
“Wow, den Typen gibt es auch als Frau!” So beschrieb Zeichner und Illustrator Felix Karweick seinen Ersteindruck von Sigrid Streicher, als er ihr Mitte der 1990er Jahre das erste Mal begegnete. Der besagte “Typ” war natürlich Otfried Schwarz alias “Pancho”, Streichers jüngerer Bruder.
Anlass dieser sehr unterhaltsamen Äußerung, mit der Karweick sein Publikum zum Lachen brachte, war die Eröffnung der neuen Kunstausstellung in der Amrumer Mühle am vorletzten Sonntag. Bereits zum 61. Mal seit der Gründung stellt der Mühlenverein Werke namhafter Künstler aus und ist damit längst eine echte Institution der Kunstlandschaft auf der Insel. Ab sofort und noch bis Ende Juli sind dort insgesamt 39 Werke der Geschwister zu sehen.

Zurück zu Karweicks Rede. Es ist Sonntag, 11 Uhr, die Mühle ist schnell gefüllt. Diejenigen, die nur fünf Minuten zu spät kommen, stehen im Gang bis zur Eingangstür. Bestimmt 60 Leute zwängen sich in die engen Räumlichkeiten mit den vielen Balken und flachen Decken. In regelmäßigen Abständen stößt sich irgendwo irgendwer den Kopf. Klonk. Der Stimmung tut das jedoch keinen Abbruch, dem alten Mühlenmauerwerk zum Glück auch nicht.
Kai Quedens, stellvertretender Vorsitzender des Vereins, heißt die Besucher herzlich willkommen und verweist auf die Bedeutung der Kunstausstellungen, die mit ihren Einnahmen einen wesentlichen Teil zur Erhaltung der Mühle beitragen. Erstklassige Kunst auszustellen sei stets das selbstgesteckte Ziel des Vereins, betont Quedens. Daher freue er sich, wenn nicht nur geschaut, sondern auch gekauft würde.
Dann übergibt er das Wort an Felix Karweick, der als enger Freund der Familie im Haus ein- und ausging und die beiden ganz besonders gut kennt. Es war daher auch Sigrid Streichers Wunsch, dass Karweick die Eröffnungsrede zur neuen Ausstellung hält. Wie gut der Illustrator die Familie kennt, wird spätestens dann klar, als er die Telefonate mit Panscho imitiert. Mit verstellter Stimme und der offenbar sehr eigenen Art des Künstlers sorgt Karweick für viel Gelächter im Raum.

Ohnehin ist seine Rede, die er, wie er selbst sagt, “persönlicher anfassen möchte”, gespickt mit Anekdoten, unterhaltsamen Begebenheiten und jeder Menge Humor. Dabei gleichzeitig voller Herzenswärme und Respekt. Offenbar so, wie auch die Familie Schwarz war und noch immer ist. Denn während Panscho selbst leider vor zwei Jahren verstorben ist, wirkt Sigrid Streicher, mittlerweile über 80, immer noch quicklebendig, offen und zugewandt. Sie hat sichtlich Freude an Karweicks Rede und all den Besuchern, von denen auch sie die meisten persönlich kennt. Schließlich sind seit dem ersten Inselbesuch der Familie Schwarz 1951 viele Jahre vergangen. Seit 1961 wurde dann regelmäßig zwischen verschiedenen Städten auf dem Festland und Amrum gependelt. Über so viele Jahre haben sich einige Freundschaften angesammelt. Seit 2016 hat Streicher nun ihren festen Wohnsitz auf der Insel.

Doch ebenso wie in Karweicks Rede die Biografien der Geschwister nur das Gerüst für die gemeinsame Lebensgeschichte der drei boten, sollen auch hier nicht die Daten und Lebensstationen im Vordergrund stehen. Darüber wurde hinlänglich berichtet, u.a. auch bei Amrum News (hier über Sigrid Streichers Leben und hier über Panschos). Viel mehr geht es um die Kunst, die seit jenem Vormittag die Mühle schmückt. Karweicks Rede reiht sich perfekt in die Atmosphäre ein: sie ist eine rhetorische Wucht, ein künstlerisches Gesamtwerk, das vor allem durch Stil, Ausdruck und sprachliche Bilder besticht. Stünde auch sie zum Verkauf, gäbe es sicher einige Interessenten. In dem Fall jedoch muss Karweick sich mit dem Applaus und Lob der anwesenden Gäste als Lohn zufriedengeben. Das Klatschen der Besucher wird abgelöst vom Ploppen der Sektflaschen und Klirren der Gläser.

Nun werden in aller Ruhe die Werke betrachtet. Ölbilder, Aquarelle oder Acrylmalereien, mal wandfüllend groß, mal klein, ein stilistischer Mix aus klassischer Moderne, Pop-Art und Expressionismus. Was alle eint: die prächtige Farbgebung und die Motive, die größtenteils von der Natur inspiriert sind. Meereslandschaften, mal mit, mal ohne Menschen, Blumen, Segelboote. Sigrid Streicher wird dabei bis heute vor allem von dem herrlichen Blick aus ihrem Fenster angeregt. “Jeden Morgen schaue ich aufs Watt und den Sonnenaufgang. Und immer sieht es anders aus”, sagt die Künstlerin. Das zeigen vor allem die kleinformatigen Quadrate, die erst kürzlich von Streicher gefertigt wurden. Bis heute erfreut sie sich am Wechsel der Gezeiten, der Jahreszeiten, dem Licht. Das sieht man auch den Bildern an: die satten Farben versprühen genauso viel Lebensfreude und Optimismus, wie Sigrid Streicher – in einer auffälligen roten Blusen gekleidet – selbst. Diese Energie, die Heiterkeit und Lebenslust, die Offenheit und Zugewandtheit waren es, die Karweick anerkennend mit seinem Typenvergleich eingangs meinte.

Nach etwa anderthalb Stunden, in denen geklönt, gelobt und gelacht wurde, sind dann auch schon insgesamt sechs Bilder mit einem roten Punkt markiert – verkauft. Was für ein Erfolg für eine kleine Ausstellung, die noch bis zum 26. Juli in der Amrumer Mühle zu sehen sein wird.