunde das Knallen von Feuerwerkskörpern zu hören. Aber generell ist durch Verfügung der Amtsverwaltung Föhr-Amrum der Gebrauch verboten, um die Reetdächer der Friesenhäuser in den Inseldörfern – Ausnahme Wittdün – nicht zu gefährden. Das in der Tageszeitung „Der Insel-Bote“ publizierte Verbot erfolgte erstmals, nachdem auf Föhr ein nobles Friesenhaus durch eine Feuerwerksrakete in Brand geschossen wurde und vollkommen verloren ging. Auf Amrum gehen aber einige, für die es unbedingt knallen muss, hinaus auf den Kniep, wo keine Häuser gefährdet sind. Viele Inselgäste begrüßen jedoch ausdrücklich den stillen Übergang ins neue Jahr, insbesondere diejenigen, die Hunde dabeihaben. Denn letztere reagieren besonders empfindlich auf die Feuerwerksknallerei.

Hulken – ein spezieller Brauch auf Amrum?
Wie viele urtümliche Brauchtümer soll auch das „Hulken“ aus der heidnischen Zeit stammen. Hulken sollen vermummte Gestalten im Gefolge der germanischen Haus- und Familiengöttin Freya gewesen sein, die dafür zu sorgen hatten, dass jeder seine beweglichen Güter in der Winterzeit unter „Dach und Fach“ hatte. Mistkarren, Gartenpforten, später Fahrräder, überhaupt alles Bewegliche musste eingeschlossen sein, sonst wurde es von den Hulken verschleppt und versteckt. Lange Zeit erzählten zum Beispiel jugendliche Hulken in Norddorf, wie sie in den 20er Jahren den Pferdewagen des Strandvogtes Boy Peters (Boy Hennark) auseinandermontierten und auf das Dach der benachbarten Scheune deponierten. Boy Hennark war im Dorfe nicht beliebt, weil er als Strandvogt manchen hiesigen Strandräuber gestellt und gezwungen hatte, seine „Beute“ abzuliefern.
Noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde rechtzeitig vor dem Rundzug der Hulken alles, was zum Verschleppen geeignet war, in Scheune, Stall und Schuppen geborgen. Und ganz alte Insulaner rechnen noch heute mit möglichen Streichen von Hulken.
Es ist übrigens bemerkenswert, dass sich das Hulken fast ausschließlich auf Amrum beschränkt. Es war in ähnlicher Form früher nur in einigen Dörfern auf Westerlandföhr bekannt, wo es „Kenknin“ genannt wurde und sich neben dem Verkleiden vor allem– wie auf Amrum – auf die Geschenke aus Anlass des Weihnachtsfestes bezog. Erst später hat sich das „Kenknin“ auch bis nach Wyk ausgebreitet.
Eine ähnliche Veranstaltung mit dem Umzug von vermummten Gestalten soll es auch ganz im Osten von Sylt, in Morsum, geben bzw. gegeben haben. Und vor einigen Jahren berichtete ein Inselgast, der wie viele andere über Weihnachten und Neujahr auf Amrum war und das Hulken erlebte: „Genauso machen wir es bei uns zu Hause!“.
Der Gast stammte aus einem Küstenort in Mecklenburg-Vorpommern.

Georg Quedens

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