Reisende müssen weiterhin mit Fahrplanänderungen rechnen
Das Fahrwasser vor Dagebüll liegt im nordfriesischen Wattenmeer und ist ein Ausläufer der Norderaue. Vor allen die Schiffe der Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) nutzen dieses auf der Föhr-Amrum-Linie. Seit 1971 wird die Strecke tidenunabhängig befahren, dazu waren im Vorfeld umfangreiche Saugbaggerarbeiten notwendig.
Vom drittgrößten Personenhafen Deutschlands Dagebüll werden jährlich ca. 1,7 Millionen Fahrgäste, 300.000 Pkw und 45.000 Lkw aus transportiert.
Den Fahrgästen und Ladungskunden der Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) ist es in den letzten Wochen aufgefallen, dass die Zahl der wasserstandsbedingten Fahrplanänderungen auf der Strecke Dagebüll – Wyk/Föhr – Wittdün/Amrum deutlich zugenommen hat. Grund dafür ist der schlechte Zustand des Fahrwassers vor Dagebüll. Durch die Gezeiten versandet der Schifffahrtsweg immer wieder und vor allem immer schneller. Eine Verbesserung der Situation ist nicht in Sicht und die W.D.R. ist mit Blick auf die Inselversorgung besorgt.
Über die Osterferien genossen die Urlaubsgäste das herrliche Sonnenwetter auf den Inseln Amrum und Föhr. Die stabile Wetterlage mit häufigen Ost- oder Nordostwind bereitet der W.D.R. zunehmend Schwierigkeiten, bei Ebbe liegen die Wasserstände regelmäßig deutlich unter dem mittleren Niedrigwasser. Am vergangenen Wochenende betrug die Abweichung von einem bis zwei Metern. „Das hört sich nicht viel an“, räumt W.D.R.-Inspektionsleiter Kapitän Christ Tholund ein, „in der Praxis bedeutet diese Abweichung jedoch, dass wir über Niedrigwasser den Dagebüller Hafen nicht mehr anlaufen können“. Umfangreiche Fahrplanänderungen sind die Folge! Abfahrten müssen vorverlegt werden oder verzögern sich, immer wieder sind auch Streichungen einzelner Überfahrten notwendig. „Wir bemühen uns darum, unsere Kunden frühzeitig auf unserer Website zu informieren“, erläutert Axel Meynköhn, „dennoch sind immer wieder auch kurzfristige Änderungen notwendig, wenn die Wasserstandsvorhersage nicht genau eintrifft. Viele unserer Kunden sind über diese Änderungen verärgert, das ist uns bewusst“, so der W.D.R.-Geschäftsführer.
Das Nadelöhr vor Dagebüll ist ein Engpass bei Tonne 43, dadurch ist die Tidenunabhängigkeit in Gefahr! Die Fahrwasser im Wattenmeer sollten sich eigentlich im Frühjahr stets in gutem Zustand präsentieren, denn in den Wintermonaten steht jeweils die „Fahrwasserpflege“ an. Durchgeführt wird sie von Spezialschiffen im Auftrag der Generaldirektion Wasserstraßen- und Schifffahrt bzw. in den einzelnen Häfen durch die Hafenbetreiber. „Auch in den letzten Monaten waren wieder Arbeitsschiffe im Einsatz, der Erfolg ist jedoch sehr überschaubar“, so Christ Tholund. Angestrebt war im Dagebüller Fahrwasser auf 30 Metern Breite eine Solltiefe von 2,10 m. Eine Peilung am 19. April hat allerdings gezeigt, dass dieses Ziel in weiter Ferne liegt. Gerade im Bereich der Tonne 43 liegen die tatsächlich erreichten Tiefen um 1,80 m – teilweise nur bei 1,60 m. „Unsere Schiffe kommen dort auch bei normalem Niedrigwasser einfach nicht mehr durch“, so Kapitän Tholund. Schäden sind durch Grundberührungen bereits entstanden, am Flaggschiff MS NORDERAUE entstand kürzlich ein Schaden am Antrieb für ca. 50.000 Euro. „In der Praxis können wir auf der Föhr-Amrum-Linie kaum noch einen Tidenfreien Fahrplan anbieten“, räumt Christ Tholund ein. Mit einer Verbesserung des Fahrwasserzustandes ist vor dem nächsten Winter kaum zu rechnen. Da Fahrwasserarbeiten nur unterhalb von 12 Grad Wassertemperatur durchgeführt werden dürfen, schließt sich das entsprechende Zeitfenster bald.
„Für die zuverlässige Inselversorgung von Föhr und Amrum ist das keine gute Nachricht“, bestätigt auch Axel Meynköhn. Wie die „Fahrplanpraxis“ in den kommenden Monaten aussieht, hängt nach seinen Worten von der Wetterlage im Sommer 2022 ab, „ein schöner Sommer mit viel Ostwind wird unweigerlich zu vielen weiteren Fahrplanänderungen führen“. Die W.D.R., da ist er sich mit Kapitän Tholund einig, hat wenig Handlungsoptionen, „Sicherheit steht bei uns an erster Stelle“, betont er. Ein „Durchwühlen“ flacher Bereiche komme daher nicht in Frage. Die Anweisung an die Kapitäne lautet daher: „Keine Durchfahrt durch das Fahrwasser mit weniger als 30 cm Wasser unter dem Kiel“. Die berühmte „Handbreit Wasser“ reicht hier nicht.
Mit Blick auf den kommenden Winter sieht Christ Tholund hingegen durchaus Verbesserungspotential, vor allem eine intensive Abstimmung zwischen der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt und den Hafenbetreibern könnte das Ergebnis der jährlichen Fahrwasserpflege verbessern. „Die Reihenfolge ist sehr wichtig“, weiß der Inspektionsleiter. So würden aktuell noch Spülarbeiten in Dagebüll laufen. Ich befürchte, dass sich die hier gelösten Sedimente draußen im Dagebüller Fahrwasser ablagern und die Wassertiefe dort noch weiter verringern könnten“, so Tholund. Kaum bewährt hat sich nach seiner Ansicht auch der seit einigen Jahren vermehrt praktizierte Einsatz des sogenannten Injektionsverfahrens. Hierbei wird nicht gebaggert, vielmehr schwebt ein Sprühbalken etwa einen halben Meter über den Meeresboden. Unter hohem Druck wird Wasser aus den Düsen diese Balkens gesprüht, um Schlick und Sand aufzuwirbeln. Die gelösten Sedimente sollen dann – so die Idee – mit dem Ebbstrom abfließen. Als Vorteil dieses Verfahrens wird seine bessere Umweltverträglichkeit ins Feld geführt. „Die Idee ist grundsätzlich gut, bei unseren spezifischen Verhältnissen funktioniert sie aber nur sehr eingeschränkt. Gelöste Sedimente werden nicht weit genug weggetragen und lagern sich bald wieder ab“, so Tholund. Wirklich effektiv sei hingegen der Einsatz von Hopperbaggern, der jedoch zugunsten des Injektionsverfahrens nur noch begrenzt erfolgt. „Ich hoffe hier auf ein Umdenken“, so Christ Tholund, „sonst würde sich der Zustand des Fahrwassers weiter verschlechtern und wir müssen uns von der Tideunabhängigkeit unser Föhr-Amrum-Linie schon bald gänzlich verabschieden“. Die Folge wäre ein Tidenfahrplan mit täglich wechselnden Fahrtzeiten – so, wie ihn ältere Insulaner und Gäste noch aus der Zeit vor 1971 in Erinnerung haben. „Für die zuverlässige und ungestörte Versorgung der beiden Inseln sowie für den Tourismus wäre das ein schwerer Schlag“, ist Axel Meynköhn überzeugt, „es geht um nicht weniger als die öffentliche Daseinsversorgung der Inseln“.