Heringsmöwen – Hauptbrutvogel auf Amrum


 

Heringsmöwe mit ihren Jungen

Amrum ist die an Seevögeln reichste aller Nordseeinseln, mit insgesamt bis zu 15000 Brutpaaren in der Zeit zwischen April und August. Brutgebiete sind vor allem die Dünen der Amrumer Odde und das große, ebenfalls als Naturschutzgebiet ausgewiesene urtümliche Dünengelände auf der gesamten westlichen Inselhälfte von Wittdün über Nebel bis nach Norddorf. Von der genannten Brutvogelmenge aber hat eine Möwenart, die Heringsmöwe mit bis zu 8000 gezählten Paaren, die absolute Dominanz inne. Erst dann folgen mit jeweils einigen tausend die Silber- und die Sturmmöwe.
Die Heringsmöwe ist in Nordeuropa und mithin auch auf Amrum mit drei Rassen vertreten, der westlichen Rasse (Larus fuscus graellsii), einer nördlichen Rasse (L. f. fuscus) und einer östlichen (L. f. intermedius). Alle drei kommen aber auch mit- und untereinander vor und unterscheiden sich vor allem durch ihre Flügeldecken. Die der östlichen Rasse ist tiefschwarz (wie bei der Mantelmöwe), die skandinavische Rasse hat mattschwarze und die britische (westliche Rasse) schiefergraue Flügel, so dass diese der nah verwandten Silbermöwe sehr ähnlich ist.
Ungeachtet ihrer Menge – 8000 Brutpaare bedingen ja 16000 Elternvögel, wozu dann noch etwa 3000 Nichtbrüter (Alt- und Jungvögel) kommen, fällt die Heringsmöwe den Inselgästen und Einheimischen kaum auf. Das liegt vor allem daran, dass die Heringsmöwe ihre Nahrung weit draußen in der Meereslandschaft sucht und sich nicht in Menschennähe herumtreibt, um hier Würstchen oder Crepes oder Eis aus Kinderhand zu erbeuten, wie es Silber- und vor allem Sturmmöwen tun. Nur wenn es ausgiebig geregnet hat, sieht man Heringsmöwen zur Nahrungssuche auf dem Land, beim Erbeuten von Regenwürmern auf den Wiesen. Ansonsten nutzt sie den über Bord geworfenen Beifang der küstennahen Fischerei und kann auch Fische erbeuten, die dicht unter der Oberfläche schwimmen, z. B. Hornfische!

Erstaunt waren auch Ornithologen, die etliche Amrumer Heringsmöwen am Brutplatz einfingen und mit einem GPS-Logger versahen und feststellen, dass die Vögel zwecks Nahrungssuche auch weit hinein in das Binnenland, bis halbwegs nach Flensburg und hinauf bis nach Tondern in Dänemark flogen, um dort auf den Wiesen Regenwürmer zu sammeln. Die Unmengen an Heringsmöwen, zu denen im Juni noch zehntausende von Jungen kommen, haben dann aber doch eine offenbar natureingerichtete Vermehrungsbremse aktiviert. Denn seit dem Jahr 2012 hat sich in den Heringsmöwenkolonien ein dramatischer Kannibalismus bemerkbar gemacht. Elternvögel fressen eigene und benachbarte Eier und Jungvögel, so dass die Nachwuchsrate seitdem sehr niedrig ist. Im Brutjahr 2018 bedingte auch das monatelange heiße und trockene Sommerwetter eine sehr hohe Todesrate in den Möwenkolonien.

Von Dr. Martens beringt. Einige Möwen sind u.a. aus Afrika zurückgekehrt.

Die Tatsache, dass bei den jährlichen Kontrollen durch die Vertreter einiger Naturschutzorganisationen (Nationalpark Wattenmeer, Verein Jordsand, Öömrang Ferian u. a.) um die 8000 Brutpaare an Heringsmöwen gezählt werden, ist ein ornithologisches Phänomen.

Die Heringsmöwe kam früher, d. h. bis Mitte der 1960er Jahre, auf Amrum nur als ganz seltener Sommergast und Durchzügler vor. Aber im Jahr 1968 wurde im NSG Amrum-Odde ein erstes Brutpaar registriert, das zunächst noch das einzige blieb, aber auch in den folgenden Jahren zur Brut schritt. Erst 1975 erfolgte die Ansiedlung eines weiteren Paares. 1976 wurden dann schon 9 Brutpaare registriert, 1981 waren es 41. Und mindestens seit Ende der 1960er Jahre wurden erste Bruten auch im NSG Amrumer Dünen, im Skalnastal unten den dort dominierenden Silbermöwen entdeckt. Bis 1990 war die Menge der Brutpaare unter Bildung von dicht besiedelten Kolonien im NSG Amrumer Dünen auf Tausende angewachsen, und auch im NSG Amrum-Odde vermehrt sich die Zahl der Brutpaare. Dabei wurden zunächst ausschließlich Dünentäler mit dichtem Seggengras, Heide und insbesondere Kriechweidengebüsch als Nistplätze ausgewählt, während höhere Dünen den Silbermöwen vorbehalten blieben. Beide Arten sind also nicht in Konkurrenz miteinander getreten, und die überlegene Silbermöwe hat auch ein größeres Nahrungsspektrum als die Heringsmöwe.

Trotzdem zeigte sich eine auffällige Entwicklung in der heimischen Vogelwelt: So wie sich die Heringsmöwe vermehrte, reduzierte sich die Anzahl an Silbermöwen. Auf Amrum sind letztere aus weiten Bereichen früher besiedelter Dünen verschwunden, auch die hohen Dünenzüge westlich von Norddorf und südlich der Vogelkoje Meerum sind nunmehr von den Silbermöwen verlassen, obwohl sich hier keine Heringsmöwen breitgemacht haben. Schon im Jahr 2010 war die Anzahl der Silbermöwen-Brutpaare im NSG Amrumer Dünen von früher etwa 2000 auf reichlich 500 zurückgefallen. Auf der Odde, wo sich die Silbermöwe zunächst noch besser behauptete, betrug das Verhältnis im genannten Jahr etwa 4700 zu 1730. Mittlerweile hatte sich die Heringsmöwe an der ganzen Nordseeküste und andernorts fast explosionsartig ausgebreitet, und überall verschwand die Silbermöwe – ein bis heute nicht zu erklärender Vorgang. Denn die Silbermöwe ist ihrer nahen Verwandten (auf der Nordseeinsel Memmert wurde sogar eine Mischehe registriert) körperlich und hinsichtlich des Nahrungsspektrums überlegen.

Erstaunlicherweise macht sich die Heringsmöwe gegenüber ihrer Verwandten aber viel weniger als Räuber von Gelegen und Jungvögeln anderer Arten bemerkbar. Ein Brutpaar des Großen Brachvogels in den Amrumer Dünen zieht alljährlich seine nestflüchtenden Jungen inmitten der Heringsmöwenkolonien groß. Und auch als Räuber von jungen Eiderenten und Brandgänsen wurden Heringsmöwen noch nicht beobachtet. Andernorts wurden allerdings auch gegenteilige Beobachtungen gemacht. Und einige Jahre lang stationierte sich eine Heringsmöwe mitten in Norddorf auf dem Dach von Café Schult und raubte manchem Kurgast auf der Terrasse ein Stück Torte.

Kolonie am Quermarkenfeuer

Wenn Heringsmöwen aber ungeachtet ihrer Menge sonst viel weniger auffallen als andere Möwenarten, so liegt das auch daran, dass sie im Gegensatz zu den anderen Arten Zugvögel sind. Schon im Hochsommer versammeln sich Altvögel und die im Frühsommer in den Dünen geschlüpften, dunkelbraun gefiederten Jungvögel, und Wochen später sind die meisten verschwunden, auf dem Zuge bis hinunter zu spanischen und westafrikanischen Küsten, bis nach Marokko, wie mittels jahrelanger Beringung von Jungvögeln in den beiden Naturschutzgebieten Amrum-Odde und Amrumer Dünen durch Sönke Martens festgestellt werden konnte. Erst im März kehren die Heringsmöwen wieder zurück, um ihre Amrumer Brutplätze zu besetzen.

Georg Quedens

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