Auf Amrum kennt jeder jeden? Stimmt nur fast und nachfragen lohnt sich trotzdem: Hoker beest dü? An: Hü gong’t? Wer bist du? Und: Wie geht’s?
Dr. med. Peter Totzauer: „Auf Amrum werden die Notärzte nicht gefahren. Sie sitzen selbst am Steuer.“
„Ende des Jahres gehe ich in den Ruhestand. Für meine Stelle in der Praxis an der Mühle suchen wir derzeit eine/n Nachfolger*in; mit Sternchen oder ohne, egal, wichtig ist, dass die Person ein Faible für Notfallmedizin sowie einen gültigen Führerschein hat. Auf Amrum werden die Notärzte nicht gefahren. Sie sitzen selbst am Steuer. Es ist spannend, hier Arzt zu sein. Du musst eigentlich alles können. Auf dem Festland oder in den Städten geht die Schnittwunde ins Krankenhaus, das Kind zum Kinderarzt und das Sandkorn im Auge zum Augenarzt. Wir behandeln es vor Ort, das ergibt ein ganz breites Spektrum.
Mit der Praxis sind wir nicht nur geografisch gesehen in der Mitte der Insel. Wir sind auch im Interesse der Menschen in der Mitte der Insel. Mit dieser Enge muss man klarkommen, sie vielleicht sogar mögen. Wie heißt es so schön: „In Norddorf hat er Husten, in Nebel eine Lungenentzündung, in Wittdün ist er tot.“
Eine Geschichte dazu. Als meine Lebensgefährtin Dr. med. Claudia Derichs die Praxis eröffnet hatte, habe ich dort anfangs immer im Sommer mitgearbeitet und im Winter war ich Arzt an der AOK-Klinik in Norddorf. Als der Sommer zu Ende ging, haben wir also mein Bild in der Praxis weggenommen und stattdessen das eines Kollegen hingestellt, der hier regelmäßig Sprechstunden anbietet. Daneben ein Schild: „Unser neuer Kollege, Facharzt für Gefäßchirurgie, bietet an, Sie zu untersuchen…“
Ich ging bei Edeka einkaufen, damals gab es noch eine richtige Fleischtheke. Die Verkäuferin sah mich und fragte erstaunt: „Was machst du denn hier?“ Ich fragte zurück: „Wie? Was mache ich hier? Einkaufen. Wurst kaufen.“ Sie sagte: „Ich denk‘, du bist weg von der Insel? Claudia hat doch `nen Neuen!“ Da konnte ich das aufklären und ihr flossen tatsächlich die Tränen. Sie kam direkt noch einmal hinter der Theke hervor, hat mich umarmt und mir ein Stück Fleischwurst geschenkt.
Mir macht es das Leben hier sympathisch. Ich finde es toll, wenn mir Stefan Theus auf der Landstraße entgegenkommt und blinkt und hupt und sagt: „Halt mal an! Ich hab` hier ein Paket für dich und sehe ja, dass du nicht zu Hause bist.“ Das ist irgendwie schön.
Mir gefällt diese Gemeinschaft. Es gibt eine große Akzeptanz. Ganz am Anfang wurde man vielleicht von einigen Amrumern ein bisschen angeguckt. Schweigsam. Wenn man sich verkriechen möchte, kann man das sehr gut tun. Aber wenn man ein bisschen offen ist, sich engagiert und Interesse zeigt, dann tauen alle auf und es entstehen herzliche Verhältnisse.
Claudia und ich sind bei der DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger) dabei und haben auch die Amrumer Feuerwehren in Erster Hilfe aus- und weitergebildet. Die Kapazitäten auf Amrum sind begrenzt. Nur ein einziger Rettungswagen ist einsatzbereit. Notärzte gibt es erst, seitdem wir hier sind. Wenn etwas Größeres ist, können nur die Feuerwehren helfen und wenn etwas wirklich Großes ist, muss Hilfe von außen kommen. Die kommt dann verzögert.
2010 ist die Praxis an der Mühle entstanden. Es war ein strenger Winter, als wir das Haus bauten. Wir hatten sechs Monate Baustopp. Als endlich alles fertig war, haben Claudia und ich uns gesagt: Wir wohnen auf Amrum, wir arbeiten auf Amrum, wir vermieten eine Ferienwohnung. Amrum ist wirklich zu unserer Heimat geworden.
Hier zu sein, hier zu bleiben: Ich habe es keine Sekunde bereut.
Dann hat es eine Familienzusammenführung gegeben. Meine Tochter Laura war eines Tages plötzlich hier und sagte ebenfalls: „Ich bleibe.“ Sie surft, kitet und reitet, erst konnte sie im Kindergarten arbeiten, jetzt ist sie Lehrerin an der Öömrang Skuul.
Und als meine Mutter ein Pflegefall wurde und in Nebel auf der Station ein Bett frei war, haben wir sie in einer Riesenaktion aus Fürth (bei Nürnberg) hergebracht. Ich dachte, es sei für ihre letzten Wochen, aber daraus sind siebeneinhalb Jahre geworden. Im Mai letzten Jahres ist sie gestorben. Ich habe dann hier eine Grabstelle besorgt. Jetzt gibt es ein Grab der Totzauers am alten Friedhof bei der Nebeler Kirche. Auch die Urne meines Vaters haben wir hergeholt; meinen Eltern war es wichtig, zusammen in einem Grab zu sein.
Wir sind katholisch. Für die Amrumer Pastorin war es selbstverständlich, meine Mutter in ihrer letzten Zeit zu begleiten und zu beerdigen. Andersherum, in Bayern, wenn da jemand Evangelisches auf ein tiefkatholisches Dorf kommt, wäre das so nicht gegangen. Bin ich felsenfest von überzeugt.“