„Ich war der Kapitän und fühlte mich wie ein Leichtmatrose“ …


Vor fast 55 Jahren Jahren bewarb sich Conrad Zorn bei der W.D.R.

Ein Leben für die Wyker Dampfschiffs-Reederei. Menschen und Ereignisse zwischen Politik und Niedrigwasser, so der Buchtitel von Conrad Zorn. Das Buch ist 2019 im Verlag Jens Quedens erschienen. Herausgeber ist die Ferring-Stiftung. In diesem Buch hat der ehemalige Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei (W.D.R.) auf 650 Seiten sein bisheriges Leben niedergeschrieben. (Amrum News berichtete im Dezember 2019 unter der Rubrik „Geschenktipps“).

Conrad Zorn wurde im Januar 1938 in Emden geboren, ist auf der ostfriesischen Insel Borkum aufgewachsen, ging in der Lüneburger Heide und in Tübingen auf eine Waldorfschule. Mit 19 Jahre folgte dann – der Onkel war behilflich – die Zeit in der „Schifffahrt“. Sein beruflicher Werdegang als Schifffahrtskaufmann begann in Bremen. Nach einer Station in Rendsburg folgte die erste richtig bezahlte Anstellung in Duisburg-Ruhrort. Mitte der 1960er-Jahre folgte dann ein Wechsel zur Reederei Retzlaff nach Dortmund, später nach Bremen.
Am 27. Dezember 1966 bewarb sich Conrad Zorn auf eine Stellenausschreibung der W.D.R., es wurde ein „Nachfolger für den Geschäftsführer“ gesucht. Am 29. März 1967 durfte er sich dem Aufsichtsrat vorstellen. Er war einer von ursprünglich 68 Aspiranten und von zuletzt drei in der engeren Wahl übrig gebliebenen. Am selbigen Tag wurde er zum Assistenten des Geschäftsführers gewählt, Dienstantritt war am 31. Juli 1967. Am 17. Mai 1969 folgte Conrad Zorn auf den bisherigen Geschäftsführer Friedrich Lützen – der war 48 Jahre bei der Wyker Dampfschiffs-Reederei. Aller Anfang ist schwer, schon damals war es nicht einfach eine Wohnung auf Föhr zu finden. Aus der Großstadt in ein kleines Dorf auf einer Insel. Aber es fand sich eine Bleibe, zunächst in Dunsum und später hatte Conrad Zorn seine Unterkunft im W.D.R.-Gebäude in Wyk. Sein neuer Arbeitsplatz war zu Beginn sehr spärlich bzw. gar nicht vorhanden. Aufgaben gab es auch noch keine für den „Neuen“. Dafür gab es viel Gegenwind für den neuen Chef, er hatte es nicht leicht dort anzukommen. „Ich war der Kapitän und fühlte mich wie ein Leichtmatrose“, so der Autor bei der Vorstellung seines Buches.
Nach 360 Monaten W.D.R. ging Conrad Zorn im Mai 1998 in den Ruhestand und genießt diesen in seinem Häuschen in Wyk auf Föhr.

In der Zeit von Conrad Zorn fielen unter anderen:

  • ein tidefreier Fahrplan, seit dem 26. September 1971 fahren die Schiffe der W.D.R. nicht mehr nach einem Gezeitenkalender. Bis dahin wurde z.B. die Anzeigetafel am Reedereigebäude in Wittdün mit den Abfahrtzeiten täglich neu bestückt (tideabhängige Fahrten). Der aus den täglich veränderten Abfahrtszeiten resultierende „dicke Fahrplan“ entfiel, es gab nur noch ein kleines Blatt auf dem der gesamte Fahrplan (es gab einen Winter- und einen Sommerfahrplan) abgebildet war. Im Insel-Boten vom 30. September 1971 war der Winterfahrplan 1971/72, der vom 26. September1971 bis zum 30. April 1972 gültig war, zum Ausschneiden veröffentlicht.
  • Fusion der (Amrumer Schiffahrts-AG) ASAG mit der W.D.R. am 1. Februar 1971.
  • zahlreiche Veränderungen in der Schiffsflotte: Es wurde verkauft, um- und neugebaut und übernommen. Die MS Störtebeker war der erste Neubau und die noch heute unter W.D.R.-Flagge fahrende MS Nordfriesland der Letzte den Conrad Zorn als Geschäftsführer übernahm. (MS Störtebeker fährt heute unter der Flagge der AG Ems).

Neubauten (9): Störtebeker (1969), Insel Amrum (1970), Schleswig-Holstein 2 (1972), Nordfriesland 5 (1978), Uthlande 4 (1980), Schleswig-Holstein III (1988), Hilligenlei 3 (1991), Rungholt 2 (1992) und Nordfriesland 6 (1995).
Übernahmen (6): Stadt Husum (1971), Amrum (1971), Delphin (1971), Hilligenlei 2 (1976), Pidder Lyng 2 (1981) und Rüm Hart 2 (1982).
Umbauten (5): Nordfriesland 4 (1971), Störtebeker (1972), Insel Amrum (1977), Uthlande 4 (1986) und Nordfriesland 5 (1987).
Verkäufe (14): Hilligenlei 1 (1969), Schleswig-Holstein 1 (1970), Kapitäne Christiansen (1971), Pidder Lyng 1 (1971), Rungholt 1 (1973), Nordfriesland 4 (1977), Insel Föhr (1980), Rüm Hart 1 (1982), Stadt Husum (1983), Delphin (1983), Hilligenlei 2 (1983), Schleswig-Holstein 2 (1987), Amrum (1992) und Nordfriesland 5 (1995).

In vielen Geschichten erzählt der Autor über das Land, die Firmen und die Leute. Ein Buch mit vielen Fotos und Zeitdokumenten.
So berichtet der Autor unter anderem über die Schwierigkeiten mit Amrum, über Havarien und Unfälle, über einen kurzen Abstecher (8 Monate) nach Flensburg zur Förde-Reederei, über abenteuerliche Überführungsfahrten, über Alkohol an Land und Bord und, und, und …

Die Insulaner kennen und leben mit der W.D.R., den Touristen ist die Inselreederei auch bestens bekannt.
Der alltäglichen Tagesablauf auf den Inseln Föhr, Amrum und den Halligen wird durch den Fahrplan beeinflusst. So kommen die Tageszeitungen, außerhalb der Hauptsaison, z.B. auf Amrum erst mit der ersten Fähre gegen halb Zehn auf die Insel. Frühestens ab 10 Uhr findet der Leser dann diese im Zeitungsständer der Amrumer Läden.
Die Abhandlungen über die W.D.R. in diesem Buch geben nicht nur einen wichtigen Beitrag der jüngeren Firmengeschichte wieder, es wird über die Entwicklung des Personen- und Frachtverkehrs zu See im nordfriesischen Wattenmeer der letzten 50 Jahre des vorigen Jahrhunderts berichtet und man erfährt etwas über die Veränderungen des Lebenswandels der Insulaner. Früher war alles noch dörflich, die Bevölkerung durch die Landwirtschaft geprägt. Das hat sich heutzutage komplett gewandelt! Die Vielzahl an landwirtschaftlichen Betrieben gibt es nicht mehr. Alles richtet sich in heutiger Zeit nach und mit dem Tourismus.

Bei so manchem Artikel werden Erinnerungen wach, man findet sich plötzlich beim Lesen selbst darin wieder – da war ich doch dabei.
Es gibt viel zum Schmunzeln, zum Nachdenken und es weckt viele nette Erinnerungen. So auch in der Abhandlung über die verschiedensten Namen der MS „Insel Amrum“.
Am 9. Juli 1970 fand die Probefahrt der MS „Insel Amrum“ statt. Conrad Zorn erinnert sich daran, dass nach dem Anlassen der Maschinen rundherum alles schwarz war, es sollte eine Sache der Einstellung sein und es müsste sich erst einmal alles freibrennen, so die Erklärung der Ingenieure. Doch es wurde nicht besser, das Schiff qualmte wie ein alter Ofen. Die Leistungshebel einfach durchzuziehen war nicht möglich, wollte man Schiff und Passagiere nicht in eine schwarze Wolke hüllen. So hatte die bis heute flachgehendste Autofähre der W.D.R. einen Spitznamen weg. Es bekam Alias-Namen, wie: „Schwarze Wolke“ und „Kellerschiff“. Auch wenn die Passagiere geschimpft haben, dass Sie im „Keller“ unter dem Hauptdeck sitzen mussten, waren sie am Ende zufrieden wenn das Ziel pünktlich erreicht wurde – trotz mangels Wasser. Bei extremen Wasserständen konnte die MS „Insel Amrum“, mit ihrem Tiefgang von nur 1,46 m, in den meisten Fällen noch Fahren und kam pünktlich an. Es kam dabei auch das ein und andere Mal zu „Grundberührungen“, aber das Schiff rutschte einfach drüber weg. Daher wurde oft auch die liebevolle Bezeichnung „Schlickrutscher“ genutzt. Zudem war es mit 13 Knoten die – bis heute – schnellste Fähre der W.D.R.. 42 Jahre war die „Insel Amrum“ in Diensten der Reederei, seit geraumer Zeit liegt sie in einer norwegischen Werft und wird laut Aussage des neuen Eigners dort zum Arbeitsschiff umgebaut.

Conrad Zorn: Ein Leben für die Wyker Dampfschiffs-Reederei – Menschen und Ereignisse zwischen Politik und Niedrigwasser, Verlag Jens Quedens, Amrum 2019, ISBN 978-3-943307-21-4, 29,90 Euro.

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Über Gerd Arnold

Gerd Arnold, 1957 in Nebel auf Amrum geboren. Ein „echter“ Amrumer mit der friesischen Sprache (öömrang) aufgewachsen. Bis 1972 die Schule in Nebel besucht, danach Elektroinstallateur in Wittdün gelernt. 1976/77 in Wuppertal den Realschulabschluss nachgeholt. Ab Oktober 1977 als Berufssoldat bei der Bundesluftwaffe und seit November 2010 Pensionär. Nach vielen Jahren der verzweifelten Suche nach passenden „bezahlbaren“ Wohnraum auf Amrum endlich fündig geworden, seit Februar 2022 wieder ständig auf Amrum. 2019 ins Team der Amrum News integriert, aber das soll neben dem Angeln nicht die einzige Aktivität auf der Insel bleiben.

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One comment

  1. Nach meiner Erinnerung wurde die alte Insel Amrum auch “Das U-Boot” genannt weil ihre Überwasser-Aufbauten im Vergleich zu den anderen Fähren sehr klein waren. “Flugzeugträger” (wohl wegen des breiten durchgehenden Autodecks) habe ich früher auch gelegentlich gehört. Aber zumeist war’s halt das Kellerschiff oder der Schlickrutscher. Und was ist es heute? Erdbeer- oder Blaubeer-körbchen. 🙂 K.M.

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