Urwald in der Vogelkoje


Die Vogelkoje Meerum gehört noch vor dem Leuchtturm zur meistbesuchten Attraktion der Insel Amrum, vermutlich, weil Inselgäste auf Grund der Bezeichnung meinen, hier eine Art Vogelparadies zu finden, was in den Monaten von April bis August, wenn die Graugänse da sind, ja auch der Fall ist. Und manche werden erstaunt sein, wenn sie erfahren, dass es sich bei einer Vogelkoje tatsächlich um eine Fanganlage für durchziehende Wildenten handelt und in der Vogelkoje Meerum in der Zeit ihres Bestehens von 1867 bis 1939 nicht weniger als 420000 Wildenten (Spießenten, Pfeifenten und Krickenten) in die Netze gingen und „gegringelt“ wurden, wie man das rasch und schmerzlos tötende Halsumdrehen nannte.

Inselfriesische Seefahren hatten diese Entenfanganlagen in Holland gesehen und auf ihre Heimat übertragen, zuerst 1730 in der Marsch von Oevenum auf Föhr und 1767 bei Kampen auf Sylt, wo bald weitere Vogelkojen folgten. Auf Amrum wurde zum ersten Mal im Jahr 1806 über eine derartige Einrichtung verhandelt, aber sie kam aus heute unbekannten Gründen dann doch nicht zustande – angeblich, weil einige Norddorfer Jagdinteressenten sich in der mit Wassertümpeln versehenen Landschaft Meerham (Moorheim) nicht die Entenjagd mit Flinten verderben lassen wollten. Denn wo geschossen wird, lassen sich keine Wildenten anlocken.

Erst 1867, nach dem inzwischen erfolgten Staatswechsel von Dänemark zu Deutschland, wurde der Plan wieder aufgegriffen. Aber wie schon im Königreich Dänemark, war auch im neuen Staat Preußen bzw. im Deutschen Reich eine allerhöchste Konzession für die Anlage einer Vogelkoje erforderlich. Anders als die Kojen auf Föhr und Sylt, die von wenigen „Interessenten“ bzw. „Kapitalisten“ angelegt wurden, war die Vogelkoje Meerum ein fast soziales Werk. Denn die Koje wurde mit 80 Anteilen („Lose“) sozusagen über fast alle Amrumer Familien verteilt, so dass jeder in Regelmäßigkeit zu seinem Entenbraten kam oder durch Verkauf des Fanges zu Bargeldeinnahmen.

Der Entenfang wurde in den 1930er Jahren zunehmend reduziert, einerseits, weil die Bestände der Enten offenbar durch die Vogelkojen längs der Nordseeküste von Dänemark bis Holland stark dezimiert worden waren, andererseits durch den verstärkten Naturschutz in der Nazizeit. 1934/35 wurde das Reichsjagd- und Naturschutzgesetz erlassen, das noch heute weitgehend gültig ist und von anderen Ländern übernommen wurde. Der Massenfang in den deutschen Vogelkojen wurde nun stark reglementiert und behindert. Im nachfolgenden 2. Weltkrieg blieb die Fanganlage ungenutzt und verfiel. Um 1950, mit dem Neubeginn des Fremdenverkehrs, übernahmen dann die Gemeinden Nebel und Norddorf die Vogelkoje und richteten diese zwecks Anschauung mit Fanganlagen wieder her.

Die Vogelkoje als Urwaldparadies

Gleich nach der Einrichtung der Entenfanganlage im Jahr 1867 wurde das umfangreiche Gelände mit schnellwüchsigen und windvertragenden Bäumen, mit Pappeln und Birken, bepflanzt, einerseits um den hektargroßen Wasserteich in eine grüne Ruhezone einzubetten, andererseits, um dem Kojenmann bei seinen Pirschgängen zu den „Pfeifen“, den Fangkanälen, Deckung zu bieten.

Im Wasser ertrunkene Moorbirken

Die Baumpflanzung in der Vogelkoje Meerum war die erste Aufforstung auf Amrum und bot mit ihrem Wildwuchs bald eine grüne Oase am Dünenrand und inmitten einer urtümlichen Heide. Später pflanzten einigen Insulaner, Nautilius Schmidt und Johannes Jannen aus Nebel und Hugo Tantau Jannen aus Norddorf, weitere kleine Gehölze an, jedoch nicht mit Laubbäumen, sondern mit Krüppelkiefern, vor allem wohl, um Brennmaterial zu gewinnen. Sonst aber lag die Heidelandschaft zwischen Nebel und Norddorf völlig frei und unbebaut unter dem Inselhimmel und bot in ihrer Einsamkeit und Weite ein eindrucksvolles Bild. Erst nach dem 2. Weltkrieg, ab 1947, erfolgte die Aufforstung in großem Stil und die Bildung des heutigen Inselwaldes. Nur ein Teil der früheren Heide, vor allem Kirchenland, das nicht in das Aufforstungsprogramm einbezogen wurde, zeigt auch heute noch das ursprüngliche Bild der früheren Inselmitte.

Und auch die Vogelkoje Meerum hat ihren ursprünglichen Charakter weitgehend bewahrt. Die knorrigen, oft windverbogenen Birken sind allerdings über das ursprüngliche Kojengelände hinausgewachsen, haben sich fast einen halben Kilometer weit über teils sumpfiges Gelände nach Südosten ausgebreitet und sich auch ein Stück, etwa 100 Meter, gegen den Wind nach Westen erkämpft.

“Kinderstube” der Waldohreule in einem alten Krähennest

In all den Jahren sin die Birken in der Vogelkoje nicht höher als 12 – 15 Meter gewachsen, haben aber doch in der früher baumlosen Amrumer Landschaft etlichen Vögeln Brutplätze geboten. Schon Mitte des vorigen Jahrhunderts bauten einige Rabenkrähen (die vorher am Boden in der Heide genistet hatten) ihre kunstvollen Nester in den Kronen der Birken, und hier fanden dann später Turmfalken und Waldohreulen, die selbst keine Nester bauen können, ihre Brutplätze.

Ein typischer Singvogel war der Buchfink mit seinem dominierenden Gesang, und in den Höhlen altgewordener Baumstämme brüteten Rotschwanz, Stare, Kohl- und Blaumeisen und über etliche Jahre auch Feldsperlinge, die inzwischen auf Amrum wieder verschwunden sind. Und als die Birken noch licht und jung waren, war auch der unscheinbare gelbgrüne Fitis-Laubsänger ein regelmäßiger Brutvogel in der Vogelkoje.

Im Jahr 2017 konnte als neue Brutvogelart auf Amrum auch der Baumläufer in der Höhlung eines morschen Birkenstammes nachgewiesen werden.

Der Baumläufer brütet in den Höhlungen alter Birken

Das Altwerdenlassen der Bäume und Stehenlassen abgestorbener Bäume, damit sie als Nahrungsquelle und als Brutplatz der Vogelwelt dienen, ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Gedeihen der Natur! Nichts schadet der Vogel- und Insektenwelt so sehr wie ein „ordentlicher“, aufgeräumter Garten.

Birkenporlinge in der Vogelkoje

Aber auch für Pilze bieten abgestorbene Bäume einen besonderen Lebensraum, und in dieser Hinsicht bietet die Vogelkoje derzeit ein besonderes Bild. Bedingt durch einen ungewöhnlich hohen Grundwasserstand hatte sich im Winter 2016/17 nordwestlich der eingedeichten Anlage ein umfangreicher See gebildet, der den ganzen Winter hindurch und noch weit bis in den Sommer hinein den dortigen Birkenhain überschwemmte. Birken benötigen viel Wasser, aber umgekehrt können sie auch nicht ein Jahr lang im Wasser stehen. Dann sterben sie ab, und das ist großflächig mit dem erwähnten Birkenhain geschehen, dessen weiße abgestorbene Äste und Stämme jetzt wie Skelette den Boden bedecken. Auffallend ist aber, dass die meisten Stämme und Äste von einem harten, bis zu 20cm großen Pilz, dem Birken-Porling (Piptoporus betulinus) besiedelt sind, der wie eine feste Platte aus dem Birkenholz wächst. Der Birken-Porling ist kein giftiger Pilz, ist aber auch nicht essbar.

Georg Quedens

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