Mit Ecken und Kanten: Amrumer Gesichter …


Druckfrisch …

Amrum Bücher gibt es schon genug, Bildbände sind völlig aus der Zeit gefallen und Schwarz-Weiß Fotos bloß retro? Hoppla, da möchte ich jetzt widersprechen. Im Quedens-Verlag ist gerade ein kleiner, quadratischer Bildband herausgekommen: 59 Amrumer Gesichter und ihre Geschichten – ungeschminkt in Szene gesetzt und fotografiert von drei sehr unterschiedlichen Insel-Fotografen (Jan Dettmering, Peter Lückel, Sven Sturm), vertextet von Undine Bischoff und Helmut Splinter.

Falls Sie sich jetzt verlegen an der Nase kratzen und fragen, ob Sven Sturm nicht dieser mehrfach preisgekrönte Naturfotograf ist? Ja, ist er. Der vor allem Tiere fotografiert? Stimmt. Unter diesen 59 Amrumer Gesichtern sind nämlich auch Tiere, nicht nur Menschen – beide Spezies abgelichtet in Schwarz-Weiß, mit hartem Licht, nah und verletzlich. Die Geschichten der Portraitierten sind allerdings alles andere als Schwarz-Weiß. Wir lernen Menschen kennen, die auf Amrum leben oder hier geboren wurden – mit ihren Ecken und Kanten, ihren Hoffnungen und Träumen, ihrem Charme und ihrem Realismus. Wir erfahren, wer sie sind. Wir dürfen ihnen direkt in die Augen schauen, aber wir treten ihnen nicht zu nahe. Zwischen ihnen und uns stand die Kamera. Es sind beindruckende Amrumer Gesichter, aufgenommen zwischen 2018 und 2022. Mich berührt es, ihnen beim Lesen zuzuhören. Wie leben die Menschen auf dieser kleinen Insel, was führte sie her, was hält sie, was bedeutet Amrum für sie? Ich höre ihren Sound. Die Tonalität der Interviews klingt durch die stark reduzierten Texte. Es ist interessant, was sie sagen. Auch nach der 59. Geschichte wird es nicht eintönig. Danke, dass Ihr alle mitgemacht habt!

Die abwechslungsreiche Zusammenstellung, die knappe Prosa, die ausdrucksstarken Fotos und die ästhetische Klarheit machen für mich den Reiz dieses ansprechenden Bildbands aus. Von retro keine Spur. Das Buch ist ein kleines Juwel im Kanon der Amrum Literatur.

 

Fotos: Jan Dettmering, Peter Lückel, Sven Sturm

Texte: Undine Bischoff, Helmut Splinter

Idee und Lay-Out: Peter Lückel

Verleger: Leif Quedens

 

Das Buch ist im Quedens-Verlag Amrum erschienen und überall im Buchhandel erhältlich, auf Amrum auch darüber hinaus. Es hat 124 Seiten und kostet 24,90 Euro. ISBN: 978-3- 943307-26-9


Nach Erscheinen des Buches hatte ich die Gelegenheit, für Amrum News ein Interview mit dem Autorenkollektiv und dem Verleger Leif Quedens zu führen. Undine Bischoff konnte leider nicht am Interview teilnehmen, sie ist 2021 zu neuen Ufern aufgebrochen und nicht mehr Amrum.

Gruppenbild ohne Dame … v.l.: Jan Dettmering, Sven Sturm, Peter Lückel, Helmut Splinter, Leif Quedens

INTERVIEW

mit Jan Dettmering, Sven Sturm, Peter Lückel, Helmut Splinter und Leif Quedens

 

Amrum News: Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Peter: Ich war inspiriert von kontrastreichen schwarz-weiß Fotografien und dachte, das kann man doch auch mal für Amrum machen. Aber ich wollte es nicht allein machen. Das wäre auch langweilig geworden, alles mit der Handschrift des gleichen Fotografen. Dann hab‘ ich die anderen gefragt. (Amrum News: Die anderen, das sind Jan Dettmering und Sven Sturm. Beide verdienen wie Peter Lückel mit ihren Fotografien Geld, sind aber keine ausgebildeten Fotografen und üben einen anderen Beruf aus.)

Meine ursprüngliche Idee war, mit großformatigen Fotografien eine Ausstellung am Strand zu machen. Die hätte man natürlich beschriften müssen, wenigstens mit den Namen, und vielleicht Kurzbiographien dazu erstellen oder besser, kleine Geschichten erzählen. Damals war Undine noch auf Amrum und hat gern Portraits von InsulanerInnen geschrieben. Dann könnten wir doch auch gleich ein Buch machen, haben wir überlegt. Das war 2018.

Die Dame: Undine Bischoff

Amrum News: Nach welchen Kriterien habt Ihr die Portraits ausgesucht?

Peter: Alte zerfurchte Seebären zu fotografieren, war so meine erste Idee. Die sind mir dann aber schnell ausgegangen. Dann fiel mir ein, dass ja auch am Strand viele von Sonne und Wind gegerbte Gesichter zu finden sind, die Strandkorbvermieter zum Beispiel, oder andere, die viel draußen sind.

 Jan: Wir haben uns immer wieder zusammengesetzt. Das war auch eine Entwicklung über eine längere Zeit hinweg. Wir wollten nicht nur die wettergegerbten Gesichter und die „üblichen Verdächtigen“ fotografieren, sondern Menschen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Es gibt ja so viele KandidatInnen, dass es für ein zweites oder drittes Buch reichen würde.

Peter: Ja, nicht immer nur die gleichen Protagonisten, die überall vorkommen.

Jan: Ich hab‘ mich gefragt: Wen kenne ich? Für mich ist es einfacher, Leute zu fotografieren, die ich persönlich kenne, zu denen ich schon eine Beziehung habe.

Peter: Und die Vielfalt hat bei der Gesamtauswahl natürlich eine Rolle gespielt. Es hat ja in den letzten Jahren schon auch mal Kritik gegeben, weil in einem Film über Amrum überhaupt keine Frauen zu sehen waren.

Jan: Wir wollten von Anfang an Frauen mit reinnehmen.

Peter: Stimmt.

Amrum News: Wie waren die Reaktionen auf die Anfrage, als Amrumer Gesicht veröffentlicht zu werden?

Peter: Nur einige wenige haben von vornherein abgewunken, und zwei sind noch im letzten Moment abgesprungen.

Jan: Wir haben sogar Fotos in Reserve, und wir hätten noch viel mehr fotografieren können, aber dann wären wir wohl nie fertig geworden. (Alle lachen.)

Jan und Peter: Die Frauen waren ja erst nicht ganz so glücklich damit. Sie wollten gern „schön“ aussehen und haderten mit den Aufnahmen. Aber im Nachhinein, als sie dann alle Fotos zusammen gesehen haben und jetzt das fertige Buch, finden sie die Fotos von sich richtig gut.

Amrum News: Und die Tiere, die kann man ja nicht fragen, die laufen oder fliegen weg? 

Sven: Da haben die BesitzerInnen zugestimmt. Das war auch ganz wichtig. Sie sind vertraut mit ihren Tieren und waren bei den Aufnahmen dabei. Die Tiere fühlen sich dann geborgen. Und ich bekam gute Tipps. Bei den Schafen zum Beispiel stand Heiko mit einem Eimer mit Brot hinter mir.

Amrum News: Was sind für Dich typische Amrumer Tiere?

Sven: Schafe auf jeden Fall und Hühner. Fasane, Kaninchen. Als Naturfotograf sehe ich auf Amrum natürlich sehr viele Wildtiere, von denen die meisten Leute gar nicht wissen, dass es sie hier gibt. Einige seltenere, die für mich typisch Amrum sind, habe ich aus meinem Archiv ausgewählt, den Basstölpel zum Beispiel. 

Amrum News: Habt Ihr ein Lieblingsbild, von Euch oder von den anderen?

Sven: Ja, und jeden Tag wechselt es. Alle anderen: Gute Antwort!  

Leif: Ich kenne ja alle im Buch persönlich, aber Alex, die kannte ich noch nicht.

Jan: Es ist schwer, einen Favoriten zu benennen. Die Texte machen viel aus.

Helmut: Mit seinem schwäbischen Akzent war Thorsten Ertel für mich etwas Besonderes.

Was war Eure Motivation, das Buch zu machen?

Peter: Ich hatte Lust, solche Fotos zu machen und hab‘ so viel Potenzial auf der Insel gesehen. Als Fotograf ist man ja auch irgendwie Künstler. Ich möchte einfach immer kreativ sein und die Kunst mit anderen teilen.

Jan: Und die Gäste sind ja auch immer interessiert an den AmrumerInnen und ihren Geschichten.

Peter: Die Idee war, nicht die Schokoladenseite zu fotografieren, sondern relativ frontale Aufnahmen ohne zu lächeln.

Sven: Schwarz-weiße Tieraufnahmen sind ja eher selten. Tiere zu fotografieren, mit Augenkontakt und dem harten Licht? Ich war selbst überrascht, wie das zusammenpasst. Die Nutztiere gehören für mich zu Amrum, aber ich habe auch eine ganze Reihe zum Buch passender Portraits von Wildtieren in meinem Archiv gefunden, Auge in Auge mit der Kamera.

 Jan: Wir hatten alle eine unterschiedliche Herangehensweise. Das sieht man auch auf den Fotos. Peter hat die Leute bei sich im Studio fotografiert. Ich bin zu ihnen gefahren und hab‘ sie in ihrer gewohnten Umgebung fotografiert.

Sven: Selten habe ich für ein Buch so viel Zeit gebraucht wie für dieses als Mitautor. (lacht)

Amrum News: Warum hast du das Buch verlegt, Leif? 

Leif: Ich hatte von dem Projekt schon gehört, war aber gar nicht involviert. Ich wusste noch nicht mal, dass mein Vater da drin ist. Und dann wurde ich gefragt, ob ich das Buch verlegen will. Ich fand‘s von Anfang an super, mir hat das richtig gut gefallen und ich hab‘ gesagt: Ja, machen wir. Peter hatte beim Lay-Out freie Hand, ich habe nur aus typografischer Sicht das Eine oder Andere optimiert.

Peter: Der Vorschlag, den Amrumer Gesichtern „Mit Ecken und Karten“ voranzustellen und auf dem Cover nicht nur ein großes Foto abzubilden, kam von Leif.

Amrum News: Und wer hat lektoriert?

Sven: Haben wir gegenseitig gemacht, aber Helmut hat sich da nochmal so richtig reingekniet. 

Peter: Gut war auch, dass wir mit Undine und Helmut zwei TexterInnen hatten, die ganz unterschiedliche Schreibstile haben. Es wird dann nicht langweilig, alle Geschichten zu lesen.

Helmut: Ich sage gern „ja, kann ich doch mal machen“ und weiß vorher gar nicht genau, was auf mich zukommt. Es hat Spaß gebracht, die Interviews zu führen und daraus Texte zu machen. Manche hatten auch schon vergessen, dass sie fotografiert worden waren und waren skeptisch mit dem Interview. Die Fragen habe ich situativ gestellt. Das war interessant.

Leif: Der Satz, der mir im Buch am besten gefällt, ist der letzte Satz von Georg „Weiß nicht, wo er seinen Behindertenausweis und sein Bundesverdienstkreuz hingelegt hat.“ Das ist auf den Punkt er!

Amrum News: Danke für das Interview und herzlichen Glückwunsch zu diesem Buch. Da ist Euch ein kleines Juwel gelungen.

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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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